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Lebensbeichten: Eine Szene aus dem im Juni erscheinenden Band "Mein Ärger mit den Frauen".

© Reprodukt

Comicfestival München: Das neurotische Ich

Neue Bücher und ein seltener Deutschlandbesuch: Comic-Pionier Robert Crumb wird 70 Jahre alt. Eine Ausstellung würdigt sein Lebenswerk, am Mittwoch und Donnerstag kann man ihn live auf dem Comicfestival München erleben.

Robert Crumb war in Deutschland lange Zeit auf die Wühltische der Comicbörsen verbannt. Seine anarchischen und sexuell hoch aufgeladenen Zeichnungen fleischiger Frauen und verwahrloster Nerds galten als chauvinistisch und pornografisch, als schmutzig und schmuddelig. Crumb wurden Rassismus und Antisemitismus vorgeworfen.

Wie Ahnenstaub lagen diese Anschuldigungen über dem ironischen Werk des amerikanischen Comic-Hippies. Seine Comics hatten den vermeintlichen Malus, den man mit den "Graphic Novels" von Art Spiegelman, Chris Ware, Guy Delisle und Alison Bechdel meinte abgeschüttelt zu haben.

Diese und andere Comicgrößen würden aber heute nicht die Comics zeichnen, für die sie bekannt sind, hätten sie nicht alle von Crumb das selbstreferentielle Erzählen abgeschaut. Es ist kein Glück, sondern eine überfällige Notwendigkeit, dass das gigantische Werk dieses akribischen Menschenlesers nun auch in Deutschland wieder publiziert wird.

Crumb revolutionierte die Comicszene mit seinen expressionistischen und augenzwinkernden Reflektionen. Sein großes Thema war die Tragödie des Individuums - in epischer Breite und psychoanalytischer Tiefe hat er das an sich selbst exerziert, wie der erste Teil seiner Skizzenbücher deutlich macht (Taschen Verlag, 1344 Seiten, 750 Euro). Kein anderer Zeichner hat das neurotische Ich zuvor in einer solch schonungslosen Intensität entblättert wie Crumb.

Wunderbar nachvollziehen kann man dies aber auch in der von Harry Rowohlt übersetzten und erschwinglicheren Neuauflage seines Gesamtwerkes, die nun Band für Band veröffentlicht wird. Bereits im vergangenen Herbst erschien mit "Nausea" (Reprodukt, 112 Seiten, 29 Euro) ein beeindruckender Auftaktband mit umwerfenden Geschichten. Eine Adaption von Sartres "Der Ekel" (frz. Nausea) gibt dem Comic nicht nur Titel, sondern auch das Thema vor. Crumb erkundet hier zeichnend das Feld der Literatur. Er erzählt von der religiösen Erleuchtung des Science- Fiction-Autors Philip K. Dick, von den seltsamen psycho-sexuellen Krankheiten aus den Aufzeichnungen des Psychiaters Richard von Krafft-Ebing und dem ausschweifenden Leben des britischen Aristokraten Sir James Boswell.

Renaissance: Nach und nach werden Crumbs Werke jetzt bei Reprodukt neu aufgelegt
Renaissance: Nach und nach werden Crumbs Werke jetzt bei Reprodukt neu aufgelegt

© Reprodukt

Der im Juni erscheinende Folgeband "Mein Ärger mit den Frauen" (Reprodukt, 96 Seiten, 29 Euro) versammelt 16 "Lebensbeichten", in denen die Sehnsüchte und Ängste, Fantasien und Obsessionen des schrägen Amerikaners im Mittelpunkt stehen. Dabei begegnen wir mal dem geifernden Fantasie-Crumb und dann wieder dem verschüchterten Reality-Bob, je nachdem, ob von dem an einer katholischen Schule misshandelten Jungen, dem füßelnden und tätschelnden Teenager an der Highschool, dem LSD-Hippie Rob Crumb oder dem chauvinistischen Lüstling R. Crumb erzählt wird.

Seinen selbstironischen Blick hat Crumb seit den siebziger Jahren gemeinsam mit seiner zweiten Frau, der Künstlerin Aline Kominsky-Crumb, perfektioniert. In dem Dauerprojekt "Drawn Together" (Norton & Company, 264 Seiten, rund 25 Euro, bislang nur auf Englisch) führen sie eine Art gezeichneten Dialog über ihr Paarleben. Dieses therapeutische Zwiegespräch zweier Künstler ist ein überbordendes Gemeinschaftswerk voller Sex, Rock’n’Roll und Augenzwinkern.

Die sexuelle Obsession verdeckt bei Crumb nur spärlich die Furcht vor allem, was körperlich ist. Diese Charaktereigenschaft teilt er mit Franz Kafka, dessen Erzählungen vor Erotik nur so sprühen, während er fast keusch lebte. Kein Wunder also, dass der offenherzig zeichnende und verklemmt lebende Crumb (gemeinsam mit dem Szenaristen David Z. Mairowitz) die faszinierende Werkbiografie "Kafka" verfasst hat, die jetzt überarbeitet in neuer Auflage erscheint (Reprodukt, 176 Seiten, 17 Euro). In klugen Texten und grandiosen Zeichnungen stellen sie Kafkas Werk nicht nur präzise vor, sondern ordnen es ein und gehen dem posthumen Kafka-Kult auf den Grund.

Hommage: Der aktuelle Tribute-Band zu Crumbs Ehren mit einem Cover von Charles Burns, rechts der Beitrag von Rudi Hurzlmeier.
Hommage: Der aktuelle Tribute-Band zu Crumbs Ehren mit einem Cover von Charles Burns, rechts der Beitrag von Rudi Hurzlmeier.

© Edition 52

Der menschenscheue Crumb wird, bevor er im August 70 Jahre alt wird, Ende Mai das Comicfestival in München besuchen, das vom 29. Mai bis 2. Juni stattfindet. Dort wird ihm bereits seit dem 17. Mai eine Ausstellung gewidmet, bei der 80 Künstler - von Charles Burns über Joe Matt bis hin zu Volker Reiche - mit teils kongenialen Zeichnungen den Meister der Comix ehren (Katalog: A Tribute to Robert Crumb, Edition 52, 100 Seiten. 20 Euro). Robert Crumb wird in zwei Künstlergesprächen über sein Schaffen sprechen - sicherlich nicht ganz ohne Augenzwinkern.

Das Künstlergespräch mit Crumb und seiner Frau Aline auf dem Comicfestival München findet am 29. Mai um 19 Uhr statt. Am 30. Mai gibt es dort um 19.30 Uhr ein weiteres Gespräch mit ihm sowie Gilbert Shelton und Gerhard Seyfried. Mehr Informationen und Karten: www. comicfestival-muenchen.de

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