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Da war er noch blond. Anfangs zog „Captain America“ – hier gezeichnet von John Cassaday – gegen Nazis und Kommunisten zu Felde. Später änderte sich das.

© Marvel Promo

Comicheld: Patriot mit Eigensinn

Im Kino erscheint Captain America als simpler proamerikanischer Held. Aber die Figur hat mehr zu bieten.

Wie albern ist das denn: Ein maskierter Muskelprotz mit Stulpenstiefeln und einem Kostüm, das aus Fetzen der US-Flagge zusammengenäht worden zu sein scheint? Genau 70 Jahre ist es in diesem Jahr her, dass Captain America als Comicfigur zu seinem ersten Kinnhaken – damals gegen Adolf Hitler – ausholte. Es war der Ausgangspunkt einer der bemerkenswertesten Erfolgsgeschichten der US-Popkultur, die bis heute anhält. Der Protagonist ist der wohl amerikanischste aller Superhelden auf der anderen Seite des Atlantiks. Seit vergangener Woche läuft der Film „Captain America“ auch in Deutschland im Kino und präsentiert dem Publikum eine Figur, die den meisten Zuschauern hierzulande unbekannt sein dürfte.

In den USA ist das anders. Wer in diesen Wochen durch ein amerikanisches Einkaufszentrum streift, trifft auf Dutzende Variationen der patriotischen Ikone, die seit 1941 für Freiheit, Frieden und Demokratie kämpft: Er schmückt die Sonderedition „Only the Brave“ der Parfümmarke Diesel, ist auf Eis und Torten der Kette Baskin-Robbins (Slogan: „Be a Hero!“) sowie auf Schulranzen, Kinderunterwäsche und als Plastik-Actionfigur beim Handelsriesen Walmart omnipräsent. Und in den Comicläden zwischen New York und San Francisco liegt gleich ein halbes Dutzend aktueller Heftserien aus, auf deren Titelbildern der muskulöse Rächer mit dem großen „A“ auf der Stirn prangt. So erscheint der blau-weiß-rote Freiheitskämpfer auch in seinem siebten Jahrzehnt immer noch so, wie ihn seine Erfinder Joe Simon und Jack Kirby 1941 schufen: ein uramerikanischer Patriot.

Wieso die Figur, die für ausländische Beobachter einen unkritischen Hurrapatriotismus zu verkörpern scheint, in ihrem Herkunftsland so ungebrochen erfolgreich ist? Vielleicht, weil sie vielschichtiger ist, als es den Anschein hat. Denn Captain America, der es bei amerikanischen Comiclesern an Popularität mit Figuren wie Spider-Man aufnehmen kann, ist alles andere als ein willfähriger Vollstrecker der Politik des Weißen Hauses. Das mag zwar im aktuellen Kinofilm den Anschein haben, da die Figur dort als von der Regierung gedopter Supersoldat aus einem US-Militärlabor zum Sondereinsatz gegen die Nazis und den mit ihnen verbundenen Superschurken „Red Skull“ kämpft – aber der Zweite Weltkrieg ist nun einmal eine moralisch eindeutige Angelegenheit, nicht zuletzt aus amerikanischer Sicht.

In seinem eigentlichen Medium hingegen, dem Comicheft (auf Deutsch erscheinen die Comics im Panini-Verlag), hat sich Captain America im Laufe seiner sieben Jahrzehnte zu einer viel komplexeren Figur entwickelt, als es der Kinofilm ahnen lässt. So durchlebte der Held in der Nachkriegszeit unter der Regie unterschiedlicher Autoren und Zeichner mehrere politische Häutungen: Anfangs ließ ihn der Marvel-Verlag im Geist des Kalten Krieges noch als „Commie Smasher“ gegen kommunistische Horden, aber auch gegen alte Nazis und ihre Mitstreiter zu Felde ziehen.

Aber spätestens seit Ende der 60er- Jahre änderte sich der Ton: Das Vietnam-Debakel, die Bürgerrechtsbewegung und die Watergate-Affäre gingen auch an Comichelden nicht spurlos vorüber, immer häufiger nahm Captain America kritische Positionen gegenüber der US-Regierung ein und vertrat progressive Ansichten. So wird 1969 die Figur Falcon als erster schwarzer Superheld in einem Captain America-Heft eingeführt. Und 1974, als die Verwicklung von US-Präsident Nixon in die Watergate-Affäre vollends publik wurde, griff auch eine längere Comicerzählung das Thema auf: Captain America deckt eine Verschwörung auf, in deren Rahmen eine rechtsgerichtete Putschistengruppe versucht, die Macht in Washington an sich zu reißen. Captain America interveniert – und enthüllt, dass der Anführer der Gruppe der machthungrige Richard Nixon ist. In der Folge wurde aus dem kritischen Patrioten vorübergehend die Figur des „Nomad“, der seine Verbindung zu den USA aus Protest gegen die Regierungspolitik kappte.

Eine weitere kritische Phase erlebte Captain America nach einem anderen amerikanischen Trauma: In den Monaten nach den Anschlägen vom 11. September 2001 thematisierten kritische Autoren wie John Ney Rieber in ihren Captain America-Geschichten die Frage, wieweit die Anschläge vielleicht auch eine Folge der US-Politik gegenüber anderen Staaten sein könnten – eine Position, wegen der Rieber vielfach als Vaterlandsverräter beschimpft wurde.

Auch andere Comicautoren machten später deutlich, dass ihr Captain America für den „Krieg gegen den Terror“ der Bush-Regierung nicht zu gewinnen war – so ließ Robert Morales seinen Helden in einer Episode gegen die unmenschliche Behandlung von Gefangenen in Guantanamo protestieren. Und in der Miniserie „Civil War“, einer der meistverkauften Comicreihen der vergangenen Jahre, gehört Captain America zu jenen Figuren, die sich gegen die US-Regierung stellen, als die nach einem verheerenden Anschlag mit innenpolitischen Restriktionen reagiert – was gemeinhin als kritische Auseinandersetzung mit dem „Patriot Act“ und anderen innenpolitischen Maßnahmen der Bush-Regierung nach den Anschlägen von 2001 verstanden wurde.

Dieser Held ist eben „eine vielschichtige Symbolfigur, die Raum für unterschiedliche Projektionen zulässt“, erklärt der Kulturhistoriker Robert G. Weiner in der wissenschaftlichen Aufsatzsammlung „Captain America and the Struggle of the Superhero“. Für ihn repräsentiert die Figur „die besten Seiten der menschlichen Zivilisation und die besten Seiten Amerikas“. Und der New Yorker Politikwissenschaftler Mark D. White fasste es kürzlich in der „Washington Times“ so zusammen: „Unabhängig von den unterschiedlichsten politischen Positionen seiner Autoren verkörperte Captain America über die Jahrzehnte hinweg doch immer die sozialen Werte und Prinzipien, die uns als Amerikaner auszeichnen.“

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