zum Hauptinhalt
Schnee. Ein Comic-Strips aus dem besprochenen Sammelband.

© Illustration: Hannes Richert

Berliner Comic-Zeichner: „Mein Stil war früher noch beschissener“

Sex-Tipps, Pinkelbecken, Nabelschnur-Alben: Hannes Richert kennt kein Tabu. Jetzt gibt’s die Comics von Fils Nachfolger bei der „zitty“ als Buch.

Ein bisschen komisch ist es ja schon. Wie begrüßt man jemanden, der in einem seiner Comics den Handschlag unter Männern als „Petting des kleinen Mannes“ verewigt hat, bei dem sich Hände wie Penisse umeinander schlingen? Das sind so Gedanken, die einem durch den Kopf gehen, wenn man an der Tür von Hannes Richerts Neuköllner Wohnung klingelt, gleich um die Ecke vom Hermannplatz.

Als der Zeichner einem nach dem – übrigens völlig entspannten – Handschlag einen Kaffee anbietet, fühlt man sich gleich in den nächsten Richert-Comic versetzt. Da fragt ein Mann seinen Besucher: „Willsten Kaffee?“ „Nur wenn Du auch einen nimmst“, antwortet der. „Ne, ich will keinen“, sagt der Gastgeber. So entwickelt sich ein Wechselspiel von Worten und Gedanken, bei dem der Gast auch beim Bier leer ausgeht und am Ende nur noch denkt: „Was für ein Wichser!“

Das sind so Hannes-Richert-Situationen, wie er sie seit gut zwei Jahren Woche für Woche ganzseitig in der „zitty“ veröffentlicht. Jetzt gibt’s den ersten Sammelband samt einiger Arbeiten für „Titanic“, „Eulenspiegel“ und „Stern“.

„Menschen und Sexualität ist per se lustig“

Ausgehend von Alltagssituationen entwickelt der 35-jährige Wuschelkopf am Zeichentisch in der Küche absurde Kurzgeschichten, in denen das menschliche Miteinander bizarre Blüten treibt. Es geht um zwanghafte Avocado- Reife-Tester und unkonventionelle Techniken des öffentlichen Urinierens, Nabelschnur-Alben als Geschenk der Eltern an flügge werdende Kinder, die Magie sich treffender Autofahrerblicke vor der Ampel, alte Leute, die Jugend-Slang reden und Sex-Tipps für werdende Eltern. „Eigentlich geht’s bei mir um die Grundbedürfnisse: Essen, Ficken, Schlafen – wobei im Thema Schlafen nicht so viel drin steckt“, sagt er. „Menschen und Sexualität dagegen ist per se lustig.“ Dann lacht der schlaksige 1,96-Mann mit bemerkenswert kräftiger Stimme. Die macht sich auch gut bei Lesungen, mit denen er seine Strips auf der Bühne präsentiert.

Hannes Richert in seinem Wohnzimmer in Berlin-Neukölln.
Hannes Richert in seinem Wohnzimmer in Berlin-Neukölln.

© Kitty Kleist-Heinrich

Ständig tippt er Ideen in sein Telefon ein und schreibt sie auf Zettel, erzählt Richert beim Gespräch in seinem Wohnzimmer. Satzfetzen, die er beim Gang durch Berlin aufschnappt, Beobachtungen, die interessante Widersprüche enthalten. „Man versucht, aus allem etwas rauszuziehen.“ Eine der Fragen, die ihn umtreibt und schon einige gezeichnete Kurzdramen inspiriert hat: „Was würde passieren, wenn die Leute die Wahrheit sagen, statt immer herumzudrucksen?“ Zum Comic fand er einst als Zivildienstleistender: „Zivildienst, Kiffen und Zeichnen konnte man gut verbinden.“

Richert findet Pointen in Situationen, die vielen nur banal scheinen. Seine Ideen setzt er mit Figuren um, deren Aussehen schon ohne Worte ziemlich komisch ist: halslose Menschen mit Fusselhaar und ovalen Köpfen, bei denen Augen und Ohren merkwürdig hoch sitzen. „Eigentlich gefällt mir mein Stil gar nicht, aber er war früher noch beschissener“, sagt Richert. Hinter dem Zeichner an der Wand hängt ein Acrylgemälde, darauf ein nackter Mann in Embryohaltung auf einer Couch. „Deutschlands frechster Arbeitsloser“, steht drüber, „da liegt er und träumt von Titten.“ Eines seiner ersten an den „Eulenspiegel“ verkauften Witzbilder.

„Die Dichte der Verrückten ist höher“

2010 kam Richert mit seiner Freundin nach dem Design-Studium in Münster nach Berlin, nach ein paar Monaten Hartz-IV und Mini-Jobs verdient er sein Geld inzwischen komplett mit gezeichnetem Humor. Ein anderes Gemälde gegenüber vom Esstisch variiert einen Cartoon, der sich ebenfalls im Sammelband findet: Männer, die in Störe pusten, bis der Kaviar bei ihren Begleiterinnen im Mund oder auf dem Kleid landet. „Erlebnisgastronomie für die Superreichen: Stör zum Selbermelken“, lautet der Titel. Die Grenzen des guten Geschmacks, der Pietät und gerne auch der politischen Korrektheit überschreitet Hannes Richert mit lockerer Hand. Manche seiner Arbeiten seien „schon krass“, sagt er. Aber es sei nun mal keine Comedy, was er da mache, „das soll ja auch krass sein“. Berlin taucht in seinen Strips nur indirekt auf. Aber inspirierender als Münster oder seine Geburtsstadt Bonn sei Berlin und vor allem Neukölln schon: „Die Dichte der Verrückten ist höher, hier muss man nur einmal einkaufen gehen und hat schon wieder viele merkwürdige Sachen gesehen.“

Auf dem Tisch vor dem Zeichner liegt ein Schnuller, in den Ecken Spielzeug: Spuren der zwei Kinder, 1 und 3, die er mit seiner Freundin hat. Die arbeitet als Grafikerin ebenfalls bei der „zitty“. Dort ist Richert vor zwei Jahren in große Fußstapfen getreten. 16 Jahre lang hatte Fil in der Zeitschrift alle zwei Wochen seine Geschichten um die Berliner Prollschweine Didi und Stulle erzählt – ein Comic mit Kultstatus. „Ich hatte Riesenängste“, sagt Richert. Auch wegen des wöchentlichen Erscheinungsrhythmus, auf den die „zitty“ zu jener Zeit wechselte. Aber seit etwa einem Jahr sieht er die Dinge gelassener, sagt Richert, „weil’s funktioniert.“

Dass die „zitty“, in der er bereits seit 2010 einzelne Cartoons veröffentlicht hatte, ihn 2015 fest als Fil-Nachfolger holte, rettete zudem die Zeichnerlaufbahn von Hannes Richert. „Ich war damals kurz vorm Aufgeben“, erinnert er sich. Von einzelnen Cartoons kann man nur schwer leben, geschweige denn eine Familie ernähren. Doch seit zwei Jahren sieht das anders aus – und das, ohne sich inhaltlich verbiegen zu müssen, wie Richert mit staunendem Gesichtsausdruck sagt: „Die lassen ja alles zu – ich kann das immer noch nicht ganz glauben.“

Hannes Richert: Comics für den gehobenen Pöbel, Edition Moderne, 88 S., 24 €. Nächste Lesung in Berlin: 24.3., 20 Uhr, Modern Graphics, Kastanienallee 79, Prenzlauer Berg.

Zur Startseite