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Comics vor Gericht: Opposition mit dem Zeichenstift

In Kairo steht ein Comicautor vor Gericht. Sein Buch „Metro“ zeigt blanke Brüste und zitiert Flüche - und es erzählt von Alltagsfrust und korrupten Beamten. Nun drohen ihm bis zu zwei Jahre Haft.

Sechs Beamte in Zivil betraten am 15. April 2008 um 15 Uhr 30 das Hochhaus in Garden City. „Wo sitzt der Verlag Malamih Publishing House?“, fragten sie den Pförtner. „6. Stock“, sagte der verschreckte Mann, dann forderte die Gruppe ihn auf, sie hinzuführen. Als die Bürotür geöffnet wurde, drangen die Männer mit dem Hinweis, sie seien „von der Sitte“, in die Verlagsräume ein. Sie rissen Akten aus den Regalen, räumten Schreibtische ab, konfiszierten Verträge und Unterlagen. Sie notierten die zuletzt angerufenen Nummern und beschlagnahmten alle vorhandenen Exemplare des Comics „Metro“. Die erste arabische Graphic Novel war zwei Wochen zuvor vom Verlag offiziell präsentiert worden. 300 der 1000 gedruckten Exemplare lagerten noch in den Büros. Nach 30 Minuten waren die Beamten wieder verschwunden, ein paar Tage später waren das auch die bereits ausgelieferten Exemplare des Comics aus dem Buchhandel.

„Natürlich haben wir Anwälte eingeschaltet“, sagt Nayra El-Sheikh, Sprecherin von Malamih Publishing House. Schließlich habe es kein offizielles Verbot gegeben. „Das kam erst jetzt, ein gutes Jahr später“, sagt die zierliche Frau. Zusammen mit einer Klage gegen Autor und Verleger. „Der Vorwurf lautet, das Buch gefährde die öffentliche Moral“, sagt Magdy El-Shafee, der „Metro“ geschrieben und gezeichnet hat. Der 47-jährige steht im Stadtzentrum vor einem Gerichtsgebäude, das auch schon bessere Tage gesehen hat.

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Blanke Brüste, Flüche. Autor und Zeichner Magdy El-Shafee vermutet, dass dies nicht die wahren Gründe für die Zensur des Buches "Metro" sind. Hier eine Szene daraus.

© Illustration: Magdy El-Shafee

Der Haupteingang ist mit Brettern vernagelt, nur über einen Seiteneingang ist das Haus betretbar. Gerade haben seine Anwälte eine Vertagung erwirkt, um ihre Verteidigung vorzubereiten. Trotz der offiziellen Erklärung vermutet El-Shafee, dass nicht das eine Paar blanke Brüste und die Flüche in dem Buch für die Zensur verantwortlich sind, sondern die in dem Band enthaltene politische Kritik. „Metro“ erzählt von Alltagsfrust, einem Bankraub und von korrupten Beamten im heutigen Kairo. Einige sehen realen Personen ähnlich. Einen Tag lang sei er damals von der Polizei verhört worden, sagt El-Shafee. Jetzt drohen ihm bis zu zwei Jahre Haft. Sein Gesicht verrät Sorge – nicht nur um sich, auch um die ägyptische Comicszene, für die er sich erst in jüngster Vergangenheit wieder engagiert hat.

Zwei Wochen vorher hat der Zeichner El-Shafee noch einen Workshop mit Isabel Kreitz geleitet

Zwei Wochen vorher. El-Shafee steht im Innenhof des Kairoer Goethe Instituts. Er trägt die grauen Locken kurz, ein offenes Jackett über dem gelben Polohemd und ein Grinsen im Gesicht. Er genießt sichtlich die ihm zuteil werdende Aufmerksamkeit. Permanent kommt jemand vorbei, um seine Hand zu schütteln und ihm zu seinem Engagement zu gratulieren. Die Stimmung ist optimistisch. Von dem Verbot ahnt noch niemand etwas.

In den vergangenen Tagen hat El-Shafee gemeinsam mit der deutschen Comiczeichnerin Isabel Kreitz ("Die Sache mit Sorge") einen Workshop für junge ägyptische Zeichner geleitet. „Catching Cairo in Comics“ lauteten Titel und Programm. Sechzig Zeichner und Schreiber hatten sich beworben, zwanzig konnten mitmachen. Nun werden die Ergebnisse im Keller des Instituts in Downtown Kairo ausgestellt. Kurze Geschichten sind dabei, manchmal auch nur Skizzen und Storyboards. Alles, egal ob schwarz-weiß gehaltene naturalistische Science-Fiction-Figuren oder niedlich bunte Karikaturen, ist dabei von erstaunlicher grafischer Professionalität und zumindest zeichnerisch der Arbeit des Lehrers überlegen.

Die Probleme lagen woanders. „Immer wieder mussten wir feststellen, dass es den jungen Leuten fast unmöglich war, eine eigene, persönliche Ideen zu entwickeln“, sagt El-Shafee. Er glaubt, dass das am politischen Klima seines Landes liege, in dem seit 1981 der Ausnahmezustand gilt. Eine freie Presse gibt es nicht.

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Deutliche Kritik. Eine Kurzgeschichte aus dem vor kurzem veröffentlichten ersten ägyptischen Comic in englischer Sprache, »Al-Khan«.

© Illustration: Tarek Shahin

Oppositionelle landen immer wieder hinter Gittern. Auch Mohammed Al-Sharqawi, der Chef von Malamih und ein bekannter Blogger, saß schon mehrfach im Gefängnis – unter anderem wegen Beteiligung an einem Aufruf zum Generalstreik. „Wer lange in Unterdrückung lebt, der verlernt, eine Meinung zu haben“, sagt El-Shafee. Allgemein hätten die Ägypter heute eine unglaublich hohe Akzeptanz, was Ungerechtigkeit angehe.

„Natürlich geht man ein Risiko ein"

Kommt das Gespräch auf Zensur, wiegeln tatsächlich viele Kursteilnehmer ab. Nur wenige formulieren es so direkt wie der 26-jährige Autor Tamir Fathee. Im Workshop hat er eine kurze Geschichte über seine Schulzeit geschrieben. „Natürlich geht man ein Risiko ein, wenn man politische oder soziale Themen anschneidet“, sagt er. „Aber ich bin bereit, dieses Risiko zu tragen.“ Die Sorgen auszublenden, sei trotzdem die beste Strategie. Planen, mit was man Probleme bekommt, könne man in Ägypten nämlich nie. „Da herrscht völlige Willkür“, sagt er. Manch einer bekomme wegen Lappalien Besuch von der Polizei, andere kämen mit offener Kritik durch. Nur öffentlicher Widerspruch an Präsident Mubarak sorge unter Garantie für Probleme. Die anderen Workshopteilnehmer nicken betreten. 

„Aktuelle Themen waren deshalb für viele Schreiber Tabu“, sagt auch Isabel Kreitz. Das sei besonders schade, weil sie glaubt, dass die ägyptischen Zeichner eigentlich nur mit persönlichen Geschichten aus dem Alltag internationale Aufmerksamkeit auf sich ziehen können. „Am Anfang kamen die Leute mit Märchen und Superheldenplots an, aber das will ich doch überhaupt nicht lesen.“, sagt sie. Ihr sei wichtig gewesen, die jungen Zeichner zu animieren, eine eigene Erzählkultur zu kreieren.

Dass der ägyptische oder arabische Comic eine solche noch nicht habe, gesteht auch El-Shefee sofort ein. Zwar gebe es in der arabischen Welt eine lange Tradition von Karikaturen in Zeitungen und in der Werbung, sogar Comics für Kinder seien auf dem Markt, aber letztere seien so schlecht und auf Erziehung getrimmt, dass die nicht mal von der Zielgruppe gern gelesen würden. Auch die kuwaitische Serie „The 99“, die seit 2007 islamkonforme Superhelden präsentiert, orientiert sich grafisch und erzählerisch stark an amerikanischen Heften. Was lange Comicerzählungen angehe, sei die Region ein absolut jungfräulicher Markt.

"Unterdrückung, Dogmen und andere nicht existierende Probleme"

Mit Comics Geld zu verdienen, müsse sich der Nachwuchs deshalb wohl fürs erste abschminken. El-Shafee selbst arbeitet als Manager eines Pharmaunternehmens. „Metro“ hat er über fünf Jahre hinweg in seiner Freizeit geschrieben.

Auch Comicverlegerin Nayra El-Sheikh läuft durch die Ausstellungsräume. „Ein paar Sachen sind vielversprechend“, sagt sie. Begeistert klingt sie nicht. Momentan sei sie aber eh noch gut ausgelastet mit eigenen Projekten. Vor ein paar Tagen hat ihr Verlag den ersten ägyptischen Comic in englischer Sprache veröffentlicht. „Al-Khan“ heißt er und ist die Sammelausgabe des gleichnamigen täglichen Comicstrip in der Zeitung Daily News Egypt. Der Autor Tarek Shahin erzählt darin Geschichten aus dem Alltag einer fiktiven Kairoer Magazinredaktion und spricht über „political oppression, religious dogma, sexual frustration and other non-existent problems“, wie der Klappentext es ausdrückt. Der Band ist harmloser als „Metro“, sagt El-Sheikh. Trotzdem wird Shahin darin gelegentlich sehr deutlich: Wenn er zum Beispiel das ägyptische Parlament mit einem nutzlosen Blinddarm vergleicht, oder Politiker Amtseide ablegen lässt, die in der Formel enden: „I vow to aggressively install structural reform measures while patriotically upholding the status quo“. Anders als manche Kollegen habe er mit Zensur aber noch nie Probleme gehabt, sagt der 26-Jährige Ägypter, der im Investmentbereich arbeitet und zwischen London und Kairo pendelt.  

Am 18. April soll das Urteil über Magdy El-Shafee gesprochen werden. Was eine Verurteilung für die kleine Comicszene des Landes bedeuten würde, wagt Nayra El-Sheikh noch nicht zu sagen. Ihr Verlag will in jedem Fall weiter Comicbücher herausbringen. Zwei weitere Bände, einer für Kinder, sind noch für dieses Jahr geplant. In England ist „Metro“ dieser Tage erschienen, an einer Ausgabe für den Libanon wird gerade gearbeitet. „Wir glauben an das Recht auf freie Meinungsäußerung“, sagt Nayra El-Sheikh.

Auch Magdy El-Shafee will weitermachen. Im Sommer will er sein nächstes Buch anfangen. „Das schreibe ich zur Not auch im Gefängnis“, sagt er.

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