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Debatte: Auf Freiersfüßen

Ist Chester Browns jüngst auf Deutsch veröffentlichtes Prostitutionstagebuch der richtige Beitrag zum Thema? Ein Pro und Contra.

Die Idee des autobiografischen Comics funktioniert nur, wenn da jemand ist, der auch bereit ist, ein Leben zu leben. Genau deshalb ist der kanadische Comic-Künstler Chester Brown ein Meister dieses Genres: Als er in den „Playboy Stories“ von seiner lebenslangen Begeisterung für Pornografie erzählte, ging er genau da hin, wo es weh tut. Nachdem Brown in seiner Heftserie „Yummy Fur“ eine technisch höchst eigenwillige Onaniertechnik aus seiner Jugend thematisierte, schüttete sein Kollege Peter Bagge monatelang Häme über ihn aus. Und noch härter ist Browns neuestes Buch „Ich bezahle für Sex – Aufzeichnungen eines Freiers“, in dem er frank und frei und komplett emotionslos über seine Besuche bei Prostituierten plaudert.

Das wäre noch keine abendfüllende Erzählung, schließlich bevorzugt Brown immer denselben Typ Frau –  dunkle Haare, mädchenhaft. Und seine sexuelle Fantasie reicht auch gerade mal für zwei Stellungen.

Aber Brown füllt seine schonungslose Selbstanalyse mit genügend Subtext auf: Da ist zum einen seine radikale Absage an die Idee der romantischen Liebe. Sie ist, so Brown, dafür verantwortlich, dass Menschen mit ihren Partnern auf lange Zeit gesehen nur unglücklich werden, weil sie nur noch aus Gründen der gesellschaftlichen Norm zusammenbleiben.

Zum anderen ist Browns Buch ein flammendes Plädoyer dafür, Prostitution zu legalisieren. Wie anders die rechtliche Lage in Kanada ist, kann man aus dem langen Nachwort entnehmen, in dem Brown seine libertinären Ideen präsentiert.

Dabei wird klar: Brown ist kein gedankenloser Freier, sondern ein sensibler, freundlicher Mensch, der weiß, in welchem kriminellen Umfeld Prostitution stattfindet. Seine Antwort: Er verweigert sich der Diskussion.

In seinem Comic geht Brown mit den Frauen ebenso vorsichtig um, wie er es wohl als Freier tut: Sie bekommen falsche Namen, man sieht nie ihr Gesicht und die Geschichten, die sie erzählen, verfremdet Brown, der sich selbst einen Feministen nennt, ins Unkenntliche.

Besonders realistisch ist Browns sehr reduzierter, cartoonhafter Strich sowieso nicht. Wie ein Chor funktionieren die Gespräche über das Thema Prostitution, die er mit seinen Kollegen Seth und Joe Matt führt. Es ist der Zeichner und Autor Seth, der alles auf den Punkt bringt: Chester Brown ist ein Roboter, ein liebenswerter Roboter zweifellos, aber ebenso emotionslos, wie es nur eine Maschine sein kann.

 

Lutz Göllner

 

Lesen Sie, was Katja-Schmitz-Dräger an Brown Position fragwürdig findet

Ein von der Liebe enttäuschter Zyniker fühlt sich besser, seit er in seinem Sexualleben die Position des Kunden einnimmt und sich an die klaren Regeln des Tauschgeschäfts klammern kann: Das ist der Ausgangspunkt von Chester Browns Verteidigung des Freiertums. Man muss weder Romantiker noch prinzipiell gegen Prostitution sein, um weite Teile seines (im Übrigen durchaus fesselnden) Plädoyers zumindest fragwürdig zu finden. Natürlich ist es auch nicht gerade sympathisch, wenn er Frauen wie Ware bewertet. Aber bitte: wenigstens ehrlich.

Ehrlichkeit ist Browns Allround-Argument fürs Sexgeschäft gegenüber der verlogenen romantischen Liebe. Was ihn nicht davon abhält, irritiert zu sein, wenn eine Prostituierte keine emotionale Reaktion zeigt. Er gibt ihr dann eine schlechte Kritik im Internet.

Klar kann es ein erzählerischer Kniff sein, ein Alter Ego mit Neigung zu menschenverachtenden Manieren zu erfinden. Aber hier will der Autor das Thema Prostitution ernsthaft diskutieren. Er hat zu diesem Zweck einen üppigen Anhang verfasst. Aus seiner Beweisführung spricht vor allem Bequemlichkeit.

Brown tut aufgeklärt, wenn er für eine unreglementierte Prostitution wirbt – versteigt sich dann aber dazu, den Lohn für die sexuelle Dienstleistung als „Geschenk“ betrachten zu wollen, das die Dame als Dreingabe zum einvernehmlichen Akt erhält. Eine romantische Verklärung des Geschäfts: Alles freiwillig, selbst gewählt.

Das gibt es wohl, aber wie will er das überprüfen? Er habe keine blauen Flecken gesehen – also bitte! Bei einer Frau kriegt er nicht mal mit, dass sie kein Englisch spricht; es genügt ihm, wenn es„plausibel“ ist, dass ein Mädchen schon 18 sein könnte. Auf dem Aufmerksamkeitslevel will er Beweggründe durchschauen?

Strom kommt aus der Steckdose, Fleisch aus der Kühltheke, Sex gibt’s eben im Puff. Wie das alles dort hinkommt, interessiert nicht. Vor allem zeigt dieses Buch, wie egal vielen Menschen die Folgen ihres Tuns sind.

Katja Schmitz-Dräger

 

Chester Brown: Ich bezahle für Sex – Aufzeichnungen eines Freiers, mit einem Vorwort von Robert Crumb,Walde & Graf, 336 Seiten, 22,95 Euro. Eine frühere Tagesspiegel-Rezension anlässlich der nordamerikanischen Erstveröffentlichung von Chester Browns Buch im vergangenen Jahr finden Sie unter diesem Link

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