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„Die kochenden Affen“ von Tine Steen.

© PR/ Avant

„Die kochenden Affen“ von Tine Steen: Mit Feuer, Witz und viel Gehirn

Wild, kenntnisreich und sehr unterhaltsam: Die Berliner Zeichnerin Tine Steen vermittelt in ihrem neuen Comic kulturgeschichtliches Wissen ähnlich virtuos wie Liv Strömquist.

Von Marie Schröer

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Kulinarische Comics haben im Nachbarland Frankreich Tradition: In den Comicbuchhandlungen finden sich Chef-Biografien (über Escoffier und Alain Passard) neben Kochalltagscomics mit Rezepten (etwa „À boire et à manger“ von Guillaume Long), Sachcomics zur Geschichte des Kochens oder eine große Bandbreite kulinarischer Manga in französischer Übersetzung, die vom Hochleistungs-Kochbattle-Genre bis zu Jiro Taniguchis stillen Essensminiaturen reichen.

Einige davon wurden ins Deutsche übersetzt, viele leider nicht. Umso schöner, dass ein relevanter Kulinar-Comic diesmal zuerst in Deutschland erscheint: „Die kochenden Affen“ der Berliner Künstlerin Tine Steen. Die französischen Verlage dürften bald anklopfen.

Denn: Steens Buch ist kein allzu didaktischer Auftragscomic im Pseudoschulbuch-Look und auch keine rein gefällige Anekdotensammlung fürs Kochbuchregal. Sondern ein wilder, kenntnisreicher und sehr witziger Wissenscomic, der sich ungeniert anthropologische Theorien einverleibt und sie mit Humor, feministischem Scharfsinn und einer ordentlichen Prise DIY-Ästhetik serviert.

Komplizierter Stoff in verdauliche Häppchen zerlegt: Eine Seite aus „Die kochenden Affen“.

© PR/ Avant

Wer Liv Strömquist und ihre feministischen Comics mag, wird auch Steen lieben. Sie nutzt das Medium ähnlich virtuos zur Vermittlung von Wissen wie ihre schwedische Kollegin: Komplizierter Stoff wird in verdauliche Häppchen zerlegt, um Informationen so zu verpacken, dass sie sich quasi nebenbei einprägen und nicht zuletzt wird mit Typografie gespielt, um Textmenge klug zu portionieren

Der Auftakt ist programmatisch: Der Comic beginnt damit, wie Adam und Eva, gerade aus dem Paradies gefeuert, aus blanker Verzweiflung den Bratapfel erfinden. Von dieser Szene springt Steen zurück zur „schimpansenartigen Kost“ früher Hominiden, die im ersten Kapitel beleuchtet wird und schließlich weiter zur Menschwerdung – also dem Moment, in dem Affen zu „kochenden Affen“ wurden.

Der Titel des Comics verweist deutlich auf Richard Wrangham, der in „Catching Fire“ wie folgt argumentierte: Erst das Kochen ermöglichte das große Gehirn, die Mobilität, die soziale Komplexität des Menschen. Gekochte Nahrung ist leichter verdaulich, energiereicher, weniger gefährlich; sie befreite unsere Vorfahren von den sechsstündigen Kaumarathons anderer Primaten.

Wranghams Theorien bilden eine wichtige Grundlage für Steens Comic, ergänzt werden sie aber durch eine Vielzahl anderer anthropologischer Lektüren.

Eine weitere Seite aus dem besprochenen Buch.

© Avant

Patriarchale Erzählweisen aufbrechen

Steen kuratiert dabei gewissermaßen ihre eigene Mini-Ausstellung zum Thema Kochen in der Steinzeit. Sie erklärt Fermentation (auch heute noch Trend in Tradwife- und Hipsterküchen gleichermaßen), skizziert die Rohkoststudie der Uni Gießen, zeigt, wie heißes Wasser entdeckt wurde, wann welche Kochmethoden erfunden wurden, warum manche Kulturen Insekten essen und andere nicht.

Steen hat angekündigt, dass auf „Die kochenden Affen“ weitere Bände folgen sollen.

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Und vor allem: wie Nahrung aufgeteilt wurde – ein Thema, bei dem es schnell politisch wird. Steen nutzt das Medium auch, um patriarchale Erzählweisen der Anthropologie ironisch aufzubrechen: Wer jagte? Wer sammelte? Wer teilte? Und wer behauptete was, warum? Wenn sie etwa nachzeichnet, wie eine Runde Pfeife rauchender Konferenz-Alphamännchen sich selbstgefällig darüber auslassen, dass Frauen niemals Jägerinnen gewesen sein könnten, steht der visuelle Kommentar für sich.

Generell zeichnet Steen nicht nur nach, sondern denkt kreativ weiter. So formuliert sie etwa ihre eigene hochspannende Abstraktionshypothese darüber, warum Menschen geometrisch geformte Lebensmittel bevorzugen (hier kein Spoiler).

Der Comic gönnt sich zahlreiche Skurrilitäten und Nebenstränge: Honigameisenarbeiterinnen, die über berufliche Laufbahnen diskutieren; Rotkäppchens Großmutter, die buchstäblich aus dem Bauch heraus anatomische Einschätzungen zum Wolf abgibt; popkulturelle Verweise von Shopping Queen bis zur öffentlich-rechtlichen Kochshow im Steinzeit-Format.

Steens Seitenhiebe sitzen, en passant in Text oder Bild thematisiert werden zum Beispiel das prekäre Uni-System, Mental-Load-Aufteilungen in „progressiven“ Paarhaushalten, Smartphone-Sucht und Proteinobsessionen unserer Gegenwart.

Tine Steen: „Die kochenden Affen“, Avant, 296 Seiten, 29 Euro

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Auch für die Meta-Ebene ist gesorgt: Eine kritische Leserin im Comic hinterfragt regelmäßig stereotype Darstellungsweisen; Steens Alter Ego antwortet. Der Entertainmentfaktor ist hoch, nicht zuletzt wegen der integrierten archaischen Steinzeit-Rezepte, die oft mit nur einem Schritt, dafür aber mit erstaunlich viel Blut daherkommen.

„Die kochenden Affen“ ist damit nicht nur ein Sachcomic für alle, die Kochen oder Anthropologie lieben, sondern ein vergnügliches, kluges, wildes Ding für Comic- und Sachbuchfans aller Couleur. Übrigens: Wir befinden uns auch am Ende der fast dreihundert Seiten noch immer in der Steinzeit. Steen hat weitere Bände angekündigt. Gut so.

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