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Surrealistische Momente: Eine Seite aus „Die schwebenden Liebenden“.

© Avant

„Die schwebenden Liebenden“: Tanz übers Papier

Marion Fayolles Bilderzählung „Die schwebenden Liebenden“ verhandelt auf spielerische Weise zeitlose Beziehungsfragen.

Er liebt seine Partnerin – und nicht nur die. Der namenlose Mann im Zentrum von Marion Fayolles „Die schwebenden Liebenden“ begehrt das weibliche Geschlecht so sehr, dass er dabei manchmal den Kopf verliert. Und das ganz wörtlich, denn in dieser an ein Tanztheaterstück erinnernden Bilderzählung drücken die Körper der Akteure unmittelbar deren Gefühle aus, was immer wieder zu surrealistischen Momenten führt.

Da wendet sich der Oberkörper der Hauptfigur der Lebenspartnerin zu, während der Unterleib sich losgelöst einer anderen Person nähert. Da erfindet sich eine Frau ständig neu – und für jede ihrer Inkarnationen steigt eine weitere Version ihres Kopfes in Form eines Luftballons in den Himmel. Und da ist eine andere Figur sich selbst so fremd, dass sie ohne den vermeintlich starken Mann an ihrer Seite alle Farben verliert, bis sie nur noch aus einer Umrisslinie besteht.

Wie Papiertheater-Szenarien aus dem 19. Jahrhundert

Insgesamt vier Frauen sind es, denen die Hauptfigur ihr Herz schenkt. Und mit jeder verbindet den Mann eine besondere, auf unterschiedliche Weise neurotische Beziehung, für die die 30-jährige Fayolle passende Bilder von klassischer Ästhetik findet.

Mit strengen Parallelschraffuren, Pastellfarben und im Aquarellstil gehaltenen Hintergründen beschwören ihre Seiten Bilder von Papiertheater-Szenarien aus dem 19. Jahrhundert herauf, die als einer der Vorläufer des modernen Comics gelten.

Die teils in gereimten Liedversen vorgetragenen Dialoge verstärken den altmodischen Charme dieser Ménage a cinq. Dazu passt, dass einige von Fayolles Figuren sich auch in noch so romantischen Situationen mit dem formalen „Sie“ anreden.

Wüsste man nicht, dass die Autorin für dieses Buch zu Jahresbeginn den Spezialpreis der Jury beim Comicfestival in Angoulême erhalten hat, könnte man es streckenweise für ein neu entdecktes historisches Werk halten.

Allerdings stecken hinter der anachronistisch anmutenden Fassade ein feiner, oft ironischer Humor und ein feministisch geschulter Blick auf das Geschlechterverhältnis. So ist das in sechs Akte aufgeteilte Stück dann doch eine erfrischend moderne Auseinandersetzung mit einem zeitlosen Thema.

Marion Fayolle: Die schwebenden Liebenden, Avant, aus dem Französischen von Anja Biemann, Handlettering Olav Korth, 256 Seiten, 35 Euro.

Das Cover des besprochenen Bandes.
Das Cover des besprochenen Bandes.

© Avant

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