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Drachist Marvin ist eine der Hauptfiguren der Serie

© Illu: Reprodukt

Fantasy: Das große Fressen

Seit zehn Jahren entzückt die französische Fantasy-Parodie "Donjon" mit Ungeheuern, Intrigen und scheiternden Helden.

Da ist Nubbel, das pausbäckige Monster, das aussieht wie eine Kreuzung aus Kröte und Tennisball. Seit 20 Jahren ist Nubbel im Donjon angestellt, nur dafür zuständig, abenteuerlustige Helden zu verschlingen, die sich ins Verlies wagen. Damit Nubbel nicht langweilig wird, behält er gelegentlich die verspeisten Feinde im Maul, anstatt sie runterzuschlucken. „Scho hat man länger wasch davon“, erklärt er seinem Vorgesetzten, und gleichzeitig entfahren ihm die übelsten Flüche, die kommen von einem glücklosen Krieger in seinem Maul.

Eigentlich ist Nubbel bloß ein Nebencharakter der Serie. Und trotzdem ist er unverzichtbar, weil keine Figur in diesem Kosmos so sehr verkörpert, was Joann Sfars und Lewis Trondheims Donjon-Serie ausmacht: die Gleichzeitigkeit von bitterböser, teilweise unerhört brutaler Gewalt und allgegenwärtiger Melancholie. Wenn Monster Nubbel nach 20 Jahren einmal auf eine Reise darf, wird er garantiert nur sehr langsam vorwärtskommen, weil er zwischendurch aus Versehen sein Reittier verspeist. Die Welt des Donjon wäre unheimlich traurig, wenn sie nicht so lustig wäre.

Seit gut zehn Jahren begeistert die französische Fantasy-Parodie inzwischen auch eine wachsende deutsche Fangemeinde. Die ersten Bände erschienen bei Carlsen, seit 2004 liegen die Rechte in Berlin bei Reprodukt. Zentrum der meisten Geschichten ist ein riesiges Burgverlies, der Donjon eben, das von einem kauzigen, kleinen Vogel als Abenteuerspielplatz für lebensmüde Glücksritter betrieben wird. Die geniale Geschäftsidee: Wer sich traut, darf im Inneren des Donjon nach einem legendären Schatz suchen, Labyrinthe durchqueren und wahllos Monster erschlagen. Meistens sind es aber doch die Monster, die erschlagen – oder erdrücken, zerhacken, sich einverleiben und genussvoll verdauen und so mit der verwaisten Ausrüstung der Eindringlinge den Schatz des Donjon mehren. Die Darstellung der Gewalt ist explizit, aber immer auch originell, und weil man im Laufe der Bände viel über Karrierewünsche, Versagensängste und sonstige Spleens der Ungeheuer erfährt, sympathisiert man unweigerlich mit ihnen.

Mehr als 300 Bände geplant

Mit einer Geste des Größenwahns haben Sfar und Trondheim allein die Haupthandlung von Donjon auf insgesamt 300 Bände angelegt, wohl wissend, dass diese Serie niemals beendet wird, jedenfalls nicht zu Lebzeiten ihrer Gründer. Dazu kommen diverse Spin-offs, und trotz zahlreicher Gastzeichner wie Christophe Blain und Manu Larcenet hinkt der Output hinter den Erwartungen der treuen Leserschaft hinterher.

Dafür hat bisher keiner der erschienenen Bände enttäuscht. In und außerhalb des Verlieses wimmelt es von zwielichtigen Gestalten, Intriganten, Hochstaplern und, in doppelter Hinsicht, Halsabschneidern. In ihrem Einfallsreichtum erinnert die Serie an Walter Moers’ Zamonien-Romane, und nebenbei verhöhnt sie alles, was an Fantasy-Comics und -Literatur so oft stört: Machismo, Heldentum, unsinnige Ehrbegriffe, Sexismus, Waffenvernarrtheit und ewige Schwarz-Weiß-Malerei. Vor allem huldigt Donjon der Schönheit des Scheiterns. Im gerade erschienenen Band „Der Herr der Automaten“ etwa versucht ein einäugiges Krakenwesen, die Herrschaft über den Planeten zu erlangen. Zuerst legt es dafür seinen bürgerlichen Namen „Robert der Bedürftige“ ab, lässt sich von Untertanen nur noch mit „Das Absolute Böse“ ansprechen. Dann kommt der Schuft in den Besitz eines Stiefels, der ihm ungeheure Macht verleiht, sobald er es schafft, auf dessen Leder zu weinen. Bloß woher sollen die Tränen kommen? Als das absolut Böse ist man schließlich nie traurig. Immer nur böse.

Angesichts der vielen Zeit- und Handlungsstränge muss man als Leser bezweifeln, dass die Macher überhaupt einen Masterplan verfolgen. Wahrscheinlicher ist, dass die ohnehin vielbeschäftigten Zeichner ihr aufgeblasenes Fantasy-Universum eines Tages abrupt für eingestellt erklären werden. Deshalb verhält es sich mit der Serie wie mit ihren Protagonisten: Man sollte sie besser nicht zu lieb gewinnen – sie könnten im nächsten Augenblick tot sein.

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