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Gezeichnetes Tagebuch: Gary Andrews in einer Szene aus seinem Skizzenbuch.

© Gary Andrews

Gezeichnete Trauerarbeit: Plötzlich war er Witwer

Der Zeichner Gary Andrews erzählt in „Finding Joy“ vom Tod seiner Frau und dem Alltag als alleinerziehender Vater. Jetzt ist sein Buch auf Deutsch erschienen.

Auf einer Geschäftsreise erfährt Gary Andrews, dass seine Frau schwer erkrankt ist. Bevor der Illustrator wieder in Schottland ankommt, stirbt Joy an einer Blutvergiftung. Der Mittfünfziger ist plötzlich alleinerziehender Vater von zwei kleinen Kindern. Seiner neuen Aufgabe und seiner Trauer gibt er Raum in seinen täglichen Zeichnungen, die er twittert und in einem Buch veröffentlicht. Jetzt ist „Finding Joy“ (Lübbe, 192 Seiten, 16 Euro) auf Deutsch erschienen.

Für Andrews ist es zunächst eine neu zu erlernende Kunst, das Leben irgendwie am Laufen zu halten. So wird das tägliche Zeichnen eine Art Therapie, die den tiefen Trauerschmerz heilen lässt. Mit „Finding Joy“ hält der Leser einen intimen Teil dieses Prozesses in den Händen. Hier zeigt der Schotte in beeindruckenden Comics, wie sich Trauer anfühlt.

Dem Gefühl der Trauer hat sich im vergangenen Herbst auch Melanie Garanin in „Nils“ (Carlsen, 200 Seiten, 22 Euro) in einer Graphic Novel gewidmet. Die deutsche Illustratorin verarbeitet darin das Sterben und den Tod ihres jüngsten Sohnes.

Nils war 2015 an Leukämie erkrankt, starb jedoch an einer Bauspeicheldrüsenentzündung; die Eltern sehen Fehler in der medizinischen Behandlung, ihre Klage wurde aber abgewiesen. Andrews klagt zwar in seinem Buch nicht an, gibt am Ende aber einige Ratschläge zur Erkennung einer Sepsis, der Todesursache seiner Frau.

Zu Beginn führt Andrews kurz und zugleich eindringlich ein, wie Joy und er sich kennen und lieben gelernt haben. An eine Beziehung wagte er zunächst nicht zu denken - „schließlich war sie umwerfend schön und ich fünfzehn Jahre älter und einige Zentimeter kürzer.“ Beide einte seinen Worten nach der Humor, der auch an vielen Stellen des Buchs aufblitzt. Und plötzlich habe es gefunkt - es folgten Hochzeit, die Geburt von Tochter Lily und von Sohn Ben.

Jede Seite ist ein kleines Kunstwerk

Ein gebrochenes rotes Herz: Einer der wenigen Farbtupfer im Buch folgt auf die Erzählung der schrecklichen Ereignisse im Oktober 2017. „'Finding Joy' ist eine Hommage an die Liebe, die ich erleben durfte, und ich empfinde es als große Ehre, etwas von dieser Liebe auf den folgenden Seiten zu teilen“, schreibt Andrews.

Eine weitere Szene aus Gray Andrews' Skizzenblock.
Eine weitere Szene aus Gray Andrews' Skizzenblock.

© Promo

Jede Seite ist ein kleines Kunstwerk. Auf dem festen, braunen Papier stehen die Zeichnungen mit feinen schwarzen, grauen und weißen Strichen im Mittelpunkt und spiegeln die Gefühle der Familie wider - nicht nur Niedergeschlagenheit, Wut und Zerstreutheit, sondern auch Glück, Freude und Hoffnung.

Die weichgezeichnete Silhouette von Joy zeigt immer wieder, wie allgegenwärtig die verstorbene Frau und Mutter im Alltag ist. Kurze Sätze fangen die Situationen auf. So wie der Witwer den „Trauerdämon“ mit der Zeit besiegt beziehungsweise einen „Waffenstillstand“ mit ihm aushandelt.

[Die Berliner Zeichnerin Tina Brenneisen erzählt in ihrer Graphic Novel „Das Licht, das Schatten leert“ vom Tod ihres Kindes - mehr dazu hier.]

Die Arme weit von sich gestreckt, zeichnet Andrews sich allein in einem Wagen auf der Achterbahn. Höhen und Tiefen habe er erlebt, aber verblüffend sei für ihn gewesen, wie die Kids mit den neuen Herausforderungen zurechtkamen. „Wie mich meine Kinder zurück ins Leben führten“, heißt es auf dem Buchcover.

Gary Andrews und seine Kinder auf dem Titel des besprochenen Buches.
Gary Andrews und seine Kinder auf dem Titel des besprochenen Buches.

© Lübbe

Insbesondere deren Energie und Lebensfreude würden ihn immer wieder beseelen, beschreibt der Vater. Aber wohl auch ihre Ehrlichkeit: „Ich mag deinen Bart, Daddy“, sagt Ben - und weiter: „Ja, er versteckt dein Truthahn-Kinn!“ Andrews rafft daraufhin sich zu einem Sportprogramm auf.

Der Autor unterstreicht, dass „Finding Joy“ keine „Anleitung zum Trauern“ sei. „Ich bin kein Experte auf dem Gebiet und kann keine Zauberformel anbieten“, schreibt er. Er hoffe jedoch, dass seine Erfahrung anderen Betroffenen helfe und diese sogar über das ein oder andere schmunzeln könnten.

Für alle Nicht-Betroffenen kann sein Buch eine Entdeckungstour zu den eigenen Glücksmomenten werden. Die Szenen, die Andrews in seinen Illustrationen erfasst, regen das eigene Erinnern an und helfen im Alltag, auch die kleinen Dinge wertzuschätzen - und buchtitel-getreu die Freude zu finden. (KNA)

Rainer Nolte

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