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Merkwürdig fremd: Thoreau beim Erkunden seiner Umgebung.

© Knesebeck

Graphic Novel: Der erste Aussteiger

Er lebte in den Wäldern, rief zum zivilen Ungehorsam auf und inspirierte Mahatma Gandhi – Henry David Thoreau. Die Comic-Biographie „Das reine Leben“ schafft es jedoch nicht, aus diesem Grundstoff mehr als ein braves Porträt zu machen.

Aussteiger zu sein ist heute ein anerkanntes Lebensmodell: Niemand reagiert mehr mit Verachtung oder Spott auf jene, die der Zivilisation den Rücken gekehrt und sich zu einem Leben in der Natur entschlossen haben, sondern vielmehr mit Ehrfurcht und sogar ein bisschen Neid. 1845 sah das noch anders aus. In diesem Jahr bezog der amerikanische Schriftsteller und Philosoph Henry David Thoreau eine selbstgebaute Hütte von zehn Quadratmetern in den Wäldern von Massachusetts und lebte zwei Jahre als Selbstversorger. Das war damals noch etwas ziemlich Ungewöhnliches für einen angesehen Bürger der Mittelklasse, der später zu einem Vorbild der Öko- und Hippie-Bewegung werden sollte. Als Begründer des Prinzips vom Zivilen Ungehorsam ist Thoreau zudem bis heute eine Ikone für Bürger- und Menschenrechtler – Mahatma Gandhi und Martin Luther King gehörten zu seinen Lesern.

Die 2012 – dem 150. Todesjahr Thoreaus - auf Deutsch erschienene Comic-Biographie „Henry David Thoreau – Das reine Leben“ gibt die Möglichkeit zu einen etwas anderen Erstkontakt mit dem Philosophen. Text und Kolorierung hat der Franzose Maximilien Le Roy („Die Mauer“) übernommen, der schon mit seinem Zeichnungen für die Comic-Biographie „Nietzsche“ eine eindrucksvolle Leistung bewiesen hat. Gezeichnet hat „Das reine Leben“ allerdings nicht Le Roy sondern der 1970 in Toulouse geborene A. Dan, der erst spät zum Comic gekommen ist: Während eines Festivals in Algier begegnete er Le Roy und entwickelte mit ihm die Idee zum Thoreau-Comic.

Meditationen in der Natur

Die Geschichte beginnt mit dem Bau der Hütte am Walden-See, welcher Thoreaus berühmtestem Werk „Walden. Das Leben in den Wäldern“ den Titel gab: Thoreau pflanzt Getreide an, liest Diogenes, hackt Feuer-Holz, beobachtet Ameisenkämpfe, führt Gespräche mit Wanderern und meditiert in der Natur. Im Gegensatz zu diesem sehr idyllischen Leben steht sein Kampf gegen die Sklaverei, der ihm unter anderem eine Nacht im Gefängnis beschert, weil er sich aus Protest weigert, Steuern an den amerikanischen Staat zu zahlen. Zwiespältig ist sein Verhältnis zum Abolitionisten John Brown, der nach einem angeführten Sklaven-Aufstand gehängt wird, und im Comic quasi eine Parallelfigur zu Thoreau darstellt.

Querdenker und Naturromantiker: Thoreau und die berühmte Hütte.
Querdenker und Naturromantiker: Thoreau und die berühmte Hütte.

© Knesebeck

Auch wenn die Biographie Henry David Thoreaus sicher eine Bearbeitung wert ist, weiß „Das reine Leben“ nicht wirklich zu überzeugen: Die zwar schönen aber trotz kräftiger Farben nicht sehr abwechslungsreich kolorierten Zeichnungen können einfach nicht die Poesie und Detailverliebtheit des „Walden“-Tagebuchs einfangen, die Handlung bleibt unspektakulär. Es ist unverständlich, warum Le Roy, der mit Sicherheit ein besserer Zeichner als Szenarist ist, die grafische Gestaltung nicht komplett übernommen hat, wo dies seine eigentliche Stärke ist. Zudem schaffen es die Autoren nicht, ihren Respekt vor Thoreau zu überwinden, welcher einem während des ganzen Comics merkwürdig fremd bleibt. Eine wirkliche Einführung in das Denken eines Philosophen zu leisten, gelingt Le Roy und A. Dan trotz deutlicher Begeisterung für das Thema nicht.

Verklärt und distanziert zugleich

„Das reine Leben“ ist paradox: Der Comic selbst zeigt Thoreau weitgehend so, wie ihn die Nachwelt in Erinnerung hat: Als eigenbrötlerischen, sympathischen Querdenker und Naturromantiker, der mit den Indianern durch die Wälder streift und entlaufenen Sklaven bei der Flucht hilft. Das umfangreiche Interview mit dem amerikanischen Literaturwissenschaftler Michel Granger, das dem Comic angehängt ist, hinterfragt Werk und Leben Thoreaus jedoch weitaus kritischer: Dass der Philosoph durchaus Gewalt als Mittel des politischen Widerstands befürwortete, kommt im Comic nicht so klar durch, ebenso wie Thoreaus Frauenhass und der Umstand, dass seine berühmte Hütte nur zwei Kilometer vom Haus seiner Eltern entfernt stand. Man muss sich fragen, warum diese Aspekte erst im Anhang (mit vielen Fotos der Hütte) mitgeliefert und nicht gleich in den Comic eingearbeitet wurden, der vor diesem Hintergrund etwas naiv in seiner Darstellung wirkt.

Oberflächliche Annäherung: Das Buchcover.
Oberflächliche Annäherung: Das Buchcover.

© Knesebeck

Es bleibt eine Comic-Biographie, die man zwar gerne liest und die optisch zweifellos viele Momente des Genusses bereithält, die jedoch über einen schlaglichtartigen Blick auf Henry David Thoreaus Leben kaum hinausgeht. Wer sich anschickt, das Leben eines praktizierenden Anarchisten nachzuzeichnen, muss schon mit etwas mehr Leidenschaft und Schärfe für die behandelte Figur zu Werke gehen.

Maximilien Le Roy, A. Dan: Henry David Thoreau - Das reine Leben, Knesebeck 2012, aus dem Französischen von Anja Kootz, 88 Seiten, 22 Euro

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