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© Illustration: Simmonds/Reprodukt

Graphic Novel: Die Begierden der Intellektuellen

Seit Donnerstag läuft die Comic-Verfilmung „Immer Drama um Tamara“ im Kino. Die Autorin der Vorlage „Tamara Drewe“, Posy Simmonds, ist in Großbritannien schon lange eine gefeierte Autorin - höchste Zeit, ihre Comics auch in Deutschland zu entdecken.

Die Idylle und Beschaulichkeit, die das englische Anwesen Stonefield ausstrahlt, verdanken sich dem Credo seiner Besitzer. Denn auch wenn man es dem Ort nicht ansieht: Hier wird hartnäckig gearbeitet. Oder selbiges zumindest simuliert. Stonefield ist ein Refugium für Schriftsteller, denen ihr Handwerk nur fernab vom urbanen Raum und den unumgänglichen Alltagsverrichtungen gelingt. Für diese Rahmenbedingungen sorgt bis hin zur Selbstaufgabe die in Verdrängung hochgradig geübte Beth Hardiman. Daneben ist sie organisatorische Stütze ihres ebenfalls schreibenden Gatten, den eitlen wie erfolgsverwöhnten Krimiautoren Nicholas. Der dankt es ihr mit regelmäßigen Bettgeschichten, um seine kreativen Impulse anzutreiben, was Beth nach 25 Jahren Ehe zähneknirschend und resigniert hinnimmt.

Mit der Ankunft der attraktiven Klatschkolumnistin Tamara Drewe verschwindet auch bald die Ruhe vor dem Sturm, und es entwickelt sich ein Intrigenspiel, geboren aus Lügen, Eifersucht und vergeigten Träumen, das auch noch weitere Bewohner betreffen wird. Am Ende gibt es zwei Tote.

Posy Simmonds zeichnet bereits seit Jahrzehnten Comics, Cartoons und Illustrationen für den „Guardian“ (wo auch die Comic-Erzählung „Tamara Drewe“, deren Verfilmung an diesem Donnerstag bei uns in die Kinos kommt, zunächst veröffentlicht wurde) und ist in England längst eine gefeierte Autorin und Zeichnerin. Hierzulande wurde sie bislang lediglich als Kinderbuchautorin präsentiert. Die Veröffentlichung ihrer zweiten langen (und ersten ins Deutsche übersetzen) Comicerzählung bei Reprodukt füllt fürs erste eine hiesige Editionslücke.

Formal ist dieses Werk sehr ungewöhnlich: Der karikatureske Strich verleiht wirklich jeder der Figuren eine differenzierte Tiefgründigkeit, die jederzeit die Paradoxie ihrer Gefühlswelten vermittelt und ihnen selbst in den würdelosesten Momenten ein identitäres Gerüst anverleibt. Das wird auch durch das multiperspektivische Erzählen und die ungewöhnliche Wort-Bild-Fusion errichtet: Panelreihen und Prosa befinden sich im ständigen Wechsel. Die Interaktionen der Figuren innerhalb der Bilder werden regelmäßig begleitet von ihren Selbstbeschreibungen in Textform. Tamara Drewe bleibt dabei lediglich außen vor: Ihre Sicht gibt es lediglich in den ebenfalls abgedruckten Kolumnen zu lesen.

Paradoxe Gefühle: Gemma Arterton als Zeitungskolumnistin Tamara Drewe in Stephen Frears' Verfilmung.
Paradoxe Gefühle: Gemma Arterton als Zeitungskolumnistin Tamara Drewe in Stephen Frears' Verfilmung.

© Promo

Das ist weit mehr als bloßes Spiel mit den Materialien oder eine (sehr gelungene) Strategie der Charakterisierung: Die Geschichte will auch mit tragisch-spielerischem Humor die Befindlichkeiten des gut betuchten Teils der bürgerlichen Mittelschicht betrachten. Dafür greifen nicht bloß Mittel des Sarkasmus, etwa wenn ein Autor über die Wiesen mit roter Mütze stolziert, die signalisieren soll, dass er während seiner Überlegungen nicht gestört werden will, sondern auch Mittel, die eher als soziologische Beobachtungen gelten können.

Durch die stilistische Verknüpfung von äußerem Handeln und innerer Wahrnehmung entsteht immer wieder ein Eindruck von der Brüchigkeit dieser Scheinwelt, sei es der innere Rückzug als Verleugnung der kreativen Flaute, die Teenager-Hoffnung auf die erwiderte Liebe mit dem Rockstar oder die Illusion einer glücklichen Ehe. Sämtliche Charaktere handeln da sehr habituell gebunden. Das ließe sich auf der reinen Beobachterebene allerdings nur schwer vermitteln. So hingegen offenbart sich ein Schauspiel, das nicht nur um des lieben Friedens willen, sondern auch aus Furcht, den eigenen Sehnsüchten Glauben zu schenken, vollführt wird. Milieus bieten da wenig Freiheit, das gilt auf Autorenlesungen ebenso wie für das Spielfeld Liebe.

Tamara Drewe hingegen teilt ihre Befindlichkeiten unmittelbar mit der Öffentlichkeit. Und das auch erst, nachdem sie durch einen chirurgischen Eingriff ihre Nase korrigieren ließ. Dass ihr Aussehen sie nun ausgerechnet zur Chronistin der Glamourwelt verdammt, obwohl sie sich langsam an einem eigenen Roman versuchen möchte, darf da schon sehr sarkastisch verstanden werden. Denn nicht nur ihr Image lässt kaum Möglichkeit zur Flucht, an ihm entflammen sich letztlich auch die Begierden der Intellektuellen um sie herum. Das macht Tamara Drewe, trotz Happy End, zu einer ziemlich tragischen Figur. Man kann daraus zumindest erahnen, was Beth und Nicholas vor 25 Jahren zusammengeführt haben mag.

Posy Simmonds (Text & Zeichnungen): Tamara Drewe. Aus dem Englischen von Uli Pröfrock, Handlettering von Michael Hau. Reprodukt, 136 Seiten, 20 Euro. Mehr Informationen und Leseprobe unter diesem Link. Das Vorgängerwerk zu „Tamara Drewe“, „Gemma Bovery“, soll im kommenden April auf Deutsch bei Reprodukt erscheinen, wie der Verlag kürzlich ankündigte.

Mehr zum Film unter diesem Link, eine ausführliche Rezension folgt in Kürze.

Die Website unseres Gastautors Sven Jachmann findet man unter diesem Link.

Sven Jachmann

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