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Odyssee durch den iranischen Sicherheitsapparat: Eine Seite aus dem Buch.

© Edition Moderne

Graphic Novel: Dreistes Ungeziefer

Eine grandiose Erzählung, die alle Rahmen sprengt: Der iranische Zeichner Mana Neyestani verarbeitet in der Graphic Novel „Ein iranischer Albtraum“, wie er wegen einer Kinderzeichnung zum politischen Verfolgten wurde.

Am Ende ist es wohl die bittere Ironie von Mana Neyestanis Geschichte, dass in ihrem Mittelpunkt ebenso ein Insekt steht wie in Franz Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“. Im Fall des iranischen Zeichners ist dieses Insekt eine Kakerlake, die er in den Mittelpunkt eines Kinder-Comicstrips für ein iranisches Reisejournal gestellt hat. Dieser Kakerlake hat er das Wörtchen „Namana“ in den Mund gelegt, „Namana“ wie „Blablabla“ im Deutschen oder „Patati-Patata“ in den romanischen Sprachen. Im Persischen wird „Namana“ ähnlich verwendet. Ursprünglich stammt das Wörtchen aber aus dem Aserbaidschanischen und heißt „Was“. Und wenn eine Kakerlake in einem ethnisch zerrissenen Land plötzlich die Sprache einer Minderheit spricht, kann das verheerende Konsequenzen haben.

Dem aserbaidschanischen Iraner Mana Neyestani, einer der bekanntesten politischen Karikaturisten Irans, ist dieser Umstand zum Verhängnis geworden. Tausende Aserbaidschaner fühlten sich in ihrer ethnischen Identität beleidigt und gingen auf die Barrikaden. Bei den landesweiten Unruhen nach der Publikation von Neyestanis Comicstrip im Frühsommer 2006 kam es zu Ausschreitungen mit zahlreichen Toten. Als „Cockroach Cartoon Controversy“ sind die Unruhen selbst in der Welt des Online-Lexikons Wikipedia vertreten. Allein das ist schon ein Irrsinn, eine Idiotie, aber das ist erst der Anfang einer Odyssee durch den iranischen Sicherheitsapparat und das europäische Asylsystem, von der Neyestani in seinem Comic „Ein iranischer Albtraum“ erzählt.

Irrsinn des europäischen Asylsystems

Mana Neyestani und sein Chefredakteur Mehrdad Ghassemfar wurden nach den ersten Ausschreitungen vom Mullahregime „in Sicherheitshaft“ genommen und sollten während ihrer vermeintlichen Schutzhaft eine Erklärung verfassen, mit der die Gemüter beruhigt werden sollten. Eine Unmöglichkeit, wie sich schnell zeigen sollte, denn der Iran ist ein gespaltenes Land, in dem jede Ethnie ihre eigene Unterdrückungsgeschichte hat, die tief in den Eingeweiden der Menschen wurzelt. Ein Kindercomic reicht, um Gewalt und Blutvergießen auszulösen. Im berühmt-berüchtigten Evin-Gefängnis vor den Toren Teherans werden der Zeichner und sein Chefredakteur Verhören unterzogen. Um den Druck auf sie ständig zu erhöhen, lässt man sie nicht zur Ruhe kommen und verlegt sie ständig. Lesend begegnet man den typischen Totschlagargumenten in politischen Diktaturen: „Vergessen sie nicht, sie sind angeklagt, die nationale Sicherheit gefährdet zu haben. Stellen sie sich vor, ihr Richter weiß, dass sie mit Systemgegnern zusammengearbeitet haben. Er würde behaupten, sie haben dieses Chaos absichtlich verursacht.“ Neyestani und Ghassemfar durchlaufen wie zwei im Wüstensand gestrandete Odysseus-Wiedergänger die unterschiedlichen Stationen der politischen Gefangenschaft.

Einen Hafturlaub nutzt Neyestani, um mit seiner Frau aus dem Iran zu fliehen und sich nach der Irrfahrt durch das doppelbödige iranische Gefängnissystem mitten im Irrsinn des europäischen Asylsystems wiederzufinden. Auslieferungsabkommen, diplomatische Sensibilitäten und Aspekte der politischen Verfolgung bilden plötzlich die Wirklichkeit, die ihn umgibt – und die das Paar von Europa trennt. Bildhaft spitzt Neyestani den europäischen Blick auf ihn und seine Frau zu, indem er sich das Erscheinungsbild eines arabischen Hinterwäldlers und seiner Frau einen Schleier verpasst, während sie einem skeptischen niederländischen Konsul in Dubai erklären, dass sie politisch verfolgt werden.

Anspielungen auf Leonardo da Vinci und „Robinso Crusoe“

Für den Zeichner und Karikaturisten Mana Neyestanis lag es nahe, die kafkaeske Wirklichkeit, der er ausgeliefert war, in Worten und Bildern zu erzählen. Dabei kann er fast schon an eine Tradition der regimekritischen iranischen Bildgeschichte anschließen, angefangen von Marjane Satrapis autobiografischer „Persepolis“-Erzählung bis hin zu Amir Khalil Reportagecomic „Zahra’s Paradise“. Neyestanis surreale Geschichte „Ein iranischer Albtraum“ erweitert diese regimekritische Comic-Reihe mit einer Erzählung, die sowohl die Grenzen zwischen Verstand und Wirklichkeit als auch die zwischen Stoff und Medium sprengt. Ikonisch hat Neyestani seine Geschichte an die großen Welterzählungen angeschlossen, was bildhafte Anspielungen auf Leonardo da Vincis „Letztes Abendmahl“ sowie Verweise auf Carlo Collodis „Pinocchio“ oder Daniel Defoes „Robinso Crusoe“ beweisen.

Kafkaesk: Eine Seite aus dem Buch.
Kafkaesk: Eine Seite aus dem Buch.

© Edition Moderne

In schraffierten, unprätentiösen und klaren Schwarz-Weiß-Zeichnungen hat Neyestani zwei wesentliche Motive seiner Erinnerungen herausgearbeitet, die sich parallel als Leitmotive durch den Comic ziehen. Dies ist zum einen das Bild der sich selbstständig machenden Kakerlake, die nicht nur das Panel verlässt, in die Neyestani sie gezeichnet hat, sondern komplett aus der Welt des Papiers in die Wirklichkeit getreten ist. Neyestani lässt sie in seinem Comic vom Zeichnertisch springen und durch die erzählte Wirklichkeit wandeln. Wir sehen das Ungeziefer auf Landkarten in die aserbaidschanischen Regionen Irans und (gefolgt von Blutströmen) zurück bis in das berüchtigte Evin-Gefängnis laufen, wo Neyestani einsitzt. Dort erklimmt es die Bäume im Gefängnishof, kriecht in die Lücken der Gemäuers und unter den Zellentüren hindurch. Selbst vor den Träumen Neyestanis macht es keinen Halt. Und später sehen wir sie den Flieger in die vermeintliche Freiheit verfolgen. Die Kakerlake taucht im Laufe des 200 Seiten umfassenden Comics immer wieder wie ein Dämon auf und wird zum widerständigen, unheilbringenden Symbol.

Der Rahmen wird brüchig

Neben das Motiv der Kakerlake tritt die des Rahmens. Ein Rahmen grenzt immer ein, ist somit auch Symbol fehlender Freiheit. Als solchen verwendet ihn Neyestani in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen. Neben dem Gefängnis bildet die absurde Zwangslage, in der sich Neyestani befindet, die manifeste Wirklichkeit eines solchen, die Freiheit raubenden Rahmens. Die nächste „Umrahmung“ besteht in der manifesten Grenze des Irans, die der Zeichner und Karikaturist nur mit einem Trick überwinden kann. Doch damit ist er den einengenden Kästen keineswegs entronnen. Die Geschichte der einengenden Rahmen setzt sich in den Formularen der Asylanträge fort,  auf denen der fliehende Neyestani seine Fluchtumstände kurz beschreiben soll. Natürlich scheitert er daran. Nicht umsonst haben wir einen 200-seitigen Comic in der Hand, der Neyestanis kafkaeske Geschichte erzählt.

Die Kakerlake als Leitmotiv: Das Buchcover.
Die Kakerlake als Leitmotiv: Das Buchcover.

© Edition Moderne

Die Schraube des Rahmens dreht der iranische Zeichner, der inzwischen als politisch verfolgter Flüchtling in Frankreich lebt, aber noch weiter – hin bis zum Medium selbst, mit dem er arbeitet. Auf diese Weise macht er ganz nebenbei deutlich, was die Kunstform Comic zu leisten vermag. Es ist ja kein Zufall, dass die eigentliche Hauptfigur dieser Geschichte, die Kakerlake, gleich zu Beginn sämtliche Konventionen fahren lässt und aus dem Panel tritt, in die Neyestani sie ursprünglich gezwungen hat. In seinem Comic wird das Panel zum erzählerischen Medium. So wird der Bildrahmen ignoriert, wenn eine Gefahr grenzenlos scheint – wie im Falle des iranischen Richters Saïd Mortazavi und seiner über die Grenzen hinaus drohenden Gewalt. Das Panel erhält aber auch Bedeutung, wenn es von den Protagonisten bewusst gesprengt wird – wie im Fall der vorübergehenden Entlassung aus der Haft in die Freiheit. Hier wird das Durchbrechen des Rahmens – ähnlich wie bei den Formularfeldern auf den Asylanträgen – sogar Gegenstand der Handlung. „Bleib auf dem Boden, noch bist Du nicht endgültig frei. Es bringt nichts, wenn du jetzt abhebst und den Rahmen der Seite sprengst“, wird der erleichtert abhebende Neyestani im Comic von dem Haftrichter angeblafft. Das Panel wird auch brüchig, sobald Potenzialitäten und mögliche Perspektiven ins Spiel kommen – etwa wenn ein Schmuggler Neyestani und seiner Frau erklärt, wie er sie bis Europa schleusen will.

Auch bei den Dialogen setzt sich das Motiv des Rahmens als Barriere jeder Freiheit fort. Sämtliche Dialoge sind vom Rahmen der Sprechblasen eingegrenzt (das „freie Wort“, die Meinungsfreiheit, gilt im Iran nicht viel), während die Gedanken der Protagonisten frei im Panel stehen, ohne den begrenzenden Rahmen einer Gedankenblase. Die Gedanken sind frei… selbst im Iran. Nur hören darf sie keiner.

Mana Neyestani beweist sich als ebenso grandioser wie souveräner Erzähler, dem es formidabel gelingt, die Beklemmung seiner Erzählung auf das Papier zu übertragen. In der geistreichen Manier eines zeichnenden Kafkas hat er es verstanden, der Absurdität der erlebten Wirklichkeit, die wohl die meisten in die Sprachlosigkeit treiben würde, die richtigen Worte und passenden Bilder zu geben. Diese erzählen in ihrer gemeinsamen Bedeutung eine doppelbödige Geschichte unserer Zeit, die einem immer wieder den Atem nimmt.

Mana Neyestani: Ein iranischer Albtraum. Aus dem Französischen von Marin Aeschbach und Wolfgang Bortlik. Edition Moderne 2013. 200 Seiten. 24 Euro.

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