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Skurrile Figuren: Eine Szene aus dem Buch.

© Reprodukt

Graphic Novel: Ein Abenteuer namens Leben

Die epischen Graphic Novels „Blankets“ und „Habibi“ machten Craig Thompson zum international gefeierten Star des Autorencomics. Jetzt erscheint erstmals sein ergreifendes Debüt „Mach’s gut, Chunky Rice“ auf Deutsch.

Craig Thompson ist ein Multitalent. Sein Debütalbum „Mach’s gut, Chunky Rice“, das auf dem deutschsprachigen Buchmarkt nun endlich mit 13-jähriger Verspätung erschienen ist, bestätigt dies einmal mehr.

Der englischsprachigen Fachwelt fiel der Amerikaner mit diesem Album bereits 1999 auf, als er mit dem schmalen Band den renommierten Harvey Award als „Bestes neues Talent“ erhielt. Hierzulande machte Thompson erst sechs Jahre später mit seinem epischen Comic „Blankets“, einem ebenso schonungslosen wie einfühlsamen Rückblick auf die eigene Jugend im puritanischen Amerika, auf sich aufmerksam. Eingeweihte wussten nach dessen Erscheinen sofort, dass Thompson einer der ganz großen Comicautoren seiner Zeit ist. Was folgte, war eine lange Pause. Fast sechs Jahre war es still um den Amerikaner, so dass sich schon manche fragten, ob Thompson mit „Blankets“ seinen Zenit schon überschritten haben sollte (was keine Schande gewesen wäre). Bis im vergangenen Herbst schließlich seine märchenhafte Erzählung aus Tausendundeiner Nacht erschien. „Habibi“, ein Werk voller Fantasie, voller Politik- und Gesellschaftskritik, weitsichtig und mit philosophischer Tiefe. Dieser kunst- und liebevoll gezeichnete Comic überzeugte auch die letzten Bedenkenträger von Thompsons Klasse.

Nach diesem erneuten Erfolg wird nun endlich „Mach’s gut, Chunky Rice“ in einer deutschen Übersetzung nachgereicht. In diesem, mit knapp 130 Seiten vergleichsweise schmalen Band – „Blankets“ und „Habibi“ umfassten jeweils etwa 600 Seiten – erkennt man das Talent des Amerikaners in seinen Ursprüngen. Er vereint in dieser fabelhaften Geschichte das, was „Blankets“ und „Habibi“ jeweils auszeichnen: Er erzählt mitten aus dem Leben und überlässt der Fantasie die tragende Rolle dabei, ohne aber die Bindung zur Wirklichkeit zu verlieren.

Chunky Rice ist eine kleine Schildkröte, die gemeinsam mit dem etwas verwirrten Herrn Salomon ein altes Haus in einer namenlosen Hafenstadt bewohnt. Chunkys beste Freundin ist die kleine Maus Dandel, die täglich einen Stein an seine Fensterscheibe wirft, ihn auf ihren Gepäckträger steigen lässt und ihre Tage mit ihm am Strand verbringt. Chunkys Welt ist eine schräge, aber liebevolle Idylle. Wie allen großen Helden der Literatur reicht ihm diese Idylle aber nicht aus. Chunky will weg, will die Welt sehen und macht sich auf den Weg. Von dem Weg, der hinter ihm liegt, den Spuren, die er auf diesem hinterlassen hat und dem, den er noch vor sich hat, erzählt Thompsons herzergreifendes Comicdebüt.

Letzte Worte: Eine Szene aus dem Buch.
Letzte Worte: Eine Szene aus dem Buch.

© Reprodukt

Craig Thompson hat für die Geschichte seines tapferen Helden ein Universum skurriler Figuren erfunden. Neben Chunkys Freundin Dandel und seinem Mitbewohner Salomon begegnen uns noch dessen zur See fahrender Bruder Charles und seine „Schiffsköchin“ Eleonore, das schräge siamesische Zwillingspärchen Livona und Ruth sowie Chunkys flügellahme Nachmieterin Merle. Und alle haben eine Geschichte zu erzählen.

„Mach’s gut, Chunky Rice“ ist eine Fabel mit Tiefgang, vergleichbar mit Homers Odyssee, in der die großen Fragen des Lebens gestellt werden. Warum geht einer weg, wenn er doch alles hat? Warum lässt er seine große Liebe zurück und begibt sich in die große Unsicherheit? Was geht demjenigen in seinen schwachen Momenten durch den Kopf? Was unterscheidet Sehnsucht von Bequemlichkeit, Liebe von Gewohnheit? Was hinterlässt einer, der geht und was nimmt er mit? Fragen wie diese bilden den erzählerischen Rahmen dieser bewegenden Geschichte, die überall und nirgendwo spielt.

Schon in seinem Debüt beweist sich Thompson als genialer Jongleur von Wort und Bild, Zeit und Raum. Seine kleine, das Herz erwärmende Geschichte von Chunkys Odyssee aus dem alten Leben hinaus in ein neues steckt voller Lebensweisheit und Gelassenheit, wie man sie sonst nur von altersweisen Großeltern kennt und schätzt.

Vor der Trennung: Die beiden Hauptfiguren auf dem Buchcover.
Vor der Trennung: Die beiden Hauptfiguren auf dem Buchcover.

© Reprodukt

„Du bist gerade erst gegangen und schon erscheinen mir unsere gemeinsamen Orte so viel schöner und bedeutungsvoller“, sagt die zurückgelassene Dandel in einem Anfall von Liebe, nur um kurz darauf schmerzhaft festzustellen, dass ihre Welt mit Chunkys Weggang nicht bedeutungsvoller, sondern einfach nur leerer geworden sei. „Was nützt der atemberaubendste Blick aufs Meer schon ohne dich?“, lässt Thompson Dandel fragen, während er den Leser auf das traumhaft schöne, aber auch albtraumhaft leere Meer blicken und mit der zurückgelassenen Freundin mitfühlen lässt.

An seinem letzten Abend mit Dandel flüstert Chunky der bereits schlafenden Maus ins Ohr, dass sie sich keine Sorgen machen müsse. Schließlich sei er eine Schildkröte und trage sein Zuhause immer mit sich herum. Dass Zuhause aber mehr ist, als nur das sprichwörtliche Dach über dem Kopf, weiß Chunky nur zu gut. „Ist wahrscheinlich ein Fehler, zu gehen“, sagt er noch schläfrig, bevor ihm die Augen zufallen – um nach dem Aufwachen dennoch aufzubrechen in ein Abenteuer namens Leben. Vielleicht kommt er eines Tages zurück. Das ist dann eine andere Geschichte, auf die man sich schon jetzt freuen kann, sollte Craig Thompson sie einmal erzählen.

Craig Thompson: Mach’s gut, Chunky Rice. Aus dem Amerikanischen von Matthias Wieland, Handlettering von Céline Merrien, Reprodukt, 128 Seiten, 16 Euro.

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