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Graphic Novel: Im Niemandsland

Sensibel, klug und unterhaltsam obendrein: Wer die jetzt verfilmte Comicreihe „Scott Pilgrim“ mag, dürfte auch an Bryan Lee O’Malleys früher Erzählung „Lost at Sea“ Gefallen finden.

Bryan Lee O’Malley hat ein Händchen dafür, mit Witz und Sensibilität auch von eher deprimierenden Lebenslagen unangestrengt und unterhaltsam zu erzählen. Das hat der Kanadier mit seinem Millionen-Seller „Scott Pilgrim“, dessen Verfilmung derzeit im Kino läuft, zur Genüge bewiesen: Die Hauptfigur des Sechsteilers ist ein eigentlich bedauernswerter, unselbstständiger Loser, dessen Leben von Rückschlägen und falschen Entscheidungen geprägt ist – und trotzdem macht es großen Spaß, ihm dabei zuzusehen, wie er das Chaos am Ende doch noch irgendwie in den Griff kriegt.

Dass die gelungene Verbindung von sensibler Erzählkunst und unterhaltsamen Elementen nicht auf Scott Pilgrims Welt beschränkt ist, hat O’Malley vor seinem Welterfolg bereits mit einem anderen Buch bewiesen, das seit einiger Zeit auf Deutsch vorliegt und dem im Kielwasser von Scott Pilgrim jetzt ebenfalls eine größere Leserschaft zu wünschen wäre: „Lost At Sea“ erzählt die Geschichte der jungen Raleigh, die sich in jenem schwierigen biographischen Niemandsland zwischen dem Ende der Schulzeit und dem Beginn eines erwachseneren, selbstständigeren Leben befindet, in dem auch Scott Pilgrim seine Selbstfindungs-Abenteuer erlebt.

Während Scott Pilgrim dabei allerdings höchst unreflektiert durchs Leben trudelt, ist Raleigh so etwas wie ein Gegenentwurf zu O’Malleys bekanntester Figur: Sie grübelt viel und verliert sich in Selbstzweifeln, traurigen Erinnerungen und Verlustgefühlen.

Rückzug in die Fantasiewelt

Dabei scheint das Leben es äußerlich gut mit ihr zu meinen: Sie reist mit drei Schulfreunden durch die USA und ist auf dem Heimweg nach Kanada. Aber statt in der Gruppendynamik aufzugehen, wie Scott Pilgrim es tun würde, zieht sich Raleigh in ihre Gedanken- und Fantasiewelt zurück. Dabei wirkt sie trotz gelegentlicher froher Momente mit ihren Reisegefährten von der Außenwelt so abgekoppelt, dass sie nicht zu merken scheint, dass sie eigentlich mitten im Leben steht und viele ihrer Zweifel wenig mit dem realen Leben um sie herum zu tun zu haben.

Das alles erzählt O’Malley in knappen Dialogen und mit vielen inneren Monologen, denen man anmerkt, dass ihm die Gedankenwelt seiner Hauptfigur nicht fremd ist – er war gerade erst Anfang 20, als er die Geschichte der 18-jährigen Raleigh aufschrieb.

Von Manga und westlichen Comics inspiriert

Ähnlich wie bei Scott Pilgrim lockern auch hier spielerisch-surreale Momente die Handlung auf, wenngleich sie bei „Lost at Sea“ weniger überdreht daherkommen und sparsamer eingesetzt werden. So ist Raleigh überzeugt davon, dass eine Katze ihre Seele gestohlen hat und bringt ihre Freunde dazu, unter den Katzen der Umgebung nach der Diebin zu suchen.

O’Malleys halbrealistischer, leicht karikierender Zeichenstil ist hier so wirkungsvoll reduziert wie bei „Scott Pilgrim“, der kombinierte Einfluss von Mangas und westlichen Comics ist auch bei „Lost at Sea“ nicht zu leugnen.

Ein gutes Buch, um die Wartezeit auf O’Malleys nächstes Werk oder den nächsten auf Deutsch erscheinenden Scott-Pilgrim-Band (bislang liegen drei von sechs bei Panini vor) zu überbrücken.

Brian Lee O’Malley: Lost at Sea, Modern Tales 2006, 170 Seiten, 14,90 Euro. Leseprobe: www.moderntales.de/lost-at-sea.

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