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© Illustration: Tardi/Edition Moderne

Historiencomics: Pickelhauben und bunte Zielscheiben

Bis heute diskutieren Historiker über die Ursachen des Ersten Weltkriegs. In zwei groß angelegten Serien erinnern Jacques Tardi und Jean-Pierre Gibrat jetzt an das Leiden der Soldaten

Kann man den Schrecken eines Krieges in einem Comic einfangen? Genauer: den Schrecken des Krieges, mit dem die Tragödie des 20. Jahrhunderts ihren Ausgang nahm, des ersten industrialisierten Kriegs, des ersten Gaskriegs? Anfangs ein Krieg, der keinen kleinen Teil der nationalistisch aufgepeitschten Massen begeisterte und von dem hochmütige Generäle auf allen Seiten behaupteten, er wäre zu Weihnachten siegreich beendet und man würde, je nachdem, in Paris oder Berlin feiern. Am Ende dann ein Ermüdungskrieg, der aber immerhin angeblich gefochten werden musste, um Kriege für alle Zeiten zu beenden.

Bis heute beschäftigen die Historiker die genauen Ursachen des ersten Weltkrieges, wogegen die Leiden der Soldaten im Grabenkrieg angesichts des folgenden Horrors des industrialisierten Völkermordes und des nuklearen Infernos etwas verblasst sind. Fast nur noch anlässlich von besonderen Ereignissen, wie des Versterbens des letzten noch lebenden britischen Veteranen – Harry Patch, dessen Einsatz gegen den Krieg Radiohead einen Song widmeten – wird über diese grausame Seite des ersten Weltkriegs noch geredet und geschrieben. Der Grabenkrieg ist museal geworden – von den Zeichnungen von Otto Dix, die selten ausgestellt werden, den Fotos der Verwundeten im Berliner Antikriegsmuseum bis zur „Erbfeindschaft“ zwischen Deutschen und Franzosen, die noch bis zum 31. Januar 2010 im Deutschen Historischen Museum zu besichtigen ist.

Jacques Tardi (sowie sein Dokumentar Jean-Pierre Verney) und Jean-Pierre Gibrat wählen zwei ganz verschiedene Ansätze, um an die Leiden der „Poilus“ (Bärtigen) zu erinnern.

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Auf in den Kampf! In Gibrats Mattéo meldet sich der Protagonist freiwillig zum Kriegsdienst.

© Illustration: Gibrat/Salleck Publications/Eckart Schott Verlag

Tardi, dessen Großvater Veteran war und der in der Vergangenheit bereits mehrfach zum ersten Weltkrieg gearbeitet hat (z.B. in „Grabenkrieg“, Edition Moderne 2002), geht episodisch, ohne ständige und einfach erkennbare Protagonisten, und gleichzeitig dokumentarisch und chronologisch vor. Gibrat erzählt dagegen die Geschichte einer unerfüllten Liebe – oder eher Verliebtheit – vor dem Hintergrund des Krieges.

Die Bände sind jeweils die ersten Teile mehrteiliger Reihen. Sie sind in gewisser Weise komplementär, auch weil sie aus einer ähnlichen politischen Perspektive geschrieben sind. Die Autoren rücken die Unsinnigkeit in den Vordergrund, dass in ihren jeweiligen Ländern ausgebeutete und unterdrückte Menschen gegeneinander und mit großer Brutalität die Konflikte ihrer Herrscher ausfechten.

Dank der Exaktheit des Tardi-Bandes können wir die erste Gibrat-Seite entschlüsseln: Die Ermordung des Sozialisten Jaurés beendet in Frankreich alle Hoffnungen, dass sich die „Werktätigen“ grenzüberschreitend gegen den Krieg verbünden.

Und wenn Gibrats Mattéo, der spanische Exilant, der sich freiwillig meldet, um den Vorwürfen seiner Angebeteten zu entgehen, in feldgrauer Uniform und mit Stahlhelm zur Front zieht, wissen wir von Tardi, dass im ersten Kriegsjahr die Franzosen noch mit den kriegsunpraktischen blauroten Uniformen und Mützen als bunte Zielscheiben herumliefen (und auch die Deutschen erst später die albernen und völlig nutzlosen Pickelhauben mit Stahlhelmen vertauschten).

Es gibt also reichlich zu lernen – z.B. erzählt Tardi mit großer Sympathie von Fraternisierungen, Befehlsverweigerungen und von den Soldaten aus den Kolonien, für die ihre Beteiligung an diesem Krieg als völlig unwirklich erscheinen musste. Die „Boches“, die deutschen Frontsoldaten, werden vor allem als Menschen dargestellt, während Tardi für die Kriegstreiber auf französischer Seite nur Verachtung zeigt.

In beiden Bänden kann die unfassbar schlechte Qualität der französischen Schützengräben besichtigt werden. Bei einem Besuch im großartigen Museum zum ersten Weltkrieg in Kansas City, Missouri, dachte ich zuerst, die gemütlich Karten spielenden, lebensgroßen deutschen Soldatenfiguren in ihrem perfekt gezimmerten Schützengrabennachbau seien eine klischeehafte amerikanische Verbeugung vor „deutschen Tugenden“ und die Nachbauten der provisorischen, dreckigen und undichten französischen Löcher eine süffisante Kritik an französischer Unzuverlässigkeit – schließlich mussten es am Ende ja die Amerikaner richten (die Schützengräben der Engländer sind übrigens so la la, irgendwo dazwischen). Doch sowohl im Museum als auch bei Tardi lernt man, dass es Absicht war: die französischen Soldaten sollten es nicht zu gemütlich haben, damit sie eifriger französische Erde zurückerobern würden.

Zurück zur Ausgangsfrage. Die farbigen Bilder von einem Krieg, der in unseren Köpfen schwarz-weiß ist (wenn überhaupt) sind in beiden Bänden, vor allem aber bei Tardi, eindrucksvoll. Doch beide Ansätze greifen am Ende zu kurz. Bei Gibrat stört neben den z.T. schlecht unterscheidbaren Figuren die etwas konventionelle Geschichte (und doch will ich wissen, wie’s weitergeht). Tardis Werk ist dagegen vor allem ein Geschichtsbuch und letztlich etwas zu nüchtern und „gut gemeint“ für meinen Geschmack. Dennoch die Empfehlung: Beide zusammen lesen!

Tardi /Verney – Elender Krieg. 1914 – 1915 – 1916 (Band 1) Zürich: Edition Moderne
und
Jean-Pierre Gibrat – Mattéo. Erster Teil (1914-1915) Wattenheim: Salleck Publications/Eckart Schott Verlag

Unser Autor, der Politikwissenschaftler Dr. Thomas Greven, ist Senior Research Fellow am Institut für Internationale Politik, Berlin.

Thomas Greven

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