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Liebe zum Detail: Eine Szene aus Lutes' Epos, in diesem Fall vom Potsdamer Platz.

© Illustration: Lutes/Carlsen

Interview: „Berlin ist voller unbegrenzter Möglichkeiten“

Der US- Comicautor Jason Lutes arbeitet seit 1996 an seinem Epos „Berlin“. Heft. Im Tagesspiegel-Interview verrät Lutes, was ihn auch nach 15 Jahren noch an der Stadt fasziniert - und wann er es abschließen will.

Tagesspiegel: Jason Lutes, wieso ist Berlin so ein spannendes Thema für eine Comic-Erzählung?

Ich sehe eine Verbindung zwischen dieser besonderen Spannung Berlins, gerade in der von mir behandelten Weimarer Zeit, und der Spannung des Mediums Comic im neuen Jahrtausend. Die Stadt war damals ein Brutplatz neuer Ideen und kultureller Innovation, und aus meiner Sicht erlebt das Medium Comic gerade eine ähnliche Entwicklungsphase.  In formaler Hinsicht finde ich, dass die Architektur von Comicseiten sich perfekt für die Darstellung von Dingen wie Gebäuden und Straßen eignet. Und in praktischer Hinsicht erlauben mir Comics, alles zu zeichnen, was ich will, sodass ein historisches Thema wesentlich einfacher umzusetzen ist als zumBeispiel im Film.

Was ist die größte Herausforderung daran, Berlin im Comic zum Leben zu erwecken?

Das Schwierigste ist für mich als US-Amerikaner, überzeugende Charaktere zu schaffen, die glaubhaft Deutsche sind. Die subtilen Aspekten und Verhaltensweisen, die für die deutsche Kultur typisch sind, kenne ich nur als Außenstehender. Ich verlasse mich da auf eine Kombination von genauer Beobachtung, Recherche und mein allgemeines Verständnis von menschlichen Verhaltensweisen. Aber es ist trotzdem eine große Herausforderung.

Und was macht Ihnen am meisten Spaß an der Arbeit?

Der schönste Teil meiner Arbeit ist es, wenn ich eine Szene oder einen Abschnitt improvisiere und dann zufällig auf etwas stoße, das sich „wahr“ anfühlt. Nicht irgendeine große philosophische Wahrheit, sondern ein Moment, in dem eine Figur zu Leben erwacht, indem eine Geste oder ein paar Worte einfach passen. Oder wenn sich die Stimmung und die Umgebung unerwartet so verbinden, dass dadurch der Ton einer Szene sich ändert. Diese zufälligen Entdeckungen machenmir am meisten Spaß bei meiner Arbeit.

Im Vergleich mit anderen Städten, für welche besondere Atmosphäre steht Berlin?

Je mehr ich in die Stadt eintauche, desto schwerer finde ich das zu beantworten. Ich würde sagen, Berlin ist offener als jede andere Stadt, die ich kenne. Und es hat mehr Geheimnisse.

Wir halten Sie Ihr Interesse an der Stadt seit mehr als 15 Jahren frisch?

Berlin verkörpert die höchsten Hoffnungen, die tiefsten Enttäuschungen und ist im Kern voller unbegrenzter Möglichkeiten. Meine Arbeit untersucht ja bestimmte grundlegende menschliche Erfahrungen, da ist Berlin viel mehr als nur ein Hintergrund. Es hört nie auf,  mich zu inspirieren.

Sie leben Tausende Kilometer entfernt von Berlin an der US-Ostküste und kennen unsere Stadt nur von zwei Besuchen. Welche Quellen prägen Ihr Berlin-Bild, während Sie an Ihrem Epos weiterarbeiten?

Hier ist in den vergangenen Jahren das Internet unersetzbar geworden. Als ich anfing, war es zum Beispiel unmöglich, englische Übersetzungen der Gedichte Joachim Ringelnatz’ zu bekommen. Und heute sind viele von ihnen nur ein paar Mausklicks entfernt. Meine alten Bücher und Unterlagen sind dennoch nach wie vor die wichtigste Quelle. Zu meinen Favoriten gehören „The Weimar Republic Sourcebook”, herausgegeben von Anton Kaes, Martin Jay und Edward Dimendberg sowie „The Weimar Repbublic: Through the Lens of the Press” von Torsten Palmer und Hendrik Neubauer. Beide waren sehr hilfreich dabei, die enorme Vielfalt und die Besonderheiten Berlins um 1930 herauszuarbeiten.

Strich für Strich: Ein Selbstporträt des Zeichners.
Strich für Strich: Ein Selbstporträt des Zeichners.

© Illustration: Lutes

Wie lange werden Sie noch an „Berlin” arbeiten?

Ich hoffe, den abschließenden Band der Trilogie Ende 2013 fertigzustellen. Ursprünglich wollte ich schon 2008 fertig sein, aber zum Geldverdienen musste ich das Projekt immer wieder mal beiseite legen. Ich habe inzwischen eine Familie zu ernähren, was ich mir damals, als ich das Projekt mit 28 Jahren startete, nicht vorstellen konnte. Dennoch: Ich bin fest entschlossen, „Berlin“ zu ende zu bringen, egal wie lange es dauert. Ich habe andere, kürzere Geschichten, die ich dringend auch noch erzählen will. Aber ich kann mit „Berlin“ nicht hetzen.

Träumen Sie eigentlich jemals von Berlin?

Nein, ich kann mich an keinen Berlin-Traum erinnern. Vielleicht liegt es daran, dass ich soviel meiner wachen Zeit damit verbringe, mir die Stadt vorzustellen.

Fragen: Lars von Törne

Auf Deutsch sind bislang zwei „Berlin“-Sammelbände bei Carlsen erschienen, in Nordamerika veröffentlichte Lutes’ Verlag Drawn & Quarterly  kürzlich das 18. Heft der Reihe.

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