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Vielseitig: Marc Webb bei einer der zahlreichen Spider-Man-Filmpremieren der vergangenen Wochen.

© dpa

Interview: „Nicht jede Figur lebt ewig“

Spider-Man-Regisseur Marc Webb erklärt im Tagesspiegel-Interview sein Interesse an Superhelden. Und er verrät, wie er zu einem der kontroversesten Momente der Comicgeschichte steht.

Ihr Film „The Amazing Spider-Man“, der an diesem Donnerstag in die deutschen Kinos kommt, behandelt mehr als frühere Verfilmungen die Beziehungen Peter Parkers zu seinen Mitmenschen, vor allem zu seiner ersten Liebe Gwen Stacy – wie kommt’s?

Vielleicht liegt das daran, dass ich Liebesfilme sehr mag. In den Spider-Man-Comics spielten Romantik und menschliche Beziehungen ja von Anfang an eine größere Rolle als bei vielen anderen Comics. Und Peter Parker ist eine Figur, mit der man sich als Leser leichter identifizieren kann als viele andere Figuren in diesem Genre.

Neben der Liebe ist die Familiengeschichte von zentraler Bedeutung - war es Ihre Idee, die dem aktuellen Filmplot zugrunde liegende Vater-Sohn-Geschichte so stark herauszuarbeiten?

Ja, denn im Grunde genommen ist Spider-Man ja die Geschichte eines Jungen, der nach seinem Vater sucht und sich selbst findet. Das war nach meinem Empfinden in früheren Filmen nicht so deutlich herausgearbeitet worden.

Sie haben sich vor Spider-Man mit der bemerkenswert subtilen und sensiblen Independent-Liebeskomödie „(500) Days of Summer“ einen Namen gemacht – nicht gerade die typische Empfehlung für einen Superhelden-Blockbuster-Regisseur …

Nun, mich interessieren die kleinen, realistischen Momente eben sehr – und die finden sich auch in meinem Spider-Man-Film.

Wie kamen Sie zu diesem Job?

Columbia Pictures hatte mich eingeladen, um über ein paar Ideen zu sprechen. Und dann erwähnten sie irgendwann Spider-Man. Ich dachte nicht, dass ich jetzt ernsthaft dafür in Erwägung gezogen wurde. Aber wir sprachen einfach so über die Figur des Peter Parker und die Geschichten, die man mit ihm noch erzählen könnte. Und daraus entwickelte sich dann etwas, das ich so nicht erwartet hatte. Dazu kommt, dass ich ein großer Fan von Action-Filmen und ein großer Comic-Fan bin.

Was fasziniert Sie gerade an Spider-Man?

Dass er kein Außerirdischer und kein Milliardär ist, sondern dieser Junge, der neben vielen Abenteuern auch jede Menge profane, alltägliche Dramen erlebt, die wir alle kennen.

Sind Sie mit diesen Comics aufgewachsen?

Ja, Spider-Man und andere Marvel-Comics wie X-Men waren in meiner Kindheit sehr wichtig für mich. Bei DC waren die Helden Erwachsene, die Kinder waren nur Sidekicks. Bei Marvel waren die Kinder die Helden. Das passte zu den jugendlichen Wunschträumen, die man in dem Alter so hat.

Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit der Figur Spider-Man?

Es war ein Bild auf einem Kopfkissen, das ich als kleiner Junge hatte. Aus unerklärlichen Gründen hatte ich von Anfang eine sehr starke Beziehung zu dieser Figur: Er ist freundlich, er ist bunt, er ist jung, er trägt diesen symmetrischen Anzug, und wenn er durch die Luft springt, hat das etwas sehr Provokatives an sich. Ich kannte Spider-Man, bevor ich die Geschichten lesen konnte.

Das Drehbuch zu Ihrem Film stammt von James Vanderbilt – welchen Anteil hatten Sie als Regisseur an der Handlung?

Eine großen. James hat zentrale Elemente der Handlung entwickelt. Aber mir war sehr wichtig, von dem stilisierten Ton der Comic-Hefte wegzukommen und die Geschichte zu erden, also emotional tiefer zu machen. Ich habe mich immer wieder gefragt: Wie würde sich ein ganz normaler Mensch unter diesen außergewöhnlichen, surrealen Umständen verhalten? Ich wollte mehr Realität in die Fantasiewelt bringen. Deswegen gibt es immer wieder kleine, private Momente, die man in anderen Mainstream-Actionfilmen nicht sehen würde. Es ist ein kleiner Independent-Film in der Verpackung eines großen Actionspektakels.

Hier lesen Sie, welche Rolle Spider-Man-Erfinder Stan Lee bei dem Film spielt - und welche Figur nicht ewig lebt

Arachnophil: Gwen Stacy (gespielt von Emma Stone) ist die erste Liebe des Spinnenmanns.
Arachnophil: Gwen Stacy (gespielt von Emma Stone) ist die erste Liebe des Spinnenmanns.

© Sony

Der Erfinder von Spider-Man, Stan Lee, hat in Ihrem Film einen kurzen aber prägnanten Auftritt. Welche Rolle spielte er bei dem Filmprojekt sonst noch?

Das erste, was ich tat, nachdem ich für den Film engagiert worden war, war dass ich Stan Lee angerufen habe. Wir trafen uns zum Lunch. Und das erste, was er sagte, war: Lass uns über meinen Gastauftritt reden. Wir haben uns seitdem regelmäßig wiedergetroffen. Er ist ein brillanter Mann. Er ist fast 90, aber unglaublich scharfsinnig. Und er ist ein begnadeter Geschichtenerzähler, sehr witzig, aber auch sehr klug.

Was hat er zum nicht enden wollenden Erfolg seiner Figur zu sagen?

Ich habe ihn gefragt, was Spider-Man so einen lang anhaltenden Erfolg beschert. Und er sagt: Das ist einfach ein Kerl, zu dem jeder eine Beziehung aufbauen kann. Jeder kann sich fragen: Was würde ich in dieser Situation tun? Er hat mich sehr unterstützt und sehr viele anregende, freundliche Sachen zu unserer Auswahl der Figuren und der Handlungselemente gesagt?

Macht er auch Vorschläge, wie er seine Figuren auf der Leinwand umgesetzt sehen möchte?

Nein, er ist respektiert unsere Arbeit. Er weiß, dass er zusammen mit Steve Ditko etwas Transzendentes geschaffen hat. Etwas, dass er der Welt geschenkt hat, ohne seine Ansprüche in jedem einzelnen Fall anzumelden. Er kann akzeptieren, dass jetzt andere Menschen mit seinen Figuren weiterarbeiten.

Sie haben sich für die Handlung einige Freiheiten erlaubt und Aspekte hinzuerfunden, die in den Comics nicht auftauchen, zum Beispiel die unheilvolle Verbindung zwischen den Eltern Peter Parkers und dem Bösewicht Ihres Films, Curt Connors alias The Lizard. Wie kommt ein Konzern wie Marvel, der sehr auf Traditionspflege achtet, damit klar?

Wir haben uns bei der Herkunft Spider-Mans und bei seiner Charakterentwicklung sehr an die Vorgaben gehalten. Aber seine Persönlichkeit ist eben sehr stark durch einen einzelnen Moment geprägt, der im Kino bislang nicht groß erforscht wurde, nämlich der Moment, in dem ihn seine Eltern verlassen. Ich habe mich gefragt: Was bedeutet es für einen kleinen Jungen, die Menschen zu verlieren, die ihm am wichtigsten sind? Und dann bekommt er plötzlich auch noch Superkräfte … Ich habe meine ganze Geschichte an jenem Moment aufgehängt, an dem ihn seine Eltern verlassen. Dann findet er einen mysteriösen Koffer, der Geheimunterlagen seines Vaters enthält – und der ihn auch mit seinem künftigen Gegenspieler in Kontakt bringt. Marvel unterstützte diesen Zugang. Sie finden, wir können dem Publikum neue Elemente geben, solange wir die ikonischen Anteile der Figuren ehren.

Wieweit lässt sich schon absehen, wie es mit Ihnen und Spider-Man weitergeht?

Ich habe eine Geschichte erzählt, die genug Anknüpfungspunkte für weitere Erzählungen hat. So wie im Comic. Letzen Endes entscheidet das Publikum: Wenn der Film erfolgreich genug ist, wird es sicher weitere Teile geben.

Sie haben mit Spider-Mans Jugendfreundin Gwen Stacy eine Figur auf die Leinwand gebracht, mit der viele Fans eine der tragischsten Szenen der Comicgeschichte verbinden, ihren gewaltvollen Tod im Jahr 1973. Welche Rolle wird diese Wendung in künftigen Filmen spielen?

Das werden wir sehen. Aber dieser Moment, in dem Gwen Stacy stirbt, ist für die Comicgeschichte von zentraler Bedeutung, weil sich hier plötzlich die Regeln änderten. Das wurde damals sehr kontrovers diskutiert, viele Leute kündigten ihr Spider-Man-Abonnement. Es war ein dunkler, aber auch ein sehr bedeutender Moment in dieser epischen Geschichte. Denn von da an war klar: Nicht jede Figur ist sicher und lebt ewig. Das ist wahrscheinlich einer der wichtigsten Gründe, wieso Gwen Stacy in meinem Film so eine wichtige Rolle spielt: Es gibt etwas in ihrer Geschichte, das wir zumindest auf der Leinwand bisher nicht gesehen haben – noch nicht.

Das Interview führte Lars von Törne

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