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Originale. David Petersen mit einigen Reinzeichnungen für "Mouse Guard".

© dpa

Interview: „Kinder wissen genau, was ihnen gefällt“

Der Autor und Zeichner David Petersen („Mouse Guard“) spricht im Tagesspiegel-Interview über Fans im Grundschulalter, das Zeichnen mit dem Computer, den Einfluss von Rollenspielen auf seine Erzähltechnik und sein neues Projekt „Legenden der Wächter“.

Tagesspiegel: Herr Petersen, vor kurzem Tagen haben Sie in Berlin ihre „Mouse-Guard“-Comics bei einer Signierstunde vorgestellt. Kamen da eigentlich mehr Kinder oder mehr Erwachsene?

Petersen: Insgesamt waren vielleicht ein paar mehr ältere Leser da. Aber generell habe ich unter Kindern und Erwachsenen gleich viele Fans. Vergangene Woche war ich in London, da kamen auch viele Kinder im Grundschulalter mit ihren Eltern.

Wie unterscheiden sich die Rückmeldungen der beiden Gruppen?

Natürlich können Erwachsenen besser ausdrücken, warum sie etwas mögen. Aber ich glaube, auch Kinder wissen sehr genau, warum ihnen etwas gefällt und verstehen, was in meinen Geschichten passiert. Wenn ich sie frage, was ihre Lieblingsszenen sind, dann passt das ziemlich genau zu dem, was mir als Autor wichtig ist. Manche Kinder haben mir gesagt, dass ihnen die Charaktere gefallen, weil sie sich selbst darin wieder entdecken, etwa weil jemand ungeduldig ist. Erwachsene blicken vielleicht etwas tiefer und verstehen mehr Anspielungen, aber das hat vor allem etwas mit Erfahrung zu tun. Erwachsene waren bereits wesentlich mehr Literatur und Kultur ausgesetzt und haben damit einen größeren Sinn für ein kollektives Unterbewusstsein, das Kinder noch fehlt.

Beeinflusst Sie Ihr jugendliches Publikum beim Schreiben?

Mit „Snowy Valentine“ habe ich ein Kinderbuch geschrieben, das sich explizit an Kinder bis etwa zehn Jahren richtet. „Mouse Guard“ aber ist für alle, und dafür muss ich mich auch nicht besonders einschränken. Ich bin einfach nicht der Autor, der dunkle Dinge erforschen will. Ich würde einfach keine Geschichte voller sinnloser, brutaler Gewalt oder Sexszenen schreiben. Ganz am Anfang der Reihe landete „Mouse Guard“ in der den USA auf einer Liste von Leseempfehlungen für Schüler und als dann das zweite Kapitel erschien, in dem eine Maus stirbt, habe ich mich schon gefragt, ob das jetzt in Ordnung ist. Ich habe mich dann aber dafür entschieden. Ich glaube nicht daran, Geschichten für Kinder künstlich zu vereinfachen, oder auch nur eine simplere Sprache zu benutzten. Wenn ich als Kind die „Chroniken von Narnia“ gelesen habe und ein Wort nicht kannte, hab ich auch einfach meine Eltern gefragt.

Von den Freunden des Autors inspiriert: Eine Szene aus dem ersten Mouse-Guard-Band.
Von den Freunden des Autors inspiriert: Eine Szene aus dem ersten Mouse-Guard-Band.

© Cross Cult

Ihr Charaktere entsprechen sehr exakt bestimmten Archetypen: der Kämpfer, der Nachdenkliche, das Greenhorn. In wie weit dient diese Konstruktion der Vermittlung bestimmter Werte?

Ich hab beim Entwickeln der Charaktere keine Schulstunde im Sinn gehabt, sondern wollte einfach eine interessante Konstellation schaffen. Man braucht schließlich immer einen Charakter, an dem sich ein anderer reiben kann. Sonst wird es langweilig. Einige der Mäuse basieren auf meinen Freunden und die beschriebenen Konflikte auf Dingen, die mir passiert sind. Das habe ich aber gemacht, weil es echt und spannend sein sollte, weniger, weil ich bestimmt Werte transportieren will. Ich mache mir im Gegenteil häufig Sorgen, dass da etwas im Subtext zu lesen sein könnte, was ich nie beabsichtigt hatte

Was haben Ihre Freunde gesagt, dass sie als Vorlage für Comicfiguren dienten?

Die meisten haben sich gefreut. Der einzige, der ein wenig enttäuscht war, ist mein Kumpel, der für Kenzie Pate stand. Saxon mögen die Leute, weil er ein Schwert hat, rau ist und grantig. Lieam ist sowieso der Held des ersten Buchs und bekam deshalb auch das meiste Merchandising, bis hin zur Plüschpuppe. Kenzie hingegen ist zwar ein wichtiger Charakter, aber schlussendlich halt die graue Maus mit dem Stock in der Hand, die sagt: „Lasst uns mal kurz innehalten und nachdenken“. Das ist halt nicht so spannend und deshalb hat er weniger Fans.

Dass ausgerechnet Mäuse ihre Geschichten bevölkern, geschah eher zufällig, haben Sie mal gesagt. Trotzdem ist ja auffällig, wie viele Comicmäuse es gibt. Micky Maus, Danger Mouse, Feivel, Bernhard und Bianca, Pinky und Brain, Jerry, Itchy und und und ... Haben Sie dafür  eine Erklärung?

Nicht wirklich. Unterbewusst können wir uns wohl alle mit ihnen identifizieren, weil sie auch Säugetiere sind. Damit sind sie uns näher als beispielsweise Insekten. Für mich passen sie aber gut, weil sie die Säuger sind, die ganz am Ende der Nahrungskette stehen. Sie sind Beute für fast alle  Raubtiere, und das ist eine perfekte Grundlage für die David-Goliath-Underdog-Geschichte, die mir vorschwebte

Für Leser jeden Alters: Eine Szene aus dem zweiten Mouse-Guard-Band.
Für Leser jeden Alters: Eine Szene aus dem zweiten Mouse-Guard-Band.

© Cross Cult

Orientieren Sie sich beim Hintergrund Ihrer Geschichten an konkreten Ereignissen, oder ist das Jahr 1152, das sie gewählt haben, Willkür?

Ich wollte, dass der Titel den Schauplatz widerspiegeln. Also dachte ich: Ein Datum wäre perfekt. Dann habe ich ein Lexikon genommen, beim Eintrag Mittelalter nachgeschlagen und nach einer Zahl gesucht, die einen guten Klang hatte. Schlussendlich war es aber das alte C64-Computerspiel „Defender of the Crown“, das mir die Vorlage liefere. Das Datum auf dem Startbild ist 1149. „Peng“, dachte ich. „Das klingt gut“. Also hieß „Mouse Guard“ in meinem Kopf ganz lange 1149 und ich habe auch immer noch die Geschichte im Kopf, die in diesem Jahr spielt. Das war aber nicht die, die ich als erste erzählen wollte. Die spielte ein paar Jahre später und so hieß der erste Band dann „Herbst 1152“.

Bis 1154 herrschte in England Bürgerkrieg. Das mit dem in Ihren Büchern erwähnten Krieg der Mäuse gegen die Dachse in Verbindung zu bringen, wäre also übertrieben?

Da gab es einen Bürgerkrieg? Interessant, aber mit historischen Ereignissen hat das alles wirklich nichts zu tun. Auch was Berufe und Kleidung der Mäuse angeht, lasse ich mich von der Wirklichkeit zwar inspirieren, benutze aber nur, was mir gefällt. Im zweiten Band, „Winter 1152“, habe ich allerdings mal etwas verwendet, was Mäuse wirklich tun. Bei der Balz singen die nämlich.  Also, mehr ein bestimmtes Fiepsen als Gesang eigentlich, aber daraus wurde dann eine der Balladen, die in dem Buch sind und die man sich auch auf meiner Webseite anhören kann.

Die Lieder sind nur ein Detail, mit der Sie Ihre Welt ausschmücken. Wie erklären Sie sich die Faszination, die penibel ausgearbeitete Welten auf so viele Menschen haben. Nach Tolkien kommt ja kaum eine Fantasygeschichte noch ohne eigene Karten, Geschichte und Legenden aus.

Der naheliegendste Grund für die Faszination ist schlicht Eskapismus. Dass sich Menschen überhaupt von Unterhaltungskultur angezogen fühlen, liegt sicher daran, dass ihr Leben vergleichsweise monoton ist. Also macht man Urlaub in einem Buch oder einer TV-Serie. Je echter sich das anfühlt, desto befriedigender ist es. Und der Realismus steigt mit der Menge der Details. Nun lernt nicht jeder Star-Trek-Fan Klingonisch, aber ich gehöre beispielsweise zu denen, die es schätzen, wenn man sich wirklich in ein Universum hineingraben kann. Ich honoriere die Mühe, die sich jemand dabei gemacht hat. Und bei den „Mouse-Guard“-Geschichten, die ja keine Romane sind und dementsprechend wenig Text haben, nimmt mir eine detaillierte Hintergrundwelt auch einen Teil  der Schreibarbeit ab. Durch die Karten, die Gedichte, die Lieder können die Leser sich in ihren Köpfen ganz viel selbst ausspinnen, was über die Geschichte hinausgeht.

Folklore: Eine Seite aus „Die Legenden der Wächter“.
Folklore: Eine Seite aus „Die Legenden der Wächter“.

© Cross Cult

Wie entwickeln sie Ihre Welt?

Bei dem Entwurf von Städten starte ich oft mir drei Worten. „Klein, Arbeiterklasse, arm.“ So etwas zum Beispiel. Oder: „klein, elitär, ästhetisch“. Und von da aus arbeite ich mich dann vor. Die Karte meiner Welt habe ich entworfen, ohne eine Idee zu haben, was einmal daraus werden soll. Ich hab einfach einen Teil der Landkarte von meinem Heimatstaat Michigan genommen und dann auf dem Computer verändert, bis er mir gefiel.

Einige Leser haben Vorbehalte, was die Verwendung von Computern beim Zeichnen angeht. Was denken Sie darüber?

Erstmal zeichne ich ja immer noch alles per Hand. Nur Layout und Farben mache ich am Computer. Warum auch nicht? Für mich ist das mehr eine Frage des Geschmacks. Nicht allem, was am Computer gemacht wurde, sieht man das auch sofort an. Ich vermute, dass die Leute die Computerarbeit stört, wenn sie schnell und hastig gemacht wird, wenn man also erkennt, dass etwas digital bearbeitet wurde. Aber das hat dann mehr mit dem Schöpfer zu tun, der nicht mehr als die Minimalarbeit aufbringen will, und weniger mit dem Medium als solchem.

Sprechen wir über ein anderes Medium, das Ihnen viel bedeutet: Rollenspiele ...

Ich habe früher Dungeons & Dragons gespielt, auch wenn meine Eltern das nicht wollten, weil sie da einen satanischen Unterton vermuteten. Das ist natürlich Blödsinn, aber das musste ich dann heimlich machen. Es gab aber auch ein „Teenage-Mutant-Hero-Turtles“-Rollenspiel, verschiedene Superhelden-Rollenspiele und nicht zuletzt  Shadowrun, in dem man Söldner in einer kaputten Science-Fiction-Welt spielt. Da hatten meine Eltern ironischerweise nichts einzuwenden, auch wenn wir da dann statt aufrechter Fantasyhelden wie bei D&D subersive Mafia-Killer-Plots gespielt haben.

Sehen Sie eine Verbindung zwischen den Medien Rollenspiel und Comic, und wie hat das Rollenspielen ihre Erzähltechnik beeinflusst?

Für mich war die Verbindung sofort da, weil die „Hero-Turtles“ eines meiner ersten Spiel waren. Aber besonders was die Erschaffung von Welten angeht, gibt es Überschneidungen, weil man sich fürs Spiel ja Situationen, Spielorte und Charaktere ausdenken muss. Auch die Dynamik zwischen den Figuren war eine gute Schule. Zu sehen, wie Charaktere miteinander umgehen und wie das eine Geschichte voranbringt oder nicht. Das hat definitv beeinflusst, was ich mir unter eine guten Story vorstelle. Und das man sich als Spielleiter immer darauf einstellen muss, dass die Spieler den Plot verändern und man nicht einfach sagen kann, „Sorry, das geht nicht“, sondern sich etwas neues ausdenken und reagieren muss, habe ich mir zu eigen gemacht. Auch heute schreibe ich nie zu viel im voraus fest, sondern habe nur Ideen, wohin es gehen kann, damit ich flexibel bleibe. Und die Beeinflussung funktioniert ja auch in die andere Richtung.  Meine Bücher kann ich nur so schnell schreiben, wie ich es tue. Weil es aber ein „Mouse-Guard“-Rollenspiel gibt, können die Leute ihre eigenen Geschichten erfinden, ohne dass sie mich brauchen.

Gesammelt: Die Covermotive des ersten und des jetzt veröffentlichten dritten Bandes.
Gesammelt: Die Covermotive des ersten und des jetzt veröffentlichten dritten Bandes.

© Cross Cult

Stichwort „Eigene Geschichten erfinden“. Gerade ist mit „Legenden der Wächter“ eine Sammlung von „Mouse-Guard“-Stories anderer Autoren und Zeichner erschienen. Wie schwierig war es, die Kontrolle über die eigene Arbeit ein stückweit aufzugeben?

Es war ehrlich gesagt erstaunlich einfach. Aber das lag daran, wie wir das Buch angelegt hatten. Ich wollte nämlich in der Tat nicht, dass irgendjemand anders die Höhepunkte des Hauptplots weiterschreibt. Das wollte ich selbst machen. Jetzt hat jeder Zeichner vier oder fünf Seiten bekommen, die er mit Legenden und Folklore aus dem Universum füllen konnte. Deshalb musste ich mir keine Sorgen machen, dass irgendwie die Kontinuität des Universums gestört wird.  Und wenn mir etwas gefällt, dann kann ich es jetzt immer noch in die eigentliche Geschichte aufnehmen.

Als Erweiterung des Universums, war auch mal ein „Mouse-Guard“-Film im Gespräch. Wie steht es um den?

Da sind wir leider wieder bei null. Wir hatten schon ein Datum und ein Studio, aber dann wurde das Mutterunternehmen verkauft und alle Projekte bis auf weiteres auf Eis gelegt. Aber wir bleiben dran.

Das Interview führte Moritz Honert. Die Mouse-Guard-Bücher sind auf Deutsch bei Cross Cult erschienen. 

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