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Klassenkampf: Die Hauptfigur Trollschak im Einsatz.

© Metrlit

Interview: Sex, Revolution und die Dialektik der Aufklärung

Vor 45 Jahren begann der Filmregisseur Helmut Wietz, einen Comic zu zeichnen, um den gesellschaftlichen Aufbruch jener Zeit darzustellen. Nun hat er sein Werk vollendet. Im Interview erzählt er, wie es dazu kam.

Auf dem Cover Ihres soeben erschienenen Comics „Der Tod von Adorno“ steht „© 1968/2012“. Saßen Sie wirklich über vierzig Jahre an diesem Comic?

Gewissermaßen ja. Als ich 1967 anfing, die Geschichte zu zeichnen, gab es hierzulande überhaupt keine Comic-Kultur. Es gab nur eine kleine Fangemeinde, eingeschworene Undergroundcomic-Freaks, aber davon bekam ich erst viel später was mit. Ich fing also ziemlich unbedarft an zu zeichnen, im Kopf ein paar Superheldengeschichten. Aber ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass es dafür einen Markt geben konnte. Als ich dreißig Seiten fertig hatte, das war 1968, bewarb ich mich damit an der Filmakademie in Berlin.

Wann und wieso haben Sie den Comic weggelegt?

Als ich an der Filmakademie in Berlin anfing, war schnell klar, dass nun andere Dinge für mich im Vordergrund standen. Ich wollte ja Filmemacher werden. Einmal flammte die Leidenschaft für den Comic noch auf, als ich bei einem Freund ein Shunga-Buch sah, das sind erotische Holzschnitte aus Japan. Aber spätestens seit 1970 ruhte die Arbeit. Erst 2007 entschied ich mich, ihn zu vollenden. Was nicht so einfach war.

Wieso?

Ich stellte schnell fest, dass es beispielsweise diese wunderbaren Rasterfolien von Lettraset, mit denen man die Roy-Lichtenstein-haften Hintergrunde gestalten konnte, nicht mehr gab. Auch die Pantone-Farbfolien waren nirgendwo mehr zu bekommen. Also habe ich die neuen und die alten Seiten eingescannt und die Farben digital angepasst.

1968er: Helmut Wietz wurde 1945 geboren, studierte in den 1970er Jahren an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin und arbeitet seitdem als Filmemacher und Produzent.
1968er: Helmut Wietz wurde 1945 geboren, studierte in den 1970er Jahren an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin und arbeitet seitdem als Filmemacher und Produzent.

© Eva Orbanz

Sieht man den Unterschied?

Ja, die Hintergrundflachen der alten Seiten sind handgemalt. Da sieht man deutlich die Spuren der Stifte. Die Photoshop-Seiten sind etwas cleaner. Aber das war mir egal. Einerseits gefällt es mir, die Zeit auch so sichtbar zu machen, andererseits hatte das auch ganz pragmatische Grunde: Ich wollte ja auch irgendwann fertig werden.

Sie erzählen in „Der Tod von Adorno“ die Geschichte des Arbeiterkindes Trollschak, der in der Provinz aufwächst und dann nach Berlin, ins Zentrum der linken Gegenkultur, zieht. Ist das auch Ihre Geschichte?

Zum Teil. Ich wuchs in einer ziemlich muffigen Kleinstadt auf, in Itzehoe in Norddeutschland. Das Umfeld war klar reaktionär. Und natürlich träumte da jeder junge und halbwegs freie Geist davon, in die Großtadt zu gehen. Am besten New York. Oder wenigstens Westberlin. Auf der anderen Seite ist Trollschak eine reine Kunstfigur. Ich komme aus einem Beamtenhaushalt, Trollschak ist Proletarier. Seine Physiognomie ist allerdings einem guten Freund von mir entliehen. Helmut Herbst. Er war später an der Filmakademie in Berlin Dozent und hat danach an der Kunsthochschule in Offenbach als Professor unterrichtet.

Trollschak, das Arbeiterkind, mischt die aus Bürgerkindern bestehende Gegenkultur ziemlich auf. Was wollten Sie mit dieser Geschichte erzählen?

Heute wird 1968 immer auf einen Nenner gebracht, so als sei das eine Bewegung gewesen, die den gleichen politischen Ideen, Idealen und Lebensstilen nacheiferte, aber damals gab es sehr viele Strömungen. Und es gab innerhalb der 68er genügend Leute, die sich schon damals darüber amüsiert haben, dass sich jemand mit einem Adelstitel zum Elektrokarrenfahrer bei Siemens hat ausbilden lassen, um dann anschließend die Revolution auszurufen. Mir ging es, als ich mit dem Comic begann, vor allem um das Milieu, die Ungleichzeitigkeit von Lebensläufen, die ich an der Filmakademie vor Augen hatte. Zum einen war er Zentrum der linken Gegenkultur und Baader-Meinhof-Ausbildungsstätte, gleichzeitig aber auch Pornofabrik. Fast alle Studenten stammten aus dem Bürgertum. Meine Figur Trollschak steht im Zentrum all dieser Geschichten und Konflikte.

Was hat es mit Adorno auf sich? Wieso muss er sogar sterben?

„Die Dialektik der Aufklärung“ war für mich wie eine Bibel. Ich unterstrich fast alle Satze und sagte: „Ja, das ist toll“ – auch wenn ich es nicht begriffen hatte. Adorno und Horkheimer waren für uns die intellektuellen Leuchttürme. Sie boten Orientierung und erklärten, wie der Faschismus sich hatte etablieren können. Auf der anderen Seite nahm man aber ganz klar den Widerspruch wahr, in dem diese Leute lebten. Denn natürlich waren sie total angepasst und agierten in einem politisch reaktionären Umfeld. Adorno musste wohl oder übel seinen Frieden mit den alten Nazis schließen, die in der Universitätsverwaltung saßen. Auch weil Deutschland seine intellektuelle Heimat war. Und alles, was die Studenten gemacht haben, unseren Aufbruch und die damit einhergehende Radikalisierung, hat Adorno nie wirklich nachvollziehen wollen, dazu war die bürgerliche Kontinuität, in der er steckte, viel zu mächtig. Und an diesem Widerspruch ist er letztendlich ja auch zerbrochen. Das waren die intellektuellen Themen, die uns damals umtrieben.

Sexuelle Revolution? Eine von vielen expliziten Szenen des Buches.
Sexuelle Revolution? Eine von vielen expliziten Szenen des Buches.

© Metrolit

Ein anderes Thema, dessen Brisanz vielen Lesern heute nicht mehr recht einleuchten wird, ist die Problematisierung der Sexualität – und die Wichtigkeit, die Sie dem Thema beimessen. Trollschak leidet an seinem Trieb – und darf dann glücklicherweise als Pornodarsteller fungieren ...

Das lässt sich aus heutiger Sicht tatsächlich schwer verstehen. Man vergisst einfach, wie unglaublich tabuisiert damals alles gewesen ist, was mit Sexualität zu tun hatte. Diese oft unheilvollen, den Menschen beschädigenden Sexual- und Moralvorstellungen unterlaufen und torpediert zu haben, ist ein wirkliches Verdienst der Linken. Auch wenn das absurde Bluten trieb. Der März-Verlag brachte damals beispielsweise die Schriften von Wilhelm Reich und anderen Sexualtheoretikern heraus, zugleich aber machte man dort Pornofilme. Die mussten aber anspruchsvoll und künstlerisch wertvoll daherkommen, denn es galt noch das alte Sexualstrafrecht, wo die Verbreitung unzüchtiger Schriften, Bilder und Filme unter Strafe stand. Diesen Programmbereich betreute damals Bazon Brock, und Studenten der Akademie, unter anderem ich, drehten die Filme. Das war ein riesiger Erfolg, denn die Pornos konnten sehr teuer verkauft werden. Als dann aber das Sexualstrafrecht liberalisiert wurde und alle sich gegenseitig und miteinander auf dem Sofa filmen und das veröffentlichen konnten, war das als Geschäftsmodell nicht mehr interessant.

Wenn man Ihren Comic mit aktuellen Graphic Novels vergleicht, fällt auf, dass er zwar realitätshaltig, aber nicht realistisch ist. Es gibt phantastische Sequenzen, Halluziniertes und eine Menge Details, die nicht sofortiges Verständnis einfordern. Ist diese wilde Erzählweise auch ein Relikt von 1968?

Lichtenstein lässt grüßen. Das Buchcover.
Lichtenstein lässt grüßen. Das Buchcover.

© Metrolit

Ich war mein Leben lang Filmemacher, aber es hat mich immer genervt, dass das Diktat, möglichst die Realität abbilden zu müssen, die Möglichkeiten des Films limitiert. Dazu kam, dass ich als Filmemacher mit den höchsten Ansprüchen anfing und irgendwann bei Mainstream-Serien gelandet bin. Das Reizvolle an einem Comic ist, dass man völlig frei ist. Im Rahmen der eigenen Möglichkeiten lässt sich alles erzählen. Ich habe die Geschichte eines gesellschaftlichen Aufbruchs erzählen wollen, der für mich und meine Generation entscheidend gewesen ist. Hier nur bei der Realität, bei den platten Fakten zu verweilen, wäre nicht nur langweilig, es wäre dem Gegenstand auch nicht angemessen.

Helmut Wietz: Der Tod von Adorno. Metrolit, 72 Seiten, 22 Euro.
Das Interview führte Paul-Philipp Hanske für das Magazin des Metrolit-Verlages. Wir danken für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung.

Paul-Philipp Hanske

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