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Die Einsamkeit des Heranwachsenden - eine Szene aus „Junker“.

© Carlsen

„Junker“ von Simon Spruyt: Die Last der Tradition

Welt am Abgrund: In seinem Comic „Junker“ vermittelt Simon Spruyt ausgezeichnet die Atmosphäre in Preußen am Vorabend des Ersten Weltkrieges.

Ludwig, die Hauptfigur in Simon Spruyts Comicerzählung „Junker“, ist ein von Schlitt. Ein junger preußischer Adliger, dessen Welt untergegangen ist. Es ist die Welt von Eduard von Keyserlings Romanen, in der das Morbide des fin de siècle auch zu Beginn des neuen Jahrhunderts nicht vergehen will und in der sich der ländliche Adel schmerzlich bewusst wird, dass er seiner ökonomischen und kulturellen Bedeutung für immer beraubt ist: Ludwigs Vater, Freiherr von Schlitt, lebt ohne linkes Unterbein, das er im letzten Krieg gelassen hat, und ohne Frau, die sich, „ernsthaft krank“, in das Sanatorium Tannenhof nach Davos verzogen hat, in einem aus Geldnot halb verrammelten Herrenhaus. „Als ich auf Schlitt aufwuchs, war deren Glanzzeit längst passé“, beschreibt Ludwig die Lage, bevor auch er sich in die Kadettenakademie aufmacht.

„Die von Schlitts gehen zur Kavallerie“

Simon Spruyts „Junker“ ist eine Graphic Novel über Ludwig, und seinen älteren Bruder Oswald, und über das Preußen kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs. Der Belgier Spruyt hat mit diesem Milieu biografisch wenig zu tun, er wurde 1978 geboren, studierte an der Kunsthochschule École Supérieure des Arts Saint-Luc in Brüssel und feierte mit dem Kindercomic „De Bamburgers“ seinen ersten großen Erfolg. Für „Junker“ wurde er 2014 mit dem Willy-Vandersteen-Preis für den besten niederländischen Comic des Jahres ausgezeichnet.

Die Härte des Vaters und die Strenge der Kösliner Kadettenwelt bestätigen, vielleicht zu leichtfertig, das altbekannte Urteil über das militaristische Preußen. Doch die Atmosphäre einer Zeit, in der die Traditionen hohl geworden sind, zum Leben zu erwecken, gelingt Spruyt ganz ausgezeichnet. Immer wieder dringt in diese elegant gezeichnete bläulichschwarzweiße Einsamkeit des Heranwachsenden die Last der Tradition ein: „Wir machen uns Sorgen um dich, Ludwig“, sagt ihm der König von Preußen in einer Traumsequenz, „wo warst du, als Friedrich der Große die habsburgischen Armeen schlug?“

Preußischer Blues: Das Buchcover.
Preußischer Blues: Das Buchcover.

© Carlsen

Diese Erwartung, schon vor der Geburt ein großer Soldat gewesen zu sein, kann Ludwig nie erfüllen. Ebenso wenig wie seinen Traum, später einmal auf der SMS Nassau zur See zu fahren. „Dummkopf“, sagt sein Bruder dazu. „Die von Schlitts gehen zur Kavallerie.“

Am Ende seiner Preußen-Geschichte verdreht Spruyt die historische Geschichte, und Ludwig wehrt sich doch noch gegen die Tradition. Da ist es aber schon 1914 und längst zu spät, als dass die Geschichte noch ein gutes Ende nehmen könnte.

Simon Spruyt: Junker, Carlsen, aus dem Niederländischen von Rolf Erdorf, 192 Seiten, 24,99 Euro

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