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Alles in Ordnung? In dem strengen Seitenaufbau spiegelt sich der starre Funktionalismus der Strafkolonie.

© promo

Kafka-Adaption: Verbrechen und Strafe  

Die Kafka-Adaption „In der Strafkolonie“ des französischen Duos Sylvain Ricard und Maël erscheint nach fünf Jahren nun auch auf Deutsch. Es ist ein Werk, das die Hässlichkeit des Originals gekonnt spiegelt, den Rahmen einer reinen Nacherzählung aber nicht sprengt.

Schließen sich Barbarei und Ordnung aus – oder sind sie zwei Seiten einer Medaille? Wann, wo und wie schlagen Zivilisation und Pflichtgefühl um in Wahnsinn und Verderben? Immer wieder aktuelle Fragen, denen nicht erst die Philosophen Theodor Adorno und Max Horkheimer, den Holocaust vor Augen, in ihrem Großwerk „Dialektik der Aufklärung“ nachgingen. Schon Jahrzehnte vor ihnen, der Erste Weltkrieg war noch jung, widmete sich auch der Schriftsteller Franz Kafka denselben Problemen.

In seiner 1914 entstandenen Erzählung „In der Strafkolonie“, anhand derer ungezählte Schüler das Handwerk der Textinterpretation erlernten, berichtet er von dem Besucher einer Strafanstalt, dem ein fanatisch dienstbeflissener Offizier die Funktionsweise der dortigen mechanischen Hinrichtungsmaschine erläutert und schließlich auch vorführt. Immer weiter steigert der Beamte sich in seinen Wahn, treu seinem längst verstorbenen Kommandanten ergeben, Verschwörungen witternd und schließlich seinen eigenen Untergang heraufbeschwörend. 

Bereits 2007 haben der Pariser Szenarist Sylvain Ricard und der Grenobler Zeichner Maël aus der Erzählung eine Bildergeschichte gemacht, die mit einigen Jahren Verspätung nun auch auf Deutsch erschienen ist.  Die Präsentation ist wegen der knochigen, gewollt hässlichen Zeichnungen zunächst sperrig. Die Farben, die von einem breiigen Gelb-Braun-Grau immer weiter in ein Rot-Braun-Grau rutschen, sind eher unangenehm als mit Freude zu betrachten. Und in den strengen Panels doppelt sich der uniforme Funktionalismus der Kolonie, was eine kunstvolle Spiegelung des Themas ist, allerdings wahrlich nicht das Auge verwöhnt. Doch eine andere Herangehensweise wäre dem Gegenstand der Geschichte wohl auch unangemessen gewesen. 

Was den Text angeht, wurde ein wenig gerafft. Ansonsten halten sich Ricard und Maël treu an die Vorlage. Damit bleibt die Frage, die bei fast jeder Comicadaption von Literatur im Raum steht: Braucht die Welt das? 

Auch in diesem Fall ist die Antwort ein klares Jein. Zwar bebildert die Adaption die Geschichte anschaulich bis zu ihrem blutigen Höhepunkt, wirft dieselben Fragen auf und vereinfacht oder verharmlost nichts, aber da sie in keinem Fall über das Original hinausgeht, bietet sie auch keinerlei Mehrwert. Und da Kafkas Text weder so verstaubt ist, dass man ihn nicht mehr lesen mag, noch so in seiner Bildsprache überholt ist, als dass er nicht mehr entschlüsselbar wäre und damit zwingend einer neue Präsentationsform bedurft hätte, wäre ein wenig mehr als das reine Abmalen der Geschehnisse schon schön gewesen.

Sylvain Ricard & Maël: „In der Strafkolonie“ nach Franz Kafka, Knesebeck, 48 Seiten, 19,95 Euro

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