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Lars von Törne

© Kai-Uwe Heinrich

Literaturtipp: Die Rache der Holzfäller

Tagesspiegel-Redakteur Lars von Törne empfiehlt einen Ausflug in "Das Nest"

Das Landleben als schützender und zugleich einschränkender Rahmen für die Entwicklung menschlicher Beziehungen - darum geht es in einem farbenfrohen, vor Lebensfreude strotzenden französisch-kanadischen Comic-Epos, an dem zwei Wahl-Kanadier seit einigen Jahren arbeiten und dessen dritter Band jetzt auf Deutsch erschienen ist. "Das Nest", in der frankokanadischen Provinz der 1930er Jahre angesiedelt, handelt von den Bewohnern eines Dorfes und ihrer ambivalenten Reaktion auf einen Fremden, der zu ihnen stößt.

Geschrieben und gezeichnet haben es zwei Altmeister der Comic-Literatur, die vor ein paar Jahren ihren Wohnsitz aus Frankreich nach Montréal in der

frankophonen kanadischen Provinz Québec verlegt haben: Der Zeichner Régis Loisel, in Deutschland unter anderem bekannt geworden durch seine grafische Umsetzung der Peter-Pan-Geschichte sowie das Fantasy-Epos "Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit", und sein Kompagnon Jean-Louis Tripp, der bei dem Duo als Autor und Reinzeichner fungiert. "Kanada und vor allem Québec als weites Land mit kleinen, isolierten Gemeinschaften ist ideal für Sozialstudien, wie wir sie in unserem Buch betreiben", erzählte Loisel kürzlich beim Besuch im gemeinsamen Atelier der beiden graubärtigen Mittfünfziger in Montréal (ein ausführlicherer Bericht darüber folgt demnächst auf diesen Seiten).

Geborgenheit - und erdrückende Enge

Inspiriert von Filmregisseur Frank Capra wollen die beiden in ihrem Gemeinschaftswerk "das Leben der einfachen Leute preisen", wie Tripp sagt. Das gelingt ihnen in "Das Nest" meisterhaft, vor allem dann, wenn die Geborgenheit einerseits und die erdrückende Enge des Dorflebens andererseits sich langsam zu einer dramatischen Geschichte verdichten, in deren Zentrum die Beziehung einer jungen Witwe zu dem unerwartet ins Dorf gekommenen Fremden steht. Dessen Auftreten missfällt vor allem den Männern des Ortes, die den Winter über als Holzfäller arbeiten und die nach der Rückkehr aus den Wäldern im Frühling mit Gewalt versuchen, die alte Ordnung wiederherzustellen.

Dabei erzählen Loisels und Tripps akribisch gezeichnete und getuschte Bilder nicht nur von der Vergangenheit. Wenn man die aktuelle frankokanadische Integrationsdebatte verfolgt, die durch fremdenfeindliche Vorkommnisse in der Québec Provinz provoziert wurde, dann kann auch ein Buch wie "Das Nest" zum Verständnis beitragen.

Loisel & Tripp: "Das Nest", je 80 Seiten, vierfarbig, je 18 Euro, bislang drei Bände, Carlsen-Verlag

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