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Schlüsselmoment. So hat unser Autor den Moment festgehalten, als er Klaus Cornfield vor ein paar Jahren bei der Comic Invasion Berlin über den Weg lief.

© Illustration: Bela Sobottke

„Kranke Comics“ von Klaus Cornfield: Auf ewig verdorben

Klaus Cornfields „Kranke Comics“ gibt es jetzt gesammelt als Neuauflage: Eine Sensation, findet unser Autor, der Berliner Comiczeichner Bela Sobottke.

Es war das Jahr 2001. Ein paar Freunde Mitte zwanzig saßen in der schmalen Dachwohnung eines typischen Amsterdamer Grachtenhauses unweit des Rotlichtviertels. Die Stimmung war ausgelassen, die Bierkiste leerte sich. Irgendwann holte einer der Freunde, der bunte Hund der Truppe, einen Comic heraus, den er auf der Zugfahrt von Berlin nach Amsterdam gelesen hatte: „Kranke Comics #8“. Er begann daraus vorzulesen; kurze Zeit später tobte der Raum, es flossen Tränen vor Lachen.

Unschwer zu erraten: Der „Kranke Comics“ vorlesende bunte Hund war ich. Feingeistige Formulierungen aus jenem Heft, wie „Bockfettdusche“, „Ein unglaubliches Seil in die Keramik legen“, „Wir sind ja schließlich nicht zum Spaß hier“ und „Ich schneid’ dir die Sacknaht auf“, gehören seither zu unserem festen Sprachgebrauch. Die Lektüre von „Kranke Comics“ hat uns verroht, verdorben, fürs Leben gezeichnet.

Wie Walt Disney mit Gewalt, Sex und Drogen

Schuld daran ist ein einziger Mann: Klaus Cornfield. Er erfand, schrieb und zeichnete sämtliches Material der Serie. Die Grundidee ist einfach: Ähnlich wie bei Walt Disney sind alle handelnden Charaktere anthropomorphe Tierfiguren, aber anders als bei Micky & Co werden hier nicht Gewalt, Sex und Drogen ausgeklammert, sondern ganz im Gegenteil ausschließlich darauf geachtet.

Dieses Konzept ist nicht weniger als die Essenz der Idee des Underground-Comics. Wenn es ein Spiegeluniversum gäbe, in dem ein fieser Carl Barks und eine gemeine Dr. Erika Fuchs existierten, sie hätten diesen Comic produziert. Ganz besonders deutlich wird der Ansatz im allerersten „Kranken Comic“, der legendären Nullnummer, in der die Figuren noch eindeutig Donald, Micky und Goofy nachempfunden sind.

Vor einigen Jahren schlich Klaus Cornfield auf der Comic Invasion Berlin herum, ausstaffiert als Comiczuhälter, und verkaufte das berüchtigte Heftchen aus einem Koffer heraus. Ich fragte ihn, ob er mir das Heft signieren würde, woraufhin er zurückfragte, ob ich eine favorisierte Figur hätte. Ich erwiderte, was ich immer sage, wenn Zeichnerkollegen mir einen Comic signieren: „Zeichne einfach, was dir gut von der Hand geht.“ Klaus Cornfield kritzelte mir seine Figur Vee-Jay Slam ins Heft und schrieb dazu: „Fick dich und deine Sonderwünsche!“

Nicht jugendfrei: Das Cover des besprochenen Bandes.
Nicht jugendfrei: Das Cover des besprochenen Bandes.

© Weissblech

Ich hatte mir damals vorgenommen, ihm das bei meiner nächsten Signierstunde nachzumachen – habe es aber doch nicht durchgezogen. Ich bin halt nicht so derbe wie Cornfield. Keiner ist so derbe wie Cornfield!

Dieses erste Heft ist aus verständlichen rechtetechnischen Gründen nicht im neuen Sammelband enthalten, der nun bei Weissblech erschienen ist. Davon abgesehen sind alle in ihrer wechselhaften Veröffentlichungsgeschichte erschienenen „Kranken Comics“ hier versammelt, außerdem das zuvor unveröffentlichte Heft 9. Noch nie sind der skrupellose Porno-Produzent Vee-Jay Slam, sein abgewrackter Handlanger Van-Fun, Kotze, die hässlichste Nutte der Welt, und der tragische Akne-Jürgen so geballt ins Rampenlicht getreten. Mittendrin versuchen die beiden liebenswert-harmlosen Plüschgesellen Fou-Fou und Ha-Ha, die so niedlich sind, dass sie auch schon Protagonisten in Kindercomics bei Carlsen und dem JaJa Verlag waren, das Schlimmste zu verhindern. Was ihnen natürlich nicht gelingt.

Wer jetzt denkt, Cornfields „Kranke Comics“ – die kürzlich beim Internationalen Comic-Salon Erlangen mit einer Ausstellung gewürdigt wurden – wären lediglich eine Aneinanderreihung von platten Sexismen, pubertärem Humor und schlechtem Geschmack, der irrt. Vielmehr hat hier jemand der Menschheit genau auf ihre blutigen Finger geguckt und, um nicht an ihrer Niederträchtigkeit zu verzweifeln, die Flucht nach vorne angetreten. Klaus Cornfield hat all die Grausamkeiten und die doppelbödige Moral der Gesellschaft aufgesogen und ihr den hässlichen Spiegel in Form des besten deutschen Underground-Comics aller Zeiten vorgehalten. Macht Platz, ihr Sigurds und Digedags, hier kommt MEIN großer Klassiker des deutschen Comics. Der wird zwar niemals ein „Prädikat Wertvoll“ vom Heimatministerium bekommen – aber war das nicht mal der ganze Sinn und Zweck der Veranstaltung Comic? Also kauft euch das Teil. Sonst schneidet euch Vee-Jay Slam die Sacknaht auf!

Klaus Cornfield: Kranke Comics – das gesammelte Elend, Weissblech-Verlag, 432 Seiten, 24,90 Euro, ab 18 Jahren.

Unser Autor Bela Sobottke ist Grafiker und Comiczeichner und lebt in Berlin. Er zeichnet kranke Comics wie die jetzt erschienene „Kleine krude Rocco-Fibel“.

Bela Sobottke

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