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Mangaheld Toriko: Schlagkräftig, selbstbewusst, mit Vokuhila-Revival

© Promo

Manga "Toriko": Gourmet für's Grobe

Die Manga-Serie „Toriko“ beschreibt ein Schlaraffenland: Leckeres Fleisch, tolle Weine und Türen aus Schokolade. Das bekommt aber nur, wer sich durch eine absurde Monsterwelt prügelt. Das ist Trash vom Feinsten – aber auch eine ernste Sache.  

Es fängt gleich deftig an: Biergläser, die aneinander klirren, Krabben, die geknackt werden, Nudeln, die in gierige Münder wandern. Der Leser sieht Leckereien aller Art und der Sound, der dazu im Manga „Toriko“ geliefert wird, setzt sich zusammen aus „Schlürf“, „Happs“ und „Knusper“. Ganz klar, „Toriko“ ist ein Manga, der sich ein höchst eigenwilliges Sujet gegeben hat: Essen.

Held der Reihe, deren zehnter Band kürzlich auf Deutsch erschienen ist, ist der Titel gebende Toriko. Er sitzt gleich zu Beginn wie ein Berg in der Landschaft, trinkt eine Flasche Bourbon in einem Zug und zieht einen Fisch groß wie ein Wal mit Leichtigkeit aus dem Wasser. Der Kerl scheint ein Herkules zu sein, wo er auftaucht, klappen allen anderen die Kiefer auf den Boden.

Toriko arbeitet als Delikatessenjäger. Er beschafft die seltensten und edelsten Speisen für Sterneköche und Gourmetfans. Keine leichte Aufgabe, denn Toriko muss sich an haushohen Gorillas vorbeiprügeln, um seltene Früchte zu beschaffen oder Jahrhunderte alte Riesenalligatoren mit bloßen Händen zerhacken.

Der Vokuhila-Held erinnert an die Actionstars der Achtziger

Erfunden wurde Toriko von Mangaka Mitsutoshi Shimabukuro. Der 38-Jährige zeichnet seinen Protagonisten schonungslos helden- und hünenhaft, der Bizeps ist ebenso ironisch aufgepumpt wie der Achtziger-Jahre-Vokuhila im Wind weht. Toriko könnte eine naturgewaltige Version von Sylvester Stallone sein oder von Jean-Claude van Damme. Wahrscheinlicher ist wohl, dass sich Shimabukuro am Helden Kenshiro aus „Fist of the North Star“ vom Autorenteam Tetsuo Hara und Buronson orientiert hat: einer Kampfmaschine mit geschwellter Brust und sensiblem Kern. Er hebt sich damit deutlich von anderen zeitgemäßen Protagonisten wie den schmalbrüstigen (aber nicht weniger schlagkräftigen) Helden aus „One Piece“ oder „Naruto“ ab. Auch ist „Toriko“ expliziter: So werden nicht nur den Tieren im Manga reihenweise die Gliedmaßen abgetrennt.

Tatsächlich wirkt der ganze Manga auf erfrischende Art retro, wie eine Hommage an die Megamonster der frühen Achtziger Jahre. Shimabukuro zeichnet mit großer Lust und groben Strichen Bestie um Bestie. Begegnen dem Leser zu Beginn Tiere mit einstelligen Fangleveln – Shimabukuros eigener Bedrohlichkeits-Skala – so werden die Fanglevel rasch zwei- und dreistellig. Und die Viecher drei- oder vierköpfig, mit Klauen groß wie Baumstämme und Zähnen wie Mahlwerke. Godzilla wäre hier nur ein Amuse Gueule.

Und doch ist „Toriko“ ein Manga, der ganz im 21. Jahrhundert angekommen ist. Der Held der Geschichte erhält früh eine Aufgabe, die ihn in die Zeitläufte der fiktiven Welt hineinzieht. Er will – und muss – über sich hinauswachsen. Damit taugt Toriko natürlich zum idealen Shonen-Held, also zum Vorbild für heranwachsende Jugendliche. Schlagkräftig und selbstbewusst, dabei stets auf der guten Seite. Er tötet nur, was er auch essen will. Jeder Faustschlag in Richtung Bestie wird gefolgt von einem bedächtigen „Mahlzeit“.

Autor Shimabukuro ist Unterhalter und Pädagoge zugleich

Das ist hinter all den Kämpfen die zweite Ebene von Shimabukuros Manga: Er ist ein Plädoyer für eine nachhaltige Welt. Sein Gourmet-Manga wirkt zwar wie ein Schlaraffenland, mit sprudelnden Champagner-Quellen, Bäumen aus Schokolade oder Wildschweinen, die bereits lebend durchgekocht sind. Aber zugleich ist in dieser Welt ein verheerender Krieg um die besten Lebensmittel entbrannt. Die einen können sich ernähren, die anderen müssen darben. Jeden einzelnen Bissen zu schätzen, nichts zu verschwenden, das ist Shimabukuros heimliche Botschaft an die jungen Leser.

Der Manga erscheint seit 2008 im führenden Shonen-Magazin Japans, der „Weekly Shonen Jump“. Dort wird das Werk längst auf den vorderen renommierten Plätzen gelistet. Der Kazé-Verlag hat 2012 begonnen, „Toriko“ für den deutschen Markt zu adaptieren. Der im September erschienene zehnte Band zeigt bereits auf, welche neue Dimensionen der Manga verspricht: Denn die größten Monster bei „Toriko“ sind längst nicht mehr nur Tiere.

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