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Therapeut und Patient: Freud mit Münchhausen auf der Couch in einer Szene aus dem Buch.

© Carlsen

„Münchhausen – Die Wahrheit übers Lügen“: Eine Therapie für den Lügenbaron

Flix und Bernd Kissel schaffen mit „Münchhausen – Die Wahrheit übers Lügen“ eine moderne, eigenständige Version des Klassikers - ungelogen.

Ein bekanntes Bild: Münchhausen reitet auf einer Granate über die Schlachtfelder des 1. Weltkrieges und entgeht so dem sicheren Tod in den Schützengräben. - Moment! Was sucht Münchhausen im 20. Jahrhundert? Die Erlebnisse des „Lügenbarons“ Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen, der (ungelogen!) von 1720-97 lebte, sind legendär. Aufgezeichnet wurden die haarsträubenden Geschichten – gegen den Willen des Barons – von einigen Zeitgenossen, die viele neue Lügen dazu erfanden. Später mauserte sich der beliebte Lügenbaron zum Filmhelden, Hans Albers verkörperte ihn 1943 in Helmut Käutners und Erich Kästners Adaption, 1988 nahm sich „Monty Python“-Mitglied Terry Gilliam seiner an.

Nun hat sich ein deutsches Comiczeichnerteam des spätbarocken Stoffs angenommen und daraus eine ganz eigene Legende gestrickt. Der bereits mit Klassikeradaptionen wie „Faust“ und „Don Quijote“ hervorgetretene 39jährige Berliner Zeichner Flix (der auch lange für den Tagesspiegel gearbeitet hat) hat sich für die Graphic Novel „Münchhausen – Die Wahrheit übers Lügen“ diesmal auf das Szenario konzentriert, sein Saarbrücker Kollege Bernd Kissel, Jahrgang 1978 (vor allem regional bekannt durch seine Saar-Legenden-Comics) hat für die gemeinsame Idee die Zeichenarbeit übernommen.

Schön absurd ist schon die Grundkonstellation: „Rony“ Münchhausen landet 1939, am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, per Ballon auf dem Dach des Buckingham Palace in London. Da der ältere Herr mit der barocken Perücke deutsch spricht, aber behauptet, Adolf Hitler nicht zu kennen, ziehen die Schergen des Secret Service einen Spezialisten zu Rate: Dr. Sigmund Freud! Der floh vor den Nazis aus Wien nach London und muss dem schrulligen Herrn, der laut Pass Erich Bürger heißt (ein Wink auf die Münchhausen-Erzähler Rudolf Erich Raspe und Gottfried August Bürger) nun auf den Zahn fühlen. Ist der Deutsche ein Spion, bloß ein Lügner oder steckt ein Korn Wahrheit in seinen Berichten?

Ab durch die Mitte: Der Baron auf dem Buchcover.
Ab durch die Mitte: Der Baron auf dem Buchcover.

© Carlsen

Der „Patient“ erzählt dem Therapeuten seine Lebensgeschichte und beginnt in der Zeit des Kaiserreichs. Ein enormes Trauma wird offenbar: in seiner Jugend verstirbt Ronys ganze Familie auf einen Schlag, und er selbst wird als deren Mörder verurteilt. An seinem Haarschopf muss er sich samt Pferd hochziehen, um dem Gefängnis zu entkommen. Seitdem sucht Rony eine Gelegenheit, dem deutschen Kaiser seine Unschuld zu beteuern. Als Gardist hätte er um ein Haar Erzherzog Franz Ferdinand, den Thronfolger Österreich-Ungarns, vor dem Attentat in Sarajevo retten und somit den Ersten Weltkrieg verhindern können. Nach dem erwähnten Granatenritt gelangt er auf die utopische (und im Gegensatz zum Rest des Buches bunte!) Rückseite des Mondes… Kein leichter Fall für Dr. Freud!

Flix und Kissel benutzen bekannte Motive der Legende und erschaffen eine moderne, eigenständige Münchhausen-Version, die Witz und auch Tiefe besitzt. Die feinen, lebendigen Tuschezeichnungen Bernd Kissels weisen dabei eine große Liebe zum Detail auf, die an manche Klassiker der frankobelgischen Comictradition erinnert.

Flix / Bernd Kissel: Münchhausen – Die Wahrheit übers Lügen, Carlsen Verlag, 192 Seiten, 17,99 Euro

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