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Stützen des Wildschweinsystems. Eine Szene aus dem neuen Asterix-Album samt Häuptlingstochter Adrenaline.

© Illustrationen: Asterix® – Obelix® – Idefix ® / 2019 Les Éditions Albert René / Goscinny – Uderzo

Neues Gallier-Album „Die Tochter des Vercingetorix“: Adrenalinstoß für Asterix und Obelix

Jean-Yves Ferri und Didier Conrad modernisieren den Comic-Klassiker weiter behutsam. Manche Ideen anderer Zeichner gehen den Franzosen aber zu weit.

Diese jugendliche Besucherin lässt die Welt um sich herum ganz schön alt aussehen. Der trotzige Teenager mit dem roten Zopf und den Sommersprossen hat einen starken eigenen Willen, pfeift auf die Vorschriften der Erwachsenen und hängt am liebsten mit den anderen Jugendlichen im Steinbruch ab. Den Altvorderen des Dorfes schleudert der Nachwuchs Sprüche entgegen wie: „Hinkelstein und Zaubertrank sind die Stützen des Wildschweinsystems.“

Adrenaline heißt die junge Frau, die mit ihrem Temperament und ihrem Eigensinn die Ordnung in einem wohlbekannten, von römischen Legionen belagerten Dorf gehörig durcheinander bringt. Sie ist die Tochter eines historisch verbürgten Arverner-Fürsten, der im Jahr 52 vor unserer Zeitrechnung die gallischen Völker zum gemeinsamen Widerstand gegen Cäsars Truppen führte – erfolglos.

Erbverwalter. Jean-Yves Ferri (links) ist der offizielle Asterix-Texter, Didier Conrad der Zeichner. 
Erbverwalter. Jean-Yves Ferri (links) ist der offizielle Asterix-Texter, Didier Conrad der Zeichner. 

© Lars von Törne

Kurz bevor er sich dem Sieger ergab, so erfährt man nun im Comic, übergab Vercingetorix seiner Tochter den Wendelring, einen Halsreif für verdiente Krieger, der als Symbol des gallischen Widerstandes gilt – und den Cäsar unbedingt haben will. Auf der Flucht vor den Römern landet Adrenaline in jenem von unbeugsamen Galliern bevölkerten Dorf und wird so zur Titelheldin des neuen Asterix-Albums, das an diesem Donnerstag in 30 Ländern mit einer Auflage von mehr als fünf Millionen Exemplaren den Handel kommt: „Die Tochter des Vercingetorix“ (Egmont Ehapa, 48 Seiten, Softcover 6,90 Euro, Hardcover 12 Euro, Luxusedition mit Hintergrundmaterial 59 Euro).

Ihrem Namen macht die junge Frau alle Ehre: Nicht nur Asterix und Obelix, die Adrenaline beschützen sollen, beschert die pubertierende Besucherin im Laufe der turbulenten Erzählung einigen Stress. Auch bei anderen altbekannten Figuren dieser Reihe wie den römischen Legionären, Julius Cäsar oder der vom Pech verfolgten Piratenbande provoziert sie hohen Blutdruck und Herzrasen.

Emanzipationsschub in der Männerwelt

Die Figur verkörpert den jüngsten Versuch, eine der erfolgreichsten und langlebigsten Comicserien der Welt aufzufrischen, ohne das Grundrezept zu ändern. Ihre Schöpfer waren der inzwischen 92-jährige Zeichner Albert Uderzo und der Autor René Goscinny (1926-1977). 60 Jahre ist es am 29. Oktober her, dass die beiden Franzosen Asterix und Obelix ihr erstes Abenteuer erleben ließen.

37 Comicalben, die laut Verlag insgesamt 380 Millionen Mal verkauft wurden, sowie 14 Filme später erfährt die über Jahrzehnte von Männern in fortgeschrittenem Alter dominierte Welt der schlagkräftigen Gallier nun einen bemerkenswerten Emanzipationsschub.

„Es gab bei Asterix bisher nur sehr wenige weibliche Figuren“, sagt Didier Conrad, der die Reihe seit dem 2013 erschienenen Band „Asterix bei den Pikten“ zeichnet, im Gespräch in einem Frankfurter Hotel. „Und diese Figuren spiegelten eben immer auch das Bild der Zeit wider: Sie sollten entweder weiblich attraktiv sein oder sie haben ihre Rolle als Hausfrau ausgefüllt, während die Männer die Abenteuer erleben.“

Da sei es an der Zeit gewesen, „mal eine Frau einzuführen, die weder Hausfrau ist noch durch ihre betont weibliche Körperform auffällt.“ Dabei dürften die Verleger auch in Richtung jüngerer Lesergruppen geschaut haben: Umfragen der deutschen Asterix-Herausgeber vom Egmont- Ehapa-Verlag zufolge ist ein nennenswerter Teil der Asterix-Fans der Reihe schon seit 30 Jahren und länger treu. Da wäre es für die Zukunft der wertvollen Marke hilfreich, auch ein jüngeres Publikum stärker an sich zu binden. Und vielleicht auch ein paar mehr Leserinnen.

Ein Umsturz im Dorf

Neben dem Zeichner, der mit seiner kräftigen Statur und der zurückhaltenden Art ein wenig an Obelix erinnert, sitzt an diesem Interviewtag in Frankfurt Jean-Yves Ferri. Er ist, ebenfalls seit 2013, der Autor der Serie und erinnert mit seiner lebendigen Art und der schmächtigen Statur tatsächlich ein wenig an Asterix. „Wir haben eine junge Person eingeführt, um im Dorf einen Bruch, einen Umsturz herbeizuführen“, sagt Ferri.

In bisher drei Alben haben die beiden Franzosen die Arbeit ihrer Vorgänger fortgesetzt und dabei eine feine, von Lesern und Kritik weitgehend positiv aufgenommene Balance zwischen Tradition und Innovation hinbekommen.

Für das nunmehr vierte Album, erzählt Ferri, hatten sie eigentlich eine Geschichte mit Vercingetorix entwickeln wollen, der in Frankreich ein Nationalheld ist. „Das erwies sich dann aber vom Ablauf der Handlung her als zu kompliziert.“ So entstand die Idee, etwas mit seiner – historisch nicht verbürgten – Nachkommenschaft zu machen. Auf diese Weise könne man klassische Episoden der französischen Geschichte anspielen und zugleich eine moderne Geschichte drumherum stricken.

Die spinnen, die Teenager: Das Cover des neuen Asterix-Albums.
Die spinnen, die Teenager: Das Cover des neuen Asterix-Albums.

© Egmont Comic Collection

Die aktuelle Hauptfigur stellte Zeichner Conrad vor eine Herausforderung: Adrenaline ist ein schlaksiger Teenager, der mit Vorliebe schwarze Klamotten im Gothic-Stil statt bunter Kleider trägt. „Da kann man als Zeichner nur wenig Bewegung über die Kleidung oder die Körpersprache vermitteln“, sagt er. „Daher musste ich einen Großteil der Dynamik über die Haare erzeugen.“

Und tatsächlich: Der rote Schopf der jungen Frau entwickelt in vielen Bildern ein Eigenleben, das sieht man schon auf dem Cover des Albums: Mit verschränkten Armen und selbstbewusstem Blick steht Adrenaline da zwischen Asterix und Obelix auf einer Klippe, ihr geflochtener Zopf weht im Wind wie eine stolz gehaltene Fahne.

„Wir haben beide Töchter“

Die Inspiration für diese junge Figur haben die beiden auch aus ihrem Familienleben geschöpft, erzählen sie. „Wir haben beide Töchter“, sagt Ferri. Seine sei inzwischen 24 Jahre alt, die von Didier Conrad 31. „Für die Figur der Adrenaline habe ich viele eigene Erlebnisse und Traumata verarbeitet“, erzählt der Autor. „Und meiner Tochter gefiel das Album sehr – ich denke, sie hat sich an vielen Stellen wiedererkannt.“

Die Erzählung, die Ferri und Conrad um die neue Figur herum entwickeln, ist unterhaltsam, bietet wie gewohnt viel Wortwitz – erneut ins Deutsche übertragen vom bewährten Übersetzer Klaus Jöken – und jede Menge Prügeleien.

Die Zeichnungen sind handwerklich perfekt, auch absolute Kenner der Serie können Conrads Stil nur in wenigen Details vom Strich des einstigen Asterix-Zeichners Uderzo unterscheiden.

„Die Tochter des Vercingetorix“ zeigt ein weiteres Mal, dass es für den auf Traditionspflege bedachten Verlag eine gute Wahl war, die millionenschwere Marke diesem Duo zu überlassen. Allerdings gibt es, abgesehen von der neuen Figur, zeichnerisch und erzählerisch auch kaum Überraschungen.

„Nein, das ist für Asterix nicht vorgesehen“

Dass Asterix auch ganz anders aussehen könnte, das vermittelt ein weiteres Album, das vor wenigen Wochen zum 60. Jahrestag der Reihe im selben Verlag erschienen ist. „Asterix – Die Hommage“ (Egmont Comic Collection, 64 Seiten, 15 Euro) heißt es und vereint knapp 60 ein- bis zweiseitige Kurzgeschichten, in denen durch ihren eigenen Stil bekannt gewordene Comiczeichner wie Lewis Trondheim, Emmanuel Guibert oder Guy Delisle persönliche Variationen der Gallier zeigen. Daneben sind in diesem Album mit Flix, Mawil und Sascha Wüstefeld auch drei deutsche Zeichner vertreten.

Gentrifizierungsgegner. So hat Mawil Asterix und Obelix in seiner Hommage gezeichnet.
Gentrifizierungsgegner. So hat Mawil Asterix und Obelix in seiner Hommage gezeichnet.

© Illustration: Mawil /Egmont Ehapa

Was hielten denn die offiziellen Asterix-Verwalter Ferri und Conrad davon, wenn die Abenteuer der Gallier mal in Albumlänge auf eine in diesem Hommage-Band gezeigte modernere Weise erzählt würden, wie es auch bei anderen frankobelgischen Erfolgsserien wie „Spirou“ oder „Lucky Luke“ inzwischen praktiziert wird?

Dort können seit einigen Jahren ausgesuchte Zeichner neben den Hauptserien in langen Hommage-Bänden ganz eigene Geschichten mit den eingeführten Figuren entwickeln, was zuletzt auch zwei Berliner Zeichner getan haben: Flix mit „Spirou in Berlin“ und Mawil mit „Lucky Luke sattelt um“.

Bei dem Gedanken schüttelt Zeichner Conrad nur mit dem Kopf und nimmt das „Spirou“-Album von Flix in die Hand, das der Interviewer mitgebracht hat. „Nein, das ist für Asterix nicht vorgesehen“, sagt Conrad und blättert mit kritischem Blick durch das Album. „Es sind sehr unterschiedliche Ausgangslagen: Spirou ist als Serie nie so erfolgreich gewesen wie Asterix.“ Das habe den „Spirou“-Verleger immer wieder zu neuen Experimenten veranlasst. „Asterix hingegen ist so ein großer Erfolg, dass wir als Autoren und auch der Verlag sagen: Wenn man etwas ganz Neues ausprobiert, kann es nur schlechter laufen als die klassische Serie.“

Das Cover des Hommage-Bandes zum 60. Jahrestag des ersten Asterix-Auftritts.
Das Cover des Hommage-Bandes zum 60. Jahrestag des ersten Asterix-Auftritts.

© Egmont Comic Collection

Währenddessen hat Autor Ferri sich Mawils Lucky-Luke-Album angeschaut und auch dessen Asterix-Kurzgeschichte im Hommage-Band zum 60. Geburtstag. Darin stellt der Berliner Zeichner die beiden Gallier als Kämpfer gegen Gentrifizierung vor, die sich gegen die Räumung eines alternativen Hausprojektes wehren, das einem Shopping-Center weichen soll.

„Das ist toll gezeichnet“, sagt Ferri. „Aber es wäre mir zu einfach, Asterix für eine Geschichte zu benutzen, die nicht der klassischen Serie entspricht.“ Ihm sei es bei aller nötigen Modernisierung wichtig, „das Erbe zu bewahren“, sagt er. „Unsere Aufgabe ist ja nun einmal, Asterix so fortzusetzen, wie er bisher existiert hat.“ Das sei wesentlich schwieriger, als nun etwas ganz Neues mit den Galliern anzustellen. „Dafür sollte man sich an die typische klare Linie halten und den klassischen Figuren gerecht werden.“

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