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Mythologische Gestalt: Antigone, wie Olivia Vieweg sie sieht.

© Illustration: Carlsen

Olivia Viewegs „Antigone“.: Enteignet und angeeignet

Versuch der lyrischen Bestandsaufnahme in vier Aufzügen anhand Olivia Viewegs Comic-Adaption von Sophokles' antiker Tragödie „Antigone“.

(1. Aufzug und Vorspiel)
Adaptionen,
Schwestern, gleichem Mutterleib entstammt.
Adaption, stell' niemals Inhalt über Ton,
soll doch der Ton den Kunstgehalt bestimmen,
und statt das 'Was?', nur stets das 'Wie?'

Das Unterfangen einer Comic-Reihe, nur mit Adaptionen auf Leser*innenfang zu gehen, mag an die heute noch im neuen Bildschriften-Verlag herausgegebenen Illustrierten Klassiker erinnern, welche unverzagt versuchen, die Menschheit mit Comic-Versionen von Werken der Weltliteratur zu beglücken.

Oder es beschwört die mittlerweile nirgends mehr verlegten seligen Gespenster-Geschichten; denn laut der Absichtserklärung auf dem Buchrücken unterhalb des Reihentitels von „Die Unheimlichen“ – siehe dazu meine Auslassungen in „Zur Spannung noch das Feuilleton“ – sollen hier „Comiczeichner“ (obwohl die Herausgeberin der Reihe, Isabel Kreitz, erfreulicherweise überproportional Frauen engagiert) „klassische und moderne Schauergeschichten“ „interpretieren“.

So auch Olivia Vieweg, die ihre Interpretation des Sophokles-Klassikers „Antigone“ (Carlsen, Hardcover, 64 S., 12 €), in dem das Aufbegehren der weiblichen Titelfigur gegen Weisungen des männlichen Herrscher Kreon thematisiert wird, zum Besten gibt.

Und wenn wir schon bei Cover-Versionen sind, kehren wir noch einmal zum Back-Cover zurück: Bei einem, nun ja, wortspielverliebten Buchrückentext wie dem, der „Antigone“ ziert, drängt sich die Frage auf: Schießt die redaktionelle Betreuung der Comic-Reihe „Die Unheimlichen“ zuweilen etwas über das Ziel hinaus?

Vergleichend aufgeführt werden dort nämlich – verweisend auf den Namen der titelgebenden Figur des Buches – eine Anti-Märchenprinzessin, ein Anti-Schneewittchen sowie ein Anti-Dornröschen. Was leider fehlt: Etwas wesentlich naheliegenderes und dem Zeitpunkt der Entstehung entsprechendes wie „Antik“.

Weiteres redaktionelles Beiwerk, wie das Nachwort von Spiegel-Redakteurin Anette Bruhns, ergeht sich denn auch in Analogien zum Filmhandwerk, zu Ungunsten des die Rezeption steuernden Einsatzes fallender Haare in vier aufeinanderfolgenden Panels und des von Vieweg durch Bewegungsrichtung, Schraffierung und Musterwiederholung in Bewegung gebrachten Untergrunds, auf dem die Schwestern Antigone und Ismene agieren.

Zu beachten wäre hier überdies die visualisierte Distanz zwischen Heiß und Kalt („Du hast ein heißes Herz bei schaurig kalten Dingen … “) im Zusammenhang mit den zivilen Ungehorsam gegenüber dem Herrscher kontrovers debattierenden Schwestern, gleichend aufeinandertreffen Antipoden, hust... okay Zoomer, und nicht die „Kamera zieht“ in Comics „weit auf“, genaugenommen heißt es nämlich Splash Page, wenn eine Szenerie im Vollbild etabliert wird.

Fan-Fiction bis(s) zum Morgengrauen - die Umschreibung ist im vollen Gang
Fan-Fiction bis(s) zum Morgengrauen - die Umschreibung ist im vollen Gang

© Illustration: Vieweg/Carlsen

(2. Aufzug)
„Wer nur mit Worten liebt, den will ich nicht“,
so Antigone verspricht,
dem Kreon – oder auch der Masse,
vereint versammelt an der Kasse,
verlangt es dieser nach Vertrautem
und nicht, o weh, nach Neugebautem.

Lesbar ist die Textübernahme der ersten Zeile „Wer nur mit Worten liebt, den will ich nicht“, entstammend dem Originaltext Sophokles', als Kommentar zu sich visuelle Inszenierung darbend absparenden Literaturadaptionen, welche stattdessen lieber einem Uhu auf dem Ast gleichend sicher am Ur-Text klebenbleiben.

Zudem wäre es nicht das erste Mal, dass einem bei der Lektüre von Viewegs Comics der Eindruck einer leicht ironischen Haltung ihrerseits gegenüber dem Umgang deutscher Künstler*innen mit der Literaturadaption befällt: So hatte die in Weimar lebende Zeichnerin bereits in „Endzeit“ der Niveauhuberei im deutschen Comic durch die Platzierung eines mit „Bitte nicht hamstern“ beschrifteten Schildes unter dem Denkmal von Schiller und Goethe gedacht.

Und auch sonst ist Vieweg lieber „spot on“, also auf den Punkt, beim Nutzen nonverbaler Elemente wie beispielsweise der Farbdramaturgie – denn Spotlack, beziehungsweise Schmuckfarbe, ist hier fester Bestandteil der Reihe. Im fulminanten Finale, in denen das Rot die Bilder zunehmend dominiert und durchtränkt, nutzt Vieweg dieses Stilelement denn auch exzessiv.

Behände übergeführt zu einem selbstverzehrenden Ende - Vieweg adaptiert mit Subtext.
Behände übergeführt zu einem selbstverzehrenden Ende - Vieweg adaptiert mit Subtext.

© Illustration: Carlsen

(3. Aufzug)
Kreon jedoch ordnet an,
dass Bruders Leichnam
rotten kann,
doch Not beachtet nicht Gebot
bald droht Antigone der Tod.

Vorher jedoch nutzt die adaptierende Vieweg noch andere Tricks ihrer Profession, wie zum Beispiel die Darstellung von übermächtiger und übergriffiger Männlichkeit, indem Antigone beispielsweise zur Unterstreichung der Aussichts- und somit Machtlosigkeit weiblichen Widerstands gegen herrschaftliche Weisungen – hier: den eigenen Bruder nicht beerdigen zu dürfen und entehrt als Aas darzubieten – die Sprechblase zur Entgegnung verwehrt wird.

Nur als wortentleertes Bildelement hätte diese noch zu einer weiteren Akzentuierung wiewohl Steigerung der Aussage beitragen können.

Dennoch, sich der meisten Fallstricke durchaus bewusst, überführt Vieweg behände den Strang von Sophokles Tragödie hin in ein von lautmalerischer Bildabstraktion bestimmtes und zugleich – obwohl von Blut im Rinnstein, sprich der Lücke zwischen den Panels, oftmals befreit – blutdurchströmtes Einzelbild-Szenario.

Das Titelbild des besprochenen Bandes.
Das Titelbild des besprochenen Bandes.

© Carlsen

(4. Aufzug und Schluss)
Den Bruder in der Erde haben,
will sie –
doch Kreon lebend sie begraben.

Die wünschenswerte Eigenleistung im Sinne des Weiterdenkens einer Adaption darstellend, wird hier abweichend von der Vorlage eine andere Lesart ermöglicht. Durch die Einmauerung der gegen den Herrscher Kreon aufbegehrenden Antigone und die Andeutung des Selbstverzehrens mittels des Bisses auf den eigenen Finger im blutbefleckten Ambiente kann die Visualisierung und die Auswahl der Textstelle („Stellt nur so viel Nahrung hin, wie es zur Entsühnung reicht.“) als Parteinahme für eine Kannibalisierung von Inhalten und damit als Statement zur Fan-Fiction und deren positiver Auswirkung auf das Wesen der Adaption verstanden werden. Außerdem wird der ursprüngliche Schluss der Tragödie, bei dem Antigone sich erhängt, so negiert.

Doch letztlich wird dadurch der auch dem knappen Format geschuldete Zwang zur Fokussierung mittels Ermöglichung einer alternativen Lesart zur Demonstration eines sprudelnden und zugleich ökonomischen Ideenreichtums der Autorin genutzt.

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