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Im Geiste der Pulp-Literatur: Eine Seite aus dem Band.

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Postapokalyptische Abenteuercomics: Cadillacs und Dinosaurier

US-Künstler Mark Schultz illustrierte „Conan“, schreibt neue Abenteuer für„Prinz Eisenherz“ und Will Eisners „Spirit“ oder erklärt per Comic „Die Sache mit den Genen“. Nun ist eine Gesamtausgabe seiner grandios gezeichneten Pulp-Comicserie „Xenozoic“ erschienen.

Seit Jahren wandelt der 1955 geborene Mark Schultz auf den Spuren der großen klassischen Illustratoren, die ihn ebenso wie die gesamte amerikanische Comic-Bewegung nachhaltig beeinflusst und geprägt haben. Dabei ist seine Bewunderung für die alten Meister wie Winslow Homer, Howard Pyle, N.C. Wyeth, Daniel Smith, Dean Cornwell, Herbert Morton Stoops und Frank Hoban mindestens so groß wie seine Liebe für Hal Foster („Tarzan“, „Prinz Eisenherz“) Alex Raymond und Al Williamson („Flash Gordon“), Will Eisner („Ein Vertrag mit Gott“, „Spirit“) oder Fantasy-Maler Frank Frazetta. Heute ist Schultz längst selbst ein großer Cartoonist und Illustrator, der mit Pinsel und Tusche begeistert und zu dem andere Künstler voller Bewunderung aufschauen. Und die Fans der neunten Kunst lieben ihn eh. Warum das so und darüber hinaus mehr als nur gerechtfertigt ist, zeigt die umfangreiche englischsprachige Gesamtausgabe von Schultz’ „Xenozoic Tales“, die vor Kurzem bei Flesk Publications erschienen ist.

Die Serie ist eine Dokumentation von Schultz künstlerischen Vorlieben, seinem Können als Illustrator und seiner Begeisterung für Abenteuerstoffe aus den Groschenheften und dem Kino, „Hatari“ und natürlich Dinosaurier, in die er sich schon im Alter von sechs Jahren verliebte, als er das erste Mal in ein Naturkundemuseum mit einer entsprechenden Abteilung ging. Gleichzeitig war das Setting zwischen Cadillacs und Dinosauriern auch ein künstlerischer Protest gegen Schultz damaligen Brotjob als Werbegrafiker kurz nach dem College. „Ich wusste nicht wirklich, wo ich mit der ganzen Idee hin wollte“, gestand Schultz einmal, als er über die ersten Storys der Reihe sprach. „Es ging mir am Anfang nur um absolute Kreativität.“ Wie bei vergleichbaren Endlosserien anderen á la „Prinz Eisenherz“ war Schultz’ Ziel ohnehin niemals ein echtes Ende, eine Klimax oder ein großes Finale – der Weg war immer das eigentlich Ziel, und er sollte möglichst unterhaltsam sein und Freude beim Inszenieren und Entdecken bereiten.

Neues Leben nach dem großen Knall

So wie Schultz’ Zeichenstil seit jeher von seiner Bewunderung für die alten Meister und die ersten Veteranen seiner Zunft geprägt ist, schwankt das Setting von „Xenozoic“ irgendwo zwischen J. G. Ballard und Edgar Rice Burroughs. In 14 Heften und gut 20 Kapiteln erzählte Schultz zwischen 1986 und 1996 die Geschichte der Welt nach dem Kataklysmus, dem Zusammenbruch und Untergang der menschlichen Zivilisation also. Das Zeitalter nach dem großen Knall ist das Känozoikum, die Erdneuzeit – im Englischen Cenozoic, woraus Schultz kurzerhand Xenozoic gemacht hat, denn im Geiste der Pulp-Literatur muss es ja schließlich fetzig und reißerisch klingen.

In den Ruinen der einstigen Zivilisation kämpfen die Menschen, die das Fiasko im Untergrund überlebt haben, inzwischen wieder an der Oberfläche und hier in den verwilderten, teils überfluteten Metropolen von einst ums Überleben – mit Messern, Bogen, Ruderbooten und Gewehren, einfachen politischen Rats-Systemen und wenig Kontakt zu anderen Enklaven, dafür aber mit viel Feindkontakt zu Flora und Fauna. Ein Mittler zwischen den wenigen Menschen und der in voller prähistorischer Pracht auferstandenen Wildnis sind Männer wie Jack Tenrec: Er ist eine Art Mechaniker-Schamane, der für die Cadillacs der alten Welt ein genauso geschicktes Händchen hat wie für das Gleichgewicht der neuen Welt, in der die Menschen nun als arg geschwächter Teil der Nahrungskette überleben müssen. Aber so wie die von Tenrec umgebauten Cadillacs nun mit Dino-Dung laufen, hat sich noch mehr in dieser Welt gut fünfhundert Jahre nach dem Ende der alten Ordnung verändert. Nur die menschliche Habgier und der Hang zu den ewig gleichen Fehlern ist unverändert geblieben, wie Ternec und die bildhübsche, extrem manipulative Übersee-Botschafterin und Spionin Hannah Dundee oft genug zu spüren bekommen ...

Schamane mit Gewehr und Faust

Nach einer Handvoll eher lose zusammenhängenden Geschichten, in denen das für sich stehende Abenteuer groß geschrieben ist und Schultz das Fundament seiner Welt legt, sind die restlichen Episoden wesentlich stärker verknüpft, und politische Intrigen und Machtspielchen treten in den Vordergrund. Das ist nicht immer ganz so charmant wie davor, hat aber eine ganz eigene Sogwirkung. Und neben den Abenteuern mit Cadillacs, Mammuts, Dinosauriern, verrückten Wissenschaftlern, unbelehrbaren Jägern und korrupten Politikern ist da immer auch noch Platz für eine Umweltbotschaft, die in vielen von Schultz’ Werken durchklingt  – in „Xenozoic“ meist dann, wenn Tenrec als raubeiniger, simpel gestrickter Schamane mit Gewehr und Faust für das Gleichgewicht in der Erdneuzeit und Gerechtigkeit gegenüber der archaischen Natur sorgt, die die gesamte Menschheit schon einmal fürchterlich bestraft hat und es mit Sicherheit jederzeit wieder tun würde.

Von den Klassikern inspiriert: Covermotiv des Sammelbandes.
Von den Klassikern inspiriert: Covermotiv des Sammelbandes.

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Zeichnerisch überzeugt Schultz Panel für Panel, selbst wenn ein paar Seiten mal etwas arg altbacken erzählt sind. Das große Vorbild Foster ist allgegenwärtig, aber auch die Anleihen bei Eisner und Frazetta sind unverkennbar. Mit grandiosem Pinselschwung, viel Dynamik und doch auch immer großer Eleganz lässt Schultz die Erdneuzeit in stimmungsvollem Schwarzweiß Gestalt annehmen. Dass die „Xenozoic Tales“, an denen Schultz während der Arbeit auch viel über das Handwerk eines Comic-Erzählers lernte, zu Beginn und auch jetzt wieder ohne vierfarbige Kolorierung veröffentlicht wurden, hatte mit dem Erfolg der „Turtles“ zur Entstehungszeit zu tun, die ebenfalls ohne Farbe zu einem Hit geworden waren. Später gab es zwar kolorierte Nachdrucke der Erdneuzeit-Abenteuer bei Marvel – zum Glück hat man für die Gesamtausgabe aber auf die Urfassung zurückgegriffen, in der jede Linie und jeder Pinselschwung eine wahre, unverfälschte Freude sind.

Für die englischsprachige Gesamtausgabe wurden bis auf zwei Storys außerdem alle Hefte anhand von Schultz’ Originalseiten neu eingescannt (die knapp 20 Seiten, bei denen das nicht mehr möglich war, wurden anhand von Repros neu digitalisiert, was ihrer Qualität keinen Abbruch tut). Entsprechend gut kommt Schultz’ Artwork in der Neuausgabe rüber, selbst wenn die redaktionelle Betreuung des überformatigen Paperback-Klotzes trotz Vorworts ein wenig dürftig ausgefallen ist und ausnahmsweise mal kein teures Deluxe-Hardcover als Alternative bereit steht. Dafür hat der Band andere Vorzüge, wie Verleger John Fleskes erklärt: „Das Buch enthält alle Geschichten, die Mark Schultz bis heute geschrieben und gezeichnet hat. Für die Deckblätter der Storys hat er außerdem zwanzig neue Zeichnungen angefertigt. Dazu kommen ein paar weitere Illustrationen und das handkolorierte neue Cover.“ 

Unvollendeter Cliffhanger

Und nachdem es in den 1990ern sogar eine „Xenozoic“-Trickserie, Actionfiguren, ein Rollenspiel, ein Konsolen-Videogame, eine Soundtrack-CD zur Comic-Welt und ein paar Hefte mit neuen Geschichten anderer Künstler um Comic-Legende Roy Thomas gab, fehlt nun eigentlich einzig und allein noch Mark Schultz’ Rückkehr zum nicht aufgelösten Handlungsbogen in seinem letzten Heft von 1996 – etwas, woran Schultz über Umwege arbeitet, wie er in Interviews immer wieder sagt: „Es ist nur eine Frage der Ökonomie. Ich möchte zu Xenozoic zurückkehren. Das ist mein Baby. Und in der Welt gibt es noch so viel, das ich erkunden möchte, auch jenseits des Atlantiks.“ Außerdem hat er angeblich schon seit einiger Zeit eine Idee, um mit einer einzigen vierteiligen Story sowohl den Cliffhanger aus den 1990ern aufzulösen, als auch eine für sich stehende Geschichte zu schaffen.

Doch Zeit und Geld sind ein Problem für den langsam arbeitenden Künstler, für den sich der Kreis in den letzten Jahren jedoch längst auf andere Weise geschlossen hat: Seit 2004  ist er der Autor und gelegentlich auch Zeichner der „Prinz Eisenherz“-Sonntagsseiten, und 2010 schrieb er ein paar neue Abenteuer von Will Eisners „Spirit“ für DC, nachdem er einige Jahre zuvor schon „Superman“ textete. Aber vielleicht gelingt Schultz ja doch irgendwann die Rückkehr in die Erdneuzeit, die er so stimmig in Szene gesetzt hat, so wie den Dinosauriern auch oft genug die erfolgreiche Rückkehr in die Massenmedien gelang. Bis dahin gilt: Cadillacs und Dinosaurier – auch nach all der Zeit immer noch eine unschlagbare Kombination!

Mark Schultz: Xenozoic (englischsprachige Gesamtausgabe), mit einem Vorwort von Craig Elliott, Flesk Publications, großformatiges Paperback, ca. 30 Euro. 352 Seiten. Leseproben unter diesem Link.
Mehr von unserem Autor Christian Endres findet sich auf seinem Blog: www.christianendres.de - wir danken für die freundliche Genehmigung zur Zweitveröffentlichung dieses Textes.

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