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„Ach, so ist das?!“ - Martina Schradis biografische Comicserie gibt es als Buch, Wanderausstellung und online: www.achsoistdas.com.

© Schradi

Queere Biografien als Comics: „Es gibt immer wieder Gegenwind“

Die Zeichnerin Martina Schradi über Fortschritte und Herausforderungen in Sachen queere Comics.

Martina Schradi, mittlerweile gibt es zwei Bände von „Ach, so ist das?! Biografische Comicreportagen von LGBTI“ – also Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans und Intergeschlechtlichen. Wie sind Sie anfangs auf die Idee gekommen?
Ich fand das Thema Queerness im deutschen Comic unterrepräsentiert und wollte dazu etwas machen. Mir war dabei wichtig, dass die Leute aus der Community selbst etwas erzählen, das ihnen wichtig ist. Das war recht niedrigschwellig für mich, weil ich einfach Freund*innen gefragt habe, ob sie mitmachen wollen. Dann gab’s eine Pressemitteilung und viele Leute haben sich gemeldet.

Was hat sich seit der Veröffentlichung von Band 2 von „Ach, so ist das?!“ getan?
Ich habe festgestellt: Es gibt offensichtlich einen großen Bedarf an queeren Geschichten und queerer Ausdrucksform, weil ich ganz viele Anfragen dazu bekomme. Von öffentlichen Einrichtungen oder aus der Zivilgesellschaft, die mit dieser Ausstellung auf das Thema aufmerksam machen wollen. Durch den Schwerpunkt geflüchtete LGBTI-Menschen im zweiten Buch war da ein besonderes Interesse vorhanden. Das zeigt mir, dass das bisher gefehlt hat. Es geht vor allem darum, Bilder zu haben. Denn das ist eines der stärksten Elemente, um Sichtbarkeit zu schaffen. Und mit meinen Bildern können die Menschen eben auch arbeiten.

Eignet sich das Medium also besonders gut, um queere Themen und Menschen sichtbar zu machen?
Ja. Wir haben ja eine enorme Freiheit als Zeichner*innen, können Figuren schaffen, wie wir es wollen und müssen uns nicht an heteronormativen Äußerlichkeiten festhalten. Wir können unsere eigene Welt erschaffen.

Ist es einfacher geworden, queere Comics bei Verlagen unterzubringen, als früher?
Wir mussten lange warten, bis sich da etwas gedreht hat und die Verlagsprogramme diverser wurden. Aber jetzt sind wir an einem Punkt, an dem sich Verlage mehr trauen. Splitter, Carlsen, JaJa, Schwarzer Turm, Zwerchfell – alle haben in letzter Zeit queere Comics publiziert und das finde ich eine tolle Entwicklung.

Vor der Flucht. Eine Szene aus „Ach, so ist das?!“.
Vor der Flucht. Eine Szene aus „Ach, so ist das?!“.

© www.achsoistdas.com

Also läuft alles perfekt?
Nein, das nicht. Was wir noch brauchen, sind stärkere Strukturen, damit queere Menschen Comics überhaupt machen können: Unterstützung, Mentoring, Fördermöglichkeiten, Möglichkeiten der Sichtbarkeit auf Messen und des Publizierens. Außerdem benötigen Marginalisierte unter Umständen mehr Zeit, weil ihr Lebensweg nicht so glatt verläuft und sie nicht schon mit 23 ihr erstes Album rausbringen können. Das muss in den Strukturen berücksichtigt werden. Aber auch da geht es vorwärts. So gibt es ja jetzt den GINCO-Preis, der unter anderem Werke hervorhebt, die sich mit marginalisierten Gruppen beschäftigen.

Und bezogen auf Ihre Arbeit konkret?
Da erfahre ich auch immer wieder Gegenwind. Leute, die meine Ausstellungen zerstören oder Hasskommentare in das Gästebuch schreiben. Auch aus den eigenen Reihen der Comicszene gibt es Anfeindungen und Beleidigungen. Und wenn strukturell an manchen Stellen Personen sitzen, die queere Arbeit blockieren, wird es schwierig. Mein Verlag hatte anfangs Probleme, eine Druckerei für meine Bücher zu finden. Eine ganze Zeit war es für Buchhändler*innen sogar nicht möglich, mein Buch zu bestellen. Ich frage mich auch, warum es auf der Vertriebs-Webseite von allen neueren Büchern Leseproben gibt, nur von meinem nicht? Und warum meine Bücher eine Zeitlang auf dieser Webseite gar nicht zu finden waren?

Welche Rolle spielen Veranstaltungen wie Festivals und Cons für queere Comics?
Überall dort, wo mit Bildern und Geschichten gearbeitet wird, haben wir noch mit Heteronormativität und weißer Dominanzkultur zu tun. Deshalb gilt auch für Messen und Festivals, dass diverse Publikationen und Comicschaffende sichtbarer werden müssen. Zumindest freue ich mich, dass wir auf dem nächsten Internationalen Comic-Salon in Erlangen wieder einen queeren Schwerpunkt organisieren wollen, der Sichtbarkeit und Vernetzung bewirken soll.

 Martina Schradi ist Psychologin und Komunikationsdesignerin.
Martina Schradi ist Psychologin und Komunikationsdesignerin.

©  Marion Stephan / Promo

In Sachen Netzwerken haben Sie auch vor kurzem „Queersplaining“ ins Leben gerufen. Was ist das genau?
Seit ein paar Jahren beobachte ich die queere US-amerikanische Comic-Szene - da gibt es beispielsweise alle zwei Jahre die Queers & Comics Conference mit Lesungen, Panels, Vernetzungsmöglichkeiten – und wir wollen diesen Geist nach Deutschland bringen. Momentan geschieht das noch im Kleinen auf Twitter und Instagram, aber wir haben einen ersten, großen Schritt getan. Zusätzlich versuche ich jetzt ein Netzwerk aus queeren Comicschaffenden aufzubauen, um sich auszutauschen und gemeinsam stärker auftzutreten.

Gibt es da Kontakte innerhalb Europas in andere Länder und deren queere Szenen?
Ja! In Frankreich kennen wir einige Leute, dort gibt es eine sehr lebendige queere Comicszene. Die veranstalten jährlich einen queeren Salon BD. Da möchte ich dieses Jahr auch mal hin. Außerdem organisieren die Ausstellungen in Angoulême und bringen jährlich eine queere Anthologie heraus, in der ich auch schon veröffentlichen konnte.

Was steht in Sachen queere Comics bei Ihnen als Nächstes an? Was wünschen Sie sich für die deutsche Szene?
Ich möchte eine deutschsprachige queere Anthologie herausbringen. Generell wünsche ich mir, dass wir hier ähnlich offen und positiv mit queeren Comics umgehen wie in Nordamerika. Ich war auf dem Toronto Comic Arts Festival, da sind queere Comics ein Aushängeschild. Die sind super stolz über jedes Buch, das sich mit Diversität befasst! Davon sind wir noch meilenweit entfernt.

Das Interview führte Lara Keilbart

Lara Keilbart

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