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Revolutionäre Träume: Castro als Comic-Held

Fidel Castros Wirken wurde auch im Comic reflektiert. Autoren wie Reinhard Kleist und Inverna Lockpez haben Mythos und Wirklichkeit der kubanischen Revolution analysiert.

Von Michael Schmidt

Das Gefühl, dass etwas zu Ende geht. Der Wunsch, etwas Vergängliches festzuhalten. Etwas Großes, Bewegendes, Inspirierendes. Etwas das vor mehr als einem halben Jahrhundert begann. Mit einem revolutionären Funken, der von den Bergen Kubas auf die ganze Welt übersprang und, in Ablehnung und Zustimmung, politische Leidenschaften entfachte. Träume von einer besseren Welt, sozialer Gerechtigkeit und einem Leben in Freiheit und Brüderlichkeit. Ja, es geht um viel Pathos. Passion. Politisches Utopia.

Die Rede ist von der Ära Fidel Castros, die in der Nacht zu Sonnabend mit der Nachricht von seinem Tod endete. Vom Leben des kubanischen Revolutionsführers, mit dessen Namen sich hochfliegendste Hoffnungen, aber auch schmerzlichste Desillusionierungen verbinden. Denn die Wirklichkeit des karibischen Inselmarxismus 50 Jahre später ist ernüchternd.

Reinhard Kleist, Berliner Grafiker, Designer und vielfach ausgezeichneter Comic-Autor, hat sich vor einigen Jahren auf die Spuren des Volkstribuns der Karibik begeben und die Lebensgeschichte des jetzt mit 90 Jahren gestorbenen Kommunistenführers in seinem Buch „Castro“ aufgezeichnet (Carlsen, 282 Seiten, 19,90 Euro). Das Ergebnis ist nicht nur ein fesselndes Porträt des selbsternannten Máximo Líder, der, wie Castro-Biograf Volker Skierka in seinem Vorwort schreibt, „ein Leben wie aus einem lateinamerikanischen Abenteuerroman“ gelebt hat. Kleists Bilder spiegeln zugleich ein Stück Landesgeschichte wider.

Und der womöglich größte Gewinn des Bandes liegt in der Story selbst, die einen politischen Prozess nachvollziehbar, ja, geradezu nacherlebbar macht, den es so oder so ähnlich nicht nur auf Kuba gegeben hat: Wie und warum nämlich Aufbruch und Bewegung in Erstarrung münden, Euphorie in Lethargie endet und Freiheitsrhetorik in Unterdrückung. Und was es für den Alltag, das Leben und das Lieben der Menschen bedeutet, wenn revolutionäre Ideen an die Macht kommen, institutionalisiert und schließlich nur noch verwaltet werden: nichts Gutes.

Eine der umstrittensten Figuren der Zeitgeschichte

Einige Jahren zuvor hatte Kleist mit „Havanna“ bereits einen gezeichneten Reisebericht über seinen ersten Aufenthalt auf Kuba vorgelegt. Wenige Wochen nachdem Fidel Castro wegen einer Darmerkrankung endgültig abgetreten war und alle Ämter an seinen Bruder Raul übergeben hatte. Auf knapp hundert Seiten verband Kleist flüchtige Skizzen mit farbig ausgemalten Comics, die Stimmungen transportieren, Atmosphäre spiegeln, von Begegnungen erzählen. Bilder vom morbiden Charme verfallener Kolonialhäuser, alter Sprit schluckender Autos, herrlicher Landschaften und musizierender Menschen wechseln sich ab mit Erzählungen von der allgegenwärtigen Armut der Menschen und ihrem improvisierten Lebensalltag.

Für „Castro“ hat Kleist die Farbpalette beiseite gestellt und sich aufs vermeintlich sachliche Schwarz-Weiß beschränkt. Doch „Castro“ ist keineswegs eine rein faktische Nacherzählung oder chronologische Ereignisgeschichte. Im Gegenteil. Bild und Text sind hochemotional, fiktionale Zuspitzungen legen Widersprüche bloß, machen Brüche deutlich, zeigen, wie schwierig das Zusammenkommen und Zusammenbleiben von Mann und Frau sein kann, wenn das Private politisch und die Politik privat wird.

Mit Fidel Castro hat sich Kleist eine der interessantesten und umstrittensten Figuren der modernen Zeitgeschichte vorgenommen, einen Menschen, der von manchen wie Jesus verehrt, von anderen wie der Teufel gehasst wurde. Kleist vermag es, mit nahezu unglaublicher Virtuosität die Physiognomie und Haltung seiner Protagonisten authentisch wiederzugeben. Je größer die Bilder, desto dynamischer fällt sein Strich aus. Und groß sind sie vor allem an herausragenden Wendepunkten von Castros Biografie: Bei der Überfahrt der Rebellen von Mexiko nach Kuba auf  der „Granma“ zum Beispiel. Beim Leben, Lieben und Kämpfen in den Bergen der Sierra Maestra. Bei der gescheiterten Invasion von Exilkubanern in der Schweinebucht.

Castro hat nicht nur hunderte Attentate überlebt, sondern auch fast ein Dutzend US-Präsidenten, eine Reihe sowjetischer Generalsekretäre, demokratische Regierungschefs, Diktatoren und Stellvertreter Gottes – bis er die am längsten herrschende Nummer eins des 20. Jahrhunderts wurde. Er hat sein Land aus der Abhängigkeit vom großen Bruder im Norden, den USA, gelöst, und seinem Volk erstmals in der Geschichte zu nationaler Identität und Würde und Stolz verholfen – und  binnen Jahrzehnten all das verspielt. Wie – das zeigt Kleist mit Hilfe der erfundenen Figur des Karl Mertens, eines Journalisten aus Deutschland, der nach Kuba kommt, sich verliebt, dem Kampf der Revolutionäre anschließt und uns als Augen- und Ohrenzeuge die Geschichte der vergangenen 50 Jahre erzählt.

Erschrockene Einsicht in die eigene Verführbarkeit

Ein Kunstgriff, den Inverna Lockpez nicht braucht. Sie war dabei. Die in Havanna geborene und in den späten 60er Jahren in die USA ausgewanderte Künstlerin hat tatsächlich erlebt, wovon sie in „Cuba – My Revolution“ (Vertigo, 144 S. auf Englisch, ca. 19 Euro) erzählt.

Ihr Band ist Bekenntnis, Beichte und Anklage zugleich. Die Geschichte, die sie zu erzählen hat aber ist die gleiche: Der Traum von der Revolution setzt Kräfte frei, doch er mündet fast immer in Enttäuschung. Enttäuschung durch eine Wirklichkeit, die sich nicht nach dem Traum richtet. Eine Wirklichkeit, die einen immer wieder vor eine harte Wahl stellt, so wie die 17-Jährige Heldin dieses Bandes, die zwischen ihrem Wunsch zu malen und dem Drang der Heranwachsenden, der Revolution zu dienen hin und her gerissen ist, zwischen ihrer Familie und ihrem Geliebten, zwischen Kuba und den USA. In scharfem Rot-und-Schwarz-Weiß-Kontrast vom New Yorker Cartoonisten Dean Haspiel illustriert gerät  dieser Erfahrungsbericht zu einem Dokument der erschrockenen Einsicht in die eigene ideelle Verführbarkeit.

Beide Bücher – wie auch zwei weitere Comics: Stefano Casinis „Hasta la Victoria“ (Zack-Edition) und Kiyoshi Konnos und Chie Shimanos „Che Guevara: A Manga Biography“ (Penguin) – ließen sich schon vor Castros Tod wie ein Nachruf lesen. Auf jugendliche Illusionen, auf den Sozialismus, auf Castro. Doch der Traum von einer besseren Welt, er wird weitergeträumt.

Michael Schmidt ist Politikredakteur des Tagesspiegels und Lateinamerika-Experte. Eine leicht gekürzte Fassung dieses Textes erschien zuerst im gedruckten Tagesspiegel auf der Comicseite vom 10. November 2010 und wurde jetzt aus aktuellem Anlass leicht überarbeitet.

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