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Schiff und Wetter, Mann und Seenot: Das zeichnen wenige so eindrucksvoll wie Riff Reb's.

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Riff Reb's "Der Seewolf": Der böse Mann und das Meer

Jack Londons "Der Seewolf" ist gleichermaßen Abenteuergeschichte wie philosophischer Diskurs. Jetzt hat sich der Franzose Riff Reb's an eine Comicumsetzung gemacht - mit weniger Diskurs, aber tollen Bildern.

Womit er denn sein Geld verdienen würde, fragt der bärbeißige Kapitän Wolf Larsen den frisch geretteten Schiffbrüchigen Humphrey van Weyden. Der pariert mit der lässigsten aller Antworten: Er wäre Gentleman. Larsen findet das jedoch gar nicht so lässig und beschließt, da sein Schiff aktuell eh etwas unterbesetzt ist, dem Gentleman eine mehrmonatige Schiffsfahrt auf seinem Robbenfänger "Ghost" zu spendieren. Als Küchenjunge. Damit er lernt, auf eigenen Füßen zu stehen. Van Weyden bleibt nichts anderes übrig, als einzuwilligen, denn Wolf Larsen kann sehr überzeugend sein.

Die Erzählung "Der Seewolf" von Jack London ist ein Klassiker, weltbekannt und mehrmals verfilmt worden. Jetzt hat der französische Comiczeichner Riff Reb's ("Myrtil Mystelzweig", "An Bord der Morgenstern") eine 130-seitige Comicadaption erschaffen.

Action versus metaphysischer Diskurs

"Ein Meisterwerk ist etwas, was seine vollkommene, seine definitive Form gefunden hat", bemerkte Truffaut in einem seiner berühmten Gespräche mit dem Regisseur Alfred Hitchcock. Was einmal mehr die Frage nach der Motivation der Übertragung eines Meisterwerkes in ein anderes Medium (zum Beispiel den Comic) aufwirft. Riff Reb's meint – ohne dabei angeberisch wirken zu wollen – dass seine grafische Vision des Romans, diesem eine neue Dimension verleihen könnte. Zumindest würde die Kraft seiner Bilder der unglaublichen Geschichte von Jack London nicht schaden. Und überhaupt würden achtzig Prozent aller Kinoproduktionen auf Romanadaptionen basieren. Am „Seewolf“ habe ihm vor allem die Mischung aus Action und metaphysischen Diskurs inspiriert. Darin habe er sich wiedererkannt.

Unterm Sternenhimmel. Riff Reb's Bilder erinnern mit ihrem Spiel von Licht und Schatten an die Meister der klassischen Seemalerei wie William Turner.
Unterm Sternenhimmel. Riff Reb's Bilder erinnern mit ihrem Spiel von Licht und Schatten an die Meister der klassischen Seemalerei wie Ludolf Bakhuizen.

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Denn "Der Seewolf" ist, wie Reb’s betont, auch ein philosophisches Buch. Aber ist der thematisierte Konflikt zwischen dem animalischen, körperlich Starken und dem intellektuellen, körperlich Schwachen, welcher eine moralisch-humanistisch Allgemeingültigkeit deklariert, heute noch aktuell? Oder hat sich die Fragestellung seit Jack London verändert? Reb’s sagt: "Ja, die Frage ist essentiell und immer noch aktuell. Niemand kann sich heutzutage den verheerenden Folgen unserer ultraindividualistischen Gesellschaft entziehen. Das Gesetz des Stärkeren, das Gesetz des Reicheren gilt immer noch. Wolf Larsen fällt letztendlich durch seinen Individualismus, während van Weyden durch seine Solidarität mit Maud Brewster gerettet wird. Ein weiteres Thema des Romans ist der Konflikt zwischen der Evolutionstheorie und der Frage nach Gottes Existenz. Wenn man sich den Aufstieg der kreationistischen Bewegung in den USA anschaut, sieht man, dass diese Debatte immer noch aktuell ist."

Keine Experimente

Leider verzichtet Reb's weitestgehend darauf, diese Konflikte, diese Fragestellungen mit Mitteln der Graphic Novel über den gesprochenen Dialog hinaus auch visuell auszuloten. Das wäre zwar auch keine leichte Aufgabe, aber Reb's ist auch ja nicht gerade die blasseste Blume im Comicgarten. Inhaltlich hält er sich eng an die Vorlage und geht keine erzählerischen und grafischen Experimente ein. So ist die Adaption vor allem eine klassische Abenteuergeschichte geworden. Mit Protagonisten, die sich ab und zu an Deck über die Existenz Gottes streiten. Nicht das es schlecht erzählt wäre. Im Gegenteil. Aber für einen Stoff, der bereits in zahlreichen Medien adaptiert wurde, ist das auch ein wenig unbefriedigend.

Wenn man das Buch jedoch als reine Abenteuergeschichte akzeptiert hat, muss man anschließend ausrufen: Aber was für eine Abenteuergeschichte! Niemand kann so eindrucksvolle Bilder der wilden Seefahrt zeichnen. Reb's ist ein Meister des Lichts und des Schattens. Die Farbgestaltung hat er bewusst monochrom angelegt. Jedes Kapitel erstrahlt in seinem eigenen Farbton. Anders wären die 130 Seiten auch nicht effektiv zu kolorieren gewesen, sagt er. Aber vor allem kann er dadurch den Fokus voll und ganz auf das Spiel von Licht und Schatten legen. Ächzend steigt die "Ghost" in der rauen See empor. Die Wellen türmen sich meterhoch übers Deck. Die Wolken ziehen sich zum Weltuntergang zusammen, während ein diffuser Lichttunnel noch erkennen lässt, wo einst die Sonne schien. Bilder aus einer Zeit, als Seefahrt noch nach Tod, Skorbut und Eiter stank und trotzdem die Projektionsfläche der Sehnsucht war.

Riff Reb's Seefahrtsbilder erinnern mit ihrem dramatischen Bildaufbau und dem Spiel von Licht und Schatten an die Meister der klassischen Seemalerei wie William Turner oder Ludolf Bakhuizen. Überhaupt kann man sich des Eindrucks nicht verwehren, dass Reb's, der als Kind mal am Hafen gearbeitet hat und von seinem Atelier in Le Havre auf das Meer blicken kann, den "Seewolf" vor allem auswählte, um exzessiv seiner Leidenschaft für das Zeichnen von Schiff und Wetter, Mann und Seenot zu frönen. Das kann niemand so wie er!

Grafische Urgewalt. Das Cover des besprochenen Bandes.
Grafische Urgewalt. Das Cover des besprochenen Bandes.

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Riff Reb’s: „Der Seewolf“, Splitter, 130 Seiten, 24,80 €

Unser Autor Andreas Hartung (Aha) arbeitet als Comiczeichner, Illustrator und Grafiker. Der Berliner ist Herausgeber des Comic-Magazins "Epidermophytie" und Ko-Organisator des Comic-Wettbewerbs Comic Clash. Mehr von Aha gibt es hier.

Andreas Hartung

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