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Ein Strip aus „Schwarze Gedanken“.

© Carlsen

„Schwarze Gedanken“ von André Franquin: Schwarz vor Augen

Die erneute Herausgabe einer Strip-Sammlung von André Franquin stellt unbeabsichtigt die Frage nach dem Verfallsdatum von Humor.

Der erweiterten Neuauflage von André Franquins „Schwarze Gedanken“ die Redewendung „Es waren einmal“ voranzustellen, erscheint, wenn auch vermutlich in unbeabsichtigter Weise geschehen, treffend: Die zwischen 1977 und 1983 entstandenen und meist ein bis zwei Seiten langen schwarz-humorigen Kurzcomics des langjährigen „Spirou und Fantasio“-Zeichners, „Marsupilami“- sowie „Gaston“-Erfinders sind nicht allzu gut gealtert.

Bei der Lektüre seiner gesammelten „Gaston“-Strips mag einem bereits Ähnliches aufgefallen sein. Konzeptuell wirkt sich bei kurzen Gag-Strips ein Veröffentlichungsprinzip mit dazwischenliegenden zeitlichen Abständen stets zum Vorteil aus, deren geballter Konsum in Form von Sammelbänden aber eher nicht.

Im Gegensatz zu den dagegen zeitloser anmutenden „Spirou und Fantasio“-Abenteuern in Albumlänge beschert der Zwang zur extremen Komprimierung eines dominierenden Oberthemas dem Format mitunter eine redundante Komponente. Außer Sie sind Jeffrey Catherine Jones und scheren sich um solcherlei Gesetzmäßigkeiten keinen Deut.

 Der Preis des Lachens

Heutzutage herrscht ein anderes Humorverständnis, für das man im Extremfall sein Leben lassen kann – siehe die Diskussion über die dänischen Mohammed-Karikaturen oder die Auseinandersetzungen um das französische Blatt „Charlie Hebdo“. Als heftige Gegenreaktion auf die westliche Auffassung von Pressefreiheit soll der Holocaust-Karikaturen-Wettstreit verstanden werden, 2006 ausgerichtet von der iranischen Zeitung „Hamshahri“, als extremste der Anschlag auf die „Charlie-Hebdo“-Redaktion im Jahr 2015.

Die Beziehungen zwischen Reaktion und Gegenreaktion, oder besser: zwischen Ironie und Zynismus, sind also mittlerweile verwirrend unklar, siehe auch die Antworten von „Charlie-Hebdo“-Künstlerin Catherine Meurisse auf die Fragen nach der Darstellung der Attentäter in ihrem Comic „Die Leichtigkeit“.

Das Runde muss zwar ins Eckige, aber das Eckige muss nicht unbedingt auf die Seite: Ein Strip aus dem besprochenen Band.
Das Runde muss zwar ins Eckige, aber das Eckige muss nicht unbedingt auf die Seite: Ein Strip aus dem besprochenen Band.

© Carlsen

Zu Grunde liegt diesen Auseinandersetzungen das bei westlichen Satireblättern mittlerweile populäre Prinzip der Entlarvung einer als falsch empfundenen Position bei Einbindung derselben in überzogener Form. Beispiel: die verächtliche Darstellung einer Gruppe von Personen unter Zuhilfenahme rassistischer Positionen, die sich auch grafisch oft aus dem Repertoire derartiger Klischees bedient. Verstanden werden kann eine derartige Vorgehensweise jedoch nur in Kenntnis der jeweils verwendeten Codes. So ist die Inszenierung von italienischen Erdbebenopfern als klassischen Speisen des Landes durch „Charlie Hebdo“ nicht als Verhöhnung der Opfer gedacht, sondern als Kritik an dem laxen Umgang mit den Bauvorschriften im Lande, was an dem Titel „Erdbeben auf italienische Art“ ablesbar sein soll.

Ebenso gilt diese Verfahrensweise für eine Karikatur schwangerer Nigerianerinnen, die auf einem „Charlie-Hebdo“-Titel gegen eine Nichtauszahlung ihrer finanziellen Unterstützung protestieren. Schwanger geworden sind die Frauen durch Massenvergewaltigungen seitens der Terrororganisation Boko Haram, und attackiert werden sollen hier rechte Positionen nebst abhanden gekommener Empathie, die den im Land aufgenommenen Opfern eine generelle Mentalität des Handaufhaltens unterstellt.

Dass dieses Vorgehen bei Personen, die mit derartigen Humortraditionen nicht vertraut sind, Irritationen und Unverständnis hervorruft, ist ein Manko, das durch die Tradition der Darstellungsweise nichtweißer Protagonisten im franko-belgischen Comic besonders im Fall von „Charlie Hebdo“ noch verstärkt wird; als Beispiel sei hier der nubische Pirat in den „Asterix“-Comics angeführt.

Brennt sich in die Netzhaut ein: Franquins zum Leben erwachte Baukräne.
Brennt sich in die Netzhaut ein: Franquins zum Leben erwachte Baukräne.

© Carlsen

Der Ursprung der geschichtlichen Weiterentwicklung zu einem stärker attackierenden Humor liegt an Zeitschriften wie „Hara-Kiri“ aus Frankreich und dem US-amerikanischen „National Lampoon“, die ein neues und provokantes Humorverständnis pflegten, welches sich von dem vornehmlich rein parodistischen Elementen wie beispielsweise denen des „Mad“-Magazins abwandte und zudem von den gesellschaftlichen Umbrüchen der 1960er Jahre geprägt war.

Allen Publikationen ist jedoch eine Verwandtschaft mit Comics gemein; „Mad“ ging aus den EC-Comics hervor, und „National Lampoon“ beschäftigte Künstler wie Neal Adams, Vaughn Bodé oder die bereits erwähnte Jeffrey Catherine Jones, welche damals noch dem männlichen Geschlecht zugehörig war und unter dem Namen Jeffrey Jones tätig war.

Auch „Charlie Hebdo“ reiht sich durch seine Namensgebung und die Bezugnahme auf das Comic-Periodikum „Charlie Mensuel“ in diese Tradition ein. Weiterhin sei an die Einführung der Comic-Beilage „Slapstick“ in der deutschen Satirezeitschrift „Pardon“ erinnert, welche später als eigenständiges Magazin an die Kioske kommen sollte.

 Posaunenklänge in eisiger See

 Im Frankreich der 1970er Jahre vollzieht sich bei André Franquin bezogen auf als überkommen empfundene Humortraditionen ebenfalls ein Paradigmenwechsel. Zusehends fühlt er sich beim „Spirou“-Magazin Beschränkungen ausgesetzt, und so nimmt er fortan an der Produktion einer Beilage namens „Le Trombone Illustre´“ für die erfolgreiche, jedoch in erster Linie auf ein jugendliches Publikum ausgerichtete Zeitschrift teil, was zur Entstehung von „Schwarze Gedanken“ führt. Dem Supplement ist jedoch kein großer Erfolg beschieden, sodass Franquin nach dessen Einstellung seine neue Serie auf Bitten von Marcel Gotlib in dem von ihm mitbegründeten „Fluide Glacial“ fortführt, das sich gleichermaßen durch ein anderes Humorverständnis zu positionieren versucht.

In „Schwarze Gedanken“ greift Franquin den öffentlichen Diskurs bestimmende Themen der damaligen Zeit wie das Wettrüsten oder die Energiegewinnung durch Atomkraft auf. Auch immer wieder aufflammende Debatten um die Todesstrafe oder den Sinn der Jagd finden Eingang in die Strips. Am Ende kommt es, neben einer makabren Pointe, die meist das kritisierte Unheil gegen deren Verursacher anwendet, noch zu einer Art mahnendem Zeigefinger. Diese Art des moralischen Traktats entspringt dem Geist der EC-Comics, in denen es ganz ähnlich zuging – allerdings rund vierzig Jahre früher.

Das Titelbild des besprochenen Bandes.
Das Titelbild des besprochenen Bandes.

© Carlsen

Der Fortschritt in Franquins Schaffen liegt hier eher in einer immer weiter voranschreitenden Befreiung der Grafik von Manierismen forcierter Niedlichkeit, Folge der langen Tätigkeit und angeeignet durch selbstauferlegte Beschränkungen, die den redaktionellen Vorgaben durch die „Spirou“-Redaktion geschuldet waren. Man glaubt förmlich die Tuschfeder abschmieren zu sehen, beim Exitus über das zart-weiße Papier kratzend schwarze Tinte versprühend. Hier endlich wird die Gefühlslage Franquins zu seinen Themen sichtbar; in der Gesamtumsetzung wird diese durch moralische Appelle und einen heute eher bemüht wirkenden Erklärbär-Humor leider zu oft verschüttet.

Der Gastauftritt eines gefolterten Gastons in einem eigentlich für Amnesty International entstandenen Comic bewirkt allerdings Schockstarre – durch die Diskrepanz einer aus ganz anderen Zusammenhängen vertrauten Figur. Der einseitige Strip ist extrem brutal, er macht weder vor der Anwendung der Folter von Genitalien mittels Elektroschocks halt noch vor der Vergewaltigung von Gastons Freundin Trudel vor dessen Augen. Am Ende wird aber durch das Erwachen aus einem Albtraum wieder eine abmildernde Funktion eingebaut, verbunden mit der Ermahnung zum Engagement gegen Folter.

„Schwarze Gedanken“ funktioniert daher dann am besten, wenn der Künstler sich zeitlosem Grauen wie hungrigen Wolfsrudeln, mörderischen Vögeln oder zum Leben erweckten Alltagsgegenständen widmet und das in der kollektiven Psyche verankerte Grauen durch wilde Schraffuren freilegt, so die in Kaijū-Manier erwachenden Baukräne; ein Panel, das man, einmal erblickt, niemals wieder vergessen wird.

 Signatur pur

 Zumindest was den übermäßigen Konsum von Einzelstrips angeht, muss das herausgebende Unterbewusstsein von Carlsen den Braten gerochen haben. Daher hat man diese nicht alle „Schwarze Gedanken“ enthaltende Auswahl segmentartig unterteilt und durch redaktionelle Einschübe aufzulockern versucht. Es gibt Beiträge von und zu ehemaligen Kollegen Franquins, ein Gespräch mit dessen Tochter, die interessanterweise die ganzen Theorien von den Depressionen ihres Vaters als schöpferischer Ursache der Reihe zu Hirngespinsten übereifriger Interpretationsversuche der Comic-Journaille deklariert, sowie einige Hommagen anderer Künstler, die sich im Geist der Reihe Franquins versuchen. Die hätte es aber nicht gebraucht, da sie weder das grafisch hohe Niveau ihres Erfinders erreichen noch thematisch Relevantes hinzuzufügen haben.

Überflüssig sind zudem die mittels farblich abgesetzter kleiner Ecken markierten Anfänge der Themenbereiche wie „Jagd“ etc., welche die Seitenästhetik ruinieren.

Daher ist dieser Band eigentlich nur für Leser empfehlenswert, die sich für den redaktionellen Teil mit Zeitzeugen interessieren und nebenbei Franquin auf der Höhe seiner Zeichenkunst erleben möchten. Diese zeigt sich aber, wie bereits ausgeführt, nicht in der inhaltlichen Gesamtsumme der Strips. Geniale Zusammenführung von Bild und Moritat erlebt man hier nur beim Studium der einzigartigen und für jeden Strip individuell ausgeführten Signaturen des Zeichners unterhalb der jeweiligen Seiten.

 André Franquin: Es waren einmal schwarze Gedanken, Carlsen, 128 Seiten, 24,99 Euro

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