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Hier gibt es nichts was es nicht gibt: Zwei Seiten aus dem ersten Band.

© Panini

Science-Fiction-Comic: Böse neue Welt

Diese Zukunft ist nur noch mit Drogen zu ertragen: „Transmetropolitan“ ist gut 15 Jahre alt, liest sich aber wie die perfekte Parodie auf unsere Gegenwart. Nun erhält Warren Ellis’ Cyberpunk-Comic um den Guerilla-Journalisten Spider Jerusalem eine überfällige Neuauflage.

Wut kann ein hervorragender Treibstoff für Kreativität sein, siehe Thomas Bernhard, die Sex Pistols, Oliver Stone – oder Warren Ellis. Der 45-jährige Comic- und Buchautor muss einen ganz schönen Hals gehabt haben, als er 1997 zusammen mit dem Zeichner Darick Robertson („The Boys“) eine der kultigsten, witzigsten, bösesten und originellsten Comic-Serien überhaupt schuf – „Transmetropolitan“. Vor kurzem wurde Ellis' Meisterwerk von Vertigo (DC Comics) als fünfteilige Sammelbandreihe neu aufgelegt, deren erster Band „Schöne neue Welt“ – der die ersten zwölf Folgen enthält – jetzt bei Panini auch auf Deutsch erschienen ist.

Die Manifestation dieses heiligen Zorns heißt Spider Jerusalem, ein anarchisch-egomanischer Glatzkopf mit Tattoos vom Scheitel bis zur Sohle, der unter Comic-Fans längst zur Kultfigur geworden ist. Als Gonzo-Journalist à la Hunter S. Thompson streift er in einer nicht allzu fernen Zukunft durch die Eingeweide einer fiktiven amerikanischen Metropole, die einfach nur als „die Stadt“ bezeichnet wird. Fünf Jahre lang hatte er ihr den Rücken gekehrt und als Einsiedler in einem mit Minen gesicherten Haus in den Bergen gelebt. Leider muss Spider einige seit Jahren überfällige Buchverträge erfüllen, deren Vorschusshonorare längst für Waffen, Drogen und Kabelfernsehen draufgegangen sind. Notgedrungen fährt er in die Stadt zurück, deren Wahnsinn er zuvor entflohen war.

In den ersten Folgen des Comics schildert der nur mit seiner asymmetrischen Fotobrille bewaffnete Spider episodenhaft die Auswüchse dieser Zukunft: Aberwitzige Körper-Upgrades, cryogenisch aufgetaute Menschen, die in der Zukunft nicht willkommen sind, weitläufige Reservate für indigene Kulturen, die man als Tourist besuchen kann, und Dienstleister für so ziemlich jede Perversion, die sich die gelangweilte Zivilisation ausgedacht hat. Es gibt also viel zu schreiben: Spider geißelt alle Formen von religiösem Fanatismus, Medien-Propaganda, Machtmissbrauch und Konsum-Terror und behandelt jeden Einwohner wie seinen persönlichen Feind. Im späteren Verlauf wandelt sich der Comic immer mehr zum Politthriller, als sich Spider in die Intrigen des faschistoiden Präsidentschaftskandidaten „The Smiler“ verstrickt.

Eine Gegenwart wie das Internet

Im Prinzip funktioniert „Transmetropolitan“ wie eine klassische Cyberpunk-Geschichte, nur dass sie sich nicht im Cyberspace abspielt, denn die Stadt selbst ist das fleischgewordene Internet und damit auch der heimliche Star des Comics: Während an der einen Straßenecke eine Wikingerbestattung durchgeführt wird und ein paar Meter weiter Newspflanzen die neuesten Info-Bakterien verströmen, holen sich Menschen pfundweise Kabeln im Rücken mal eben einen Eimer Karibu-Augen vom Eskimo-Imbiss. Hier gibt es nichts was es nicht gibt, alle sechs Stunden wird eine neue Kirche gegründet, tausende von Kulturen drängen sich auf engsten Raum zusammen und nehmen sich gegenseitig die Luft zum Atmen. Anders als in vielen anderen Cyberpunk-Szenarois ist die Stadt jedoch kein düsterer Moloch, sondern vielmehr ein quietschbuntes, dreckiges und völlig überdrehtes Sammelsurium aus Wunderbarem und Ekelhaftem – die 1999 entstandene Zeichentrick-Serie „Futurama“ dürfte maßgeblich von „Transmetropolitan“ beeinflusst worden sein.

Elektrisches Babylon. Zwei weitere Seiten aus dem ersten Sammelband.
Elektrisches Babylon. Zwei weitere Seiten aus dem ersten Sammelband.

© Panini

Die unglaublich detailverliebte Darstellung dieses elektrischen Babylons sowie die gesamte grafische Leistung von „Transmetropolitan“ machte Darick Robertson zu Recht zu einem der bekanntesten und begehrtesten US-Zeichner. Der Comic beherbergt ein unglaubliches Panoptikum von schrägen, mutierten, wahnsinnigen, coolen und widerlichen Figuren: Transienten, die ihre DNA mit der von Aliens gemischt haben, zweiköpfige, Zigarette rauchende Katzen, drogensüchtige Haushaltsgeräte, „Foglets“, die ihren Geist in eine Wolke winziger Nanomaschinen downgeloadet haben – die Zukunft von „Transmetropolitan“ ist keine Reizüberflutung, sondern eine Reiz-Sintflut, die ohne Drogen gar nicht mehr zu verarbeiten ist.

Sittengemälde der aktuellen Politik

2002 wurde „Transmetropolitan“ planmäßig nach 60 überaus erfolgreichen Heft-Folgen abgeschlossen. Obwohl seit dem ersten Erscheinen der Anfangsbände mittlerweile über 15 Jahre vergangen sind, liest sich der Comic noch immer hochaktuell, denn die Gegenwart hat sich eher an Warren Ellis’ Beschreibung der Zukunft angenähert statt entfernt. Das gilt nicht nur für unsere postmoderne Kultur, die bei aller Vielfalt doch eine westliche Monokultur ist, sondern auch für die politische Willkür, die Ellis angreift. „Transmetropolitan“ ist bei allem Zynismus ein idealistischer Comic, eine zornige Parodie der Gegenwart und ein Schrei nach Widerstand – man kann beim Lesen regelrecht sehen, wie Ellis mit zusammengebissenen Zähnen seine ätzenden Texte in die Tastatur hackt.

Moderner Klassiker: Das Cover des ersten Bandes der Neuauflage.
Moderner Klassiker: Das Cover des ersten Bandes der Neuauflage.

© Panini

„Transmetropolitan“ gehört zweifellos zum Besten, was die amerikanischen Mainstrem-Comic-Verlage in den vergangenen Jahren veröffentlicht haben und vor allem für europäische Leser, die mit der Zerstückelung durch dutzende von Einzelheften noch nie etwas anfangen konnten, dürfte die Hardcover-Neuauflage die definitive Version dieses Comics sein. 

Warren Ellis, Darick Robertson: Transmetropolitan, Band 1 „Schöne neue Welt“, Panini/Vertigo 2013, aus dem Englischen von Claudia Fliege, 240 Seiten, 29,95 Euro

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