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Ritt durch die Wüste. Eine Szene aus „Negalyod“

© Vincent Perriot, Casterman

Science-Fiction mit ökologischer Botschaft: Der Saurier-Flüsterer

Der Franzose Vincent Perriot entwirft in seinem Science-Fiction-Comic „Negalyod“ eine ausgefeilte Zukunftsvision, die der Phantasie des Lesers viel Raum lässt.

Der Hirte Jarri hat eine besondere Gabe: Er kann mit Sauriern kommunizieren. Mithilfe seines Reitsauriers Stygo (dieser erinnert an ein Geschöpf aus Star Wars Episode V, das „Tauntaun“) geleitet Jarri eine Herde Chasmosaurier durch eine namenlose Wüste, durch die eine riesige Wasserpipeline führt.

Zweiklassenwelt in unterirdischen Städten

Doch eines Tages ändert sich Jarris Leben schlagartig: durch einen Amok fahrenden „Wetterlaster“ – ein fahrendes Stromkraftwerk – wird seine gesamte Herde getötet. Der junge Hirte schwört Rache und macht sich auf in die nächste Stadt - die „Station 3703“ - um die Verantwortlichen zu finden...

Was wie ein schräger Endzeit-Western beginnt, bei dem die Büffelherden durch rhinozerosähnliche Saurier ausgetauscht wurden, entwickelt sich langsam zur komplexen, intelligent erdachten Zukunftsvision: nach zivilisatorischen Verwerfungen leben neben Dinosauriern die letzten Menschen einer fast ausgetrockneten Erde in einer Zweiklassenwelt in unterirdischen Städten. Rohstoffe sind knapp, dem Wasser kommt eine Schlüsselposition zu.

Vielschichtig. Eine Stadtszene aus „Negalyod“.
Vielschichtig. Eine Stadtszene aus „Negalyod“.

© Vincent Perriot, Casterman

Doch auch Technologien haben sich weiterentwickelt: Smartphones pflegen nun zu schweben, und ein intelligentes „ Großes Netz“ herrscht streng über die Menschen, überwacht insbesondere die Armen der Unterstadt – eine Revolte liegt geradezu in der Luft. Jarri schließt sich den Rebellen an, um seine Rache zu bekommen, während deren Anführer, der „Große Kam“, und seine Tochter die Macht des Netzes stürzen wollen.

Der 35jährige französische Zeichner Vincent Perriot hat in seiner Heimat bereits mehrere Comics in unterschiedlichen Genres und Stilen veröffentlicht (unter anderem „Belleville Story“ und „Paci“), darunter vor allem Krimis und historische Graphic Novels.

Inspiriert von Moebius und Hayao Miyazaki

Mit dem jetzt auf Deutsch bei Carlsen veröffentlichten Album „Negalyod“ (aus dem Französischen von Marcel Le Comte, 128 S., 28 €) ist ihm eine ausgefeilte Zukunftsvision gelungen, die in ihrer starken Bildsprache, dem narrativen Erfindungsreichtum wie auch stilistisch an den legendären französischen Zeichner Moebius alias Jean Giraud („Incal“) erinnert.

Perriot versucht bewusst in seinem ersten Science-Fiction-Comic an grafische wie erzählerische Innovationen der 70er Jahre, wie sie das legendäre Magazin „Métal Hurlant“ veröffentlichte, anzuknüpfen.

Das Titelbild des besprochenen Albums.
Das Titelbild des besprochenen Albums.

© Carlsen

In vielfältigen Kostümdesigns bis hin zur ausgefeilten, filigranen Stadtarchitektur und der Konzeption neuer Technologien hat Perriot eine glaubwürdige Welt geschaffen, für deren Ausgestaltung er sich von alten Kulturen und ethnographischen Funden hat inspirieren lassen – unter anderem haben, so erzählt der Künstler in Interviews, ozeanische Boote aus dem Ethnologischen Museum in Berlin-Dahlem für die Kampfflugzeuge Pate gestanden, neben Elementen aus Hayao Miyazakis Manga „Nausicaä aus dem Tal der Winde“.

Manche Actionsequenzen erinnern wiederum an Star-Wars-Gefechte oder (Auto-) Verfolgungsjagden in den „Mad Max“-Filmen.

Futuristischer Plot, zeitlose Botschaft

Kongenial ist die Farbgebung - Koloristin ist niemand weniger als Florence Breton, die auch einige von Moebius' Werken kolorierte. Erstaunlich angesichts der ausgefeilten Optik ist, dass die über 200 Seiten starke „Negalyod“-Erzählung als Improvisation entstand, die Geschichte entwickelte sich erst allmählich im Zeichenprozess.

Klug lässt der Franzose so manche Frage offen – etwa, warum es in Zeit der Post-Apokalypse wieder Dinosaurier gibt – um der Phantasie des Lesers Raum zu lassen. Der gelungene futuristische Plot zieht einen Bogen von der heutigen ökologischen Ausbeutung unseres Planeten hin zu einer überraschenden Pointe, die „Fridays for Future“-Freunden gefallen könnte.

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