zum Hauptinhalt
Endspurt. Eine Seite aus der besprochenen Reihe.

© Radical

Science-Fiction-Thriller: Der letzte Coup

Neo-Noir vom Feinsten: Rick Remender und Greg Tocchini erzählen in dem Sci-Fi-Krimi „The Last Days of American Crime“ vom letzten großen Coup in der Geschichte Amerikas - schmutzig, blutig und mit Sogwirkung.

Amerika in der nahen Zukunft. Kriminalität und Terror haben gewonnen und das einstmalige Land der unbegrenzten Möglichkeiten in die Knie gezwungen. Die US-Regierung entschließt sich, das Problem bei der Wurzel anzupacken und per Sendesignal illegale Aktivitäten im Keim zu ersticken, indem biochemische Prozesse, die für ein Verbrechen notwendig sind, permanent geblockt werden. Die Kontroverse ist entsprechend groß, der Massen-Exodus veranlasst Mexiko und Kanada schließlich sogar dazu, die Grenzen abzuriegeln. Die Regierung der Vereinigten Staaten macht zur Ablenkung des gemeinen Mannes indessen einen Nebenkriegsschauplatz auf und lässt die Neuigkeit durchsickern, dass auch das Währungssystem eine drastische Änderung erfährt – es soll digitalisiert werden, wodurch jeder Geldfluss direkt protokolliert und besteuert werden würde.

Diese beiden Ankündigungen lassen nur einen Schluss zu: Wer als Berufs-Gangster in dieser verkommenen alten „neuen Welt“ noch ein großes Ding landen will, der muss sich spurten. Das weiß auch der hartgesottene Ganove Graham Brick, der sich aufgrund des knappen Zeitfensters für den letzten großen Coup Amerikas – den Diebstahl einer Aufladestation des neuen Zahlungsmittelsystems – sogar die Hilfe von einem unbekannten Hacker-Pärchen ins Boot holen muss, dem er nicht gerade weit trauen kann: Schließlich verführt ihn die weibliche Hälfte des jungen Paares bereits, bevor sie sich ein paar Minuten später offiziell zum ersten Mal begegnen und über den Coup sprechen ...

Schmutz, Blut, sexy Einstellungen

Rick Remender geht in seinen Arbeiten als Autor gerne bis an die Grenze, und das meistens mit Erfolg: Marvels obersten und eigentlich grimmigsten Antihelden, den „Punisher“, hat er vor Kurzem mit Mary Shelleys Frankenstein-Mythos gekreuzt. Seine Science-Fiction-Comic-Reihe „Fear Agent“ ist eine trashige Hommage an die großen Weltraum-Abenteuerhelden des Golden Age der Science Fiction, und seine Endzeit-Geschichte „Lone“ ist genauso wie sein zeitgenössischer Fantasy-Spaß „The Helm“ ein echter Geheimtipp.

Neo-Noir: Eine weitere Szene aus der Reihe.
Neo-Noir: Eine weitere Szene aus der Reihe.

© Radical

Nun schuf sich Remender sein eigenes, düsteres Near-Future-Setting, um darin eine klassische Hardboiled-Geschichte zu erzählen. Ein letzter großer Coup mit riesigem Gewinn dient als großes Ziel für eine instabile Gruppe Gauner mit einem ausgeklügelten Plan und ausgesprochen guten Fähigkeiten. Um das große Ding und die kleine Gruppe spielen sich natürlich zahllose dramatische Konflikte, Intrigen und Dilemmas ab, wie das eben bei einer Geschichte dieser Art sein muss. Und auch das „dreckige“ Artwork muss sein: Greg Tocchini bringt all den Schmutz und all das Blut in Remenders verkommener Zukunft Seite für Seite zum Leuchten, geizt aber auch nicht mit sexy Einstellungen und weitem Fokus auf die Verlorenheit dieses künftigen Amerikas. Seine Zeichnungen führen uns sehr sicher durch die ziemlich textlastige Story voller Sex und Gewalt, die am Anfang außerdem ein paar Seiten braucht, bis sie richtig läuft, einen danach aber nicht mehr loslässt. Natürlich hätte sein Komplize Rick Remender den sozialkritischen Aspekten des Settings etwas mehr Raum geben können und womöglich sogar müssen – die eigentliche Krimi-Story und ihre Charaktere beeinflusst das aber nicht weiter, und für einen tollen Rahmen genügen die gelegentlichen Schnipsel aus dem Fernsehen allemal.

Ungesunde Mischung: Das Covermotiv des Auftaktbandes der Reihe.
Ungesunde Mischung: Das Covermotiv des Auftaktbandes der Reihe.

© Radical

Ein Kinofilm ist in Vorbereitung

Bis zum allerletzten Panel schlägt Remenders Geschichte mit eingebauter Sogwirkung noch so manchen Haken – da sollte man für die Lektüre schon alle Sinne beisammen haben und sich Zeit nehmen. Dann steht dem Genuss dieses großartigen Neo-Noir-Comic-Krimis aber höchstens nur noch die Sprachbarriere im Weg, denn bisher ist kein deutscher Sammelband in Sicht.

Dafür steht die Leinwand-Adaption des packenden Szenarios, das wie für eine Verfilmung in der Tradition von „Heat“ gemacht scheint, schon in den Startlöchern: 2012 soll die Filmadaption mit Sam Worthington in der Hauptrolle in die Kinos kommen, Tausendsassa Remender schreibt angeblich selbst schon am Drehbuch.

Remender/Tocchini: The Last Days of American Crime (bislang nur auf Englisch), Radical Publishing, Paperback, 170 Seiten, Dezember 2010, rund 10 Euro.

Der Text unseres Autors Christian Endres erschien zuerst in seinem Blog www.christianendres.de. Wir danken für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false