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Stadtbilder - neue Comics aus Berlin (3): Der Tod steht ihr gut

In unserer Serie stellen wir aktuelle Comics aus Berlin vor. Heute: Ulla Loges Kurzgeschichtensammlung "Morgengrau".

Als die junge Frau die Augen aufschlägt, ist es zu spät. "Wartet!", ruft sie. "Ich glaube, ich lebe noch!" Aber da bedeckt schon die Erde ihren gläsernen Schneewittchensarg, die Trauergemeinde verlässt den Friedhof. Ulla Loges Kurzgeschichte „Sarg mit Sichtfenster", die wir heute in unserer Reihe „Stadtbilder - neue Comics aus Berlin" vorstellen, beginnt wie eine makabre Horror-Story. Ist es aber nicht. Sondern eine anrührende, von tiefschwarzem Humor durchzogene und mit einem ironisch gebrochenen Happy End versehene phantastische Episode, in der es nebenbei auch um den Sinn des Lebens und die widersprüchlichen Erwartungen und Ansprüche geht, die es manchmal so mit sich bringt. Hier geht es zu der Geschichte:

Sieben Kurzgeschichten hat die 1979 geborene Künstlerin kürzlich in einem selbst verlegten 44-seitigen Din-A-4-Album mit dem Titel „Morgengrau" veröffentlicht. Es sind melancholische, oft tragisch und zugleich komisch verlaufende Episoden, in denen Loge in atmosphärisch dichten Bildern alltägliche Beobachtungen und Fantasien verarbeitet. Ihr Stil ist, von einigen experimentell-abstrakten und teilweise etwas unbeholfen wirkenden Passagen abgesehen, klar und auf das Wesentliche reduziert. In Loges Geschichten geht es unter anderem um die böse endende Obsession eines Geschäftsmannes für eine Domina, um nicht immer angenehme Zufallsbegegnungen beim Trampen, um die folgenschwere Beziehung zu einer Gummipuppe oder um ein masochistisches Bondage-Model, dessen Tränen auf märchenhafe Weise das Wetter beeinflussen.

Bei der Dramaturgie der leicht absurden und doch in der Realität verankerten Geschichten kommt der Zeichnerin offensichtlich ihre Theater- und Filmerfahrung zugute. Sie hat anfangs als Bühnen- und Kostümbildnerin bei Regisseuren wie Enrico Lübbe und Justus Wenke gearbeitet und ist darüber erst zum Film (Kamera, Dramaturgie, Regie in Independent-Kurzfilmen) und dann zum Comic gekommen, wie sie sagt. Derzeit beendet Ulla Loge ihre Ausbildung als Drehbuchautorin an der selbsorganisierten Filmschule „Filmarche" in Berlin. Ihr Abschlussprojekt: eine Graphic Novel, die 1989 und Anfang der Neunziger Jahre spielt. „Ziel ist für mich dabei vor allem, eine emotional authentische Darstellung jener Zeit zu erreichen", sagt sie.

Seit 2008 arbeitet Ulla Loge beim Berliner Comickollektiv „Renate" mit und hat dort unter anderem für die 18. Ausgabe des gleichnamigen Magazins die Redaktion und die Titelgestaltung übernommen. Die jetzt in der Sammlung „Morgengrau" veröffentlichten Geschichten stammen aus dem Jahr davor und wurden zuvor teilweise in Fanzines veröffentlicht. Wenn Ulla Loge keine Comics zeichnet, schreibt sie welche, zum Beispiel den Strip „Night Vultures" in der Zeitschrift „Exberliner", den sie auch koloriert. Mit Anna Basbacker, die die „Night Vultures" zeichnerisch ausführt, teilt sich Loge ein Atelier im alternativen Kulturprojekt „Schokoladen". Beide sind Mitglied beim internationalen Frauencomicblog www.chicksoncomics.blogspot.com.

Mehr von und über Ulla Loge sowie die aktuelle Folge von „Night Vultures" gibt es auf ihrem eigenen Blog unter http://ullaloge.blogspot.com, eine Leseprobe aus „Morgengrau" gibt es hier. Das Album kann für sieben Euro unter anderem in der Comicbibliothek Renate (Tucholskystr. 32, Berlin) sowie in der Galerie Neurotitan im Haus Schwarzenberg (Rosenthaler Str. 39, Berlin-Mitte) erworben werden.

In unserer Reihe „Stadtbilder - neue Comics aus Berlin" haben wir zuvor Kolja Wilckes Variation der Loreley-Ballade (mehr dazu hier) sowie die autobiographische Erzählung „Paffy" von Michael Schröter (mehr dazu hier) vorgestellt.

Wer weitere Comics kennt, die in unsere Reihe passen würden, kann uns eine Mail an comics@tagesspiegel.de schicken. Einsendungen per Post an Lars von Törne, Der Tagesspiegel, Askanischer Platz 3, 10963 Berlin.

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