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Fressen und gefressen werden: Eine Seite aus "Der Tiger".

© Tokyopop

Tiercomics: Tierische Konfrontationen  

Spektakuläre Bilder vom täglichen Überlebenskampf: Fréderic Brrémaud („Daffodil“) und Federico Bertolucci („W.i.t.c.h.“) erzählen in „Love“ von den Begegnungen und Auseinandersetzungen im Tierreich.

Weshalb Fréderic Brrémaud und Federico Bertolucci ihre Serie von ebenso dramatisch wie rasant inszenierten Tierbegegnungen „Love“ – Liebe – genannt haben? Weil sich die Geschöpfe im Tierreich nicht lieben, aber auch nicht hassen. Liebe und Hass bildeten viel mehr eine universelle Einheit, ein ultimatives Ganzes, das man Gott nennen könnte – oder doch wieder Liebe. Eine Liebe, die der Mensch nie erreichen wird.

So jedenfalls steht es im merkwürdigen Einleitungstext, der vor Beginn der eigentlichen Comic-Handlung in „Der Tiger“ und „Der Fuchs“ abgedruckt ist. Angesichts dieses gnadenlos esoterischen Einstiegs in die ersten beiden ansonsten sehr schön aufgemachten Hardcover von „Love“ ist es fast schon beruhigend, dass der Rest der 2011 auf dem Comic-Festival in Lucca mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichneten Bilderfolgen ganz ohne Text auskommt. Das eine oder andere Pathos bleibt der Handlung zwar auch ohne weitere Worte erhalten – zum Glück wird es dabei nie mehr so schlimm wie in der Einleitung.

Ein Fuchs gerät zwischen die Fronten

Die ist außerdem schnell vergessen, wenn Zeichner Federico Bertolucci im ersten Band einen stattlichen Tiger in atemberaubenden Bildern auf das erweiterte Ensemble aus Rudyard Kiplings „Dschungelbüchern“ treffen lässt – wenn die gestreifte Raubkatze sich szenenübergreifend mit Affen, Elefanten, Panthern, einem Krokodil, Piranhas und Waldameisen anlegt, bevor sie auf das gefährlichste Raubtier von allen trifft: Den Mensch. Im zweiten Band wird dagegen der geradezu apokalyptische Untergang einer Insel zur Kulisse für die nicht gerade freundschaftlichen Aufeinandertreffen von Bären und Walen und vielem mehr. Ein leidgeplagter Fuchs, der inmitten der Kämpfe und der Katastrophe ein eigenes, sehr persönliches Ziel erreichen muss, gerät zudem zwischen die Fronten, derweil um den rotpelzigen Räuber herum die Welt in Lava, Schnee und Meerwasser versinkt.

In beiden Fällen sieht das Artwork von Bertolucci, der nicht nur diverse Kinderbücher und Comics illustrierte, sondern auch an der Entwicklung der Disney-Animationsfilme „Monster AG“ und „Lilo & Stich“ mitwirkte, spektakulär gut aus. Während die unberührten Landschaften des italienischen Künstlers durch ihre Vielfalt und Farbstimmungen bestechen und stets weit mehr als bloße Hintergründe sind, haben seine tierischen Haupt- und Nebendarsteller trotz des beachtlichen Realismus jeweils einen sanften individuellen Charakterzug, der jedoch nie ins Kitschige oder Unrealistische abgleitet.  

Scripted Reality

Dass gescriptede Pseudo-Dokus mit ihrer künstlichen Realität die nachmittägliche Fernsehlandschaft beherrschen, ist mit Sicherheit einer der unrühmlichsten Auswüchse des allgemein eher zweifelhaften TV-Zeitgeistes. Allerdings ist das in die Realität eingearbeitete Drama, das den Eindruck der authentischen Dokumentation erwecken soll, bei Tierdokus und Tierfilmen seit jeher gang und gebe, wo aus umfangreichem Aufnahmematerial im Schnitt ein Spannungsbogen und eine Geschichte gemacht werden – hier und da nicht, ohne schon beim Dreh nachgeholfen zu haben, um eine bestimmte Konstellation oder Szene heraufzubeschwören. Wenn nicht sogar dressierte Tiere zum Einsatz gekommen sind.

Jäger und Gejagter: Eine Szene aus "Der Fuchs".
Jäger und Gejagter: Eine Szene aus "Der Fuchs".

© Tokyopop

Der Comic bietet den „Panel-Dokumentarfilmern“ Brrémaud und Bertolucci alle dramaturgischen Freiheiten und zwingt sie nicht zu solchen Tricksereien. Schließlich tanzen die gezeichneten Protagonisten und Statisten aus der Wildnis auf den je knapp 80 Seiten in „Love“ zwar mit viel Geknurre und Gefauche, aber ohne Gemurre nach der Pfeife der Kreativen. Was diese sich zu nutze machen und durchaus mal die biologische Plausibilität strapazieren kann.

Letztlich erinnert die Aneinanderreihung der animalischen Zusammentreffen in der Wildnis stark an Masashi Tanakas kultige Manga-Serie „Gon“, in welcher der kleine Saurier auf allerhand Tiere trifft – und an „Age of Reptiles“, in dem der amerikanischen Künstler und Filmdesigner Ricardo Delgado seit Anfang der 90er auf dieselbe wortlose Art Geschichten aus dem Zeitalter der Dinosaurier erzählt. Denn auch in „Love“ jagt eine tierische Konfrontation die nächste, was am Ende vor allem Bertoluccis Zeichnungen zum Vorteil gereicht, die dadurch einen geradezu animationsfilmhaften Duktus bekommen, da Tiger, Fuchs und Co. ständig in Bewegung sind.

Mehr „Love“ liegt in der Luft

Immer in Bewegung: Die Covermotive der beiden besprochenen Bücher.
Immer in Bewegung: Die Covermotive der beiden besprochenen Bücher.

© Tokyopop

Seinem Blog zufolge sitzt Bertolucci schon seit einiger Zeit am dritten Band von „Love“, in dem allem Anschein nach ein Löwe im Mittelpunkt der Handlung stehen wird, was auf einen afrikanisch geprägten Schauplatz schließen lässt und wieder tolle Landschaften und Tier-Moment verspricht.

Immerhin wird sich bis zum Erscheinen des dritten Bandes nicht viel an der Serie und ihrem Konzept geändert haben und dasselbe gelten wie für „Der Tiger“ und „Der Fuchs“: Wer mit den Pathos, der einen oder anderen seltsamen tierischen Konfrontation und dem leider arg kurzen Lesevergnügen klar kommt, wird mit herrlichem Artwork und einem animationswürdigem, kurzfilmartigem Flow zwischen den einzelnen Panels und Seiten belohnt.

Fréderic Brrémaud und Federico Bertolucci: Love, bislang zwei Bände, Tokyopop, je 80 Seiten, je 14,95 Euro

Mehr Artikel über Tiere finden Sie unter diesem Link.

Der Blog unseres Autors Christian Endres findet sich hier: www.christianendres.de.

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