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Terror und Alltag: Nina Bunjevacs Mutter in einer Szene aus dem Buch „Vaterland“.

© Avant

"Vaterland" von Nina Bunjevac: Mein Vater, der Terrorist

Nina Bunjevac kannte ihren Papa kaum, als er starb. Er hatte sich aus Versehen in die Luft gesprengt. Viel später erfuhr sie davon - und hat nun das Drama der Familie in einem Comic verarbeitet. Ein Hausbesuch in Toronto.

Sein Porträt steht auf dem Wandschrank, gleich gegenüber der Wohnungstür. Lächelnd blickt der junge Mann mit dem Seitenscheitel auf dem Schwarz-Weiß- Bild in die Ferne. "Das ist von einer Ausstellung übrig geblieben", sagt Nina Bunjevac und winkt mit der Hand ab. Was heißt: Beachten Sie es nicht weiter.

Dabei dreht sich derzeit im Leben der 41-jährigen Kanadierin fast alles um den freundlich aussehenden Mann. Lange Zeit wollte sie ihn und seine Taten einfach vergessen. Bis sie sich doch den Erinnerungen gestellt hat, tief in ihre Familiengeschichte eingetaucht ist und daraus das Buch "Vaterland" geschrieben und gezeichnet hat. Es ist die Lebensgeschichte ihres Vaters Peter Bunjevac. Und der Versuch einer Erklärung, wie der Mann auf dem Porträt zu einem kaltblütigen Terroristen werden konnte, den im August 1977 in Toronto eine selbst gebastelte Bombe zerfetzte. "Ich wollte meinen Vater nicht verurteilen, ich wollte einfach nur verstehen, wieso er so geworden ist", sagt Nina Bunjevac. Sie ist klein, drahtig, trägt die langen, blonden Haare offen und stellt nun Oliven, Schafskäse und kleine Kekse auf den Tisch - so wie im ehemaligen Jugoslawien üblich, aus dem ihre Eltern stammen. Ihre Wohnung im zwölften Stock eines Hochhauses am östlichen Stadtrand von Toronto ist klein, dunkle, rustikale Holzmöbel stellen sie voll, aus dem Fenster hat man einen weiten Blick über die Skyline der Stadt und den Ontariosee.

Verstehen, was passiert ist: Nina Bunjevacs Vater als Kind.
Verstehen, was passiert ist: Nina Bunjevacs Vater als Kind.

© Avant

Auf dem Zeichentisch am Fenster liegen Bilder. Filigrane Schwarz-Weiß- Zeichnungen, kreuzweise schraffiert und fast fotorealistisch anmutend. Der Stil wirkt kontrolliert, distanziert, die Porträts muten wie eingefroren an. Ein eigentümlicher Kontrast zu dem Familiendrama, das sie erzählen. Die Geschichte beginnt 1936 in einem kleinen kroatischen Dorf im damaligen Jugoslawien. Peter Bunjevac kommt als Kind eines serbischen Vaters und einer kroatischen Mutter zur Welt. Gewalt bestimmt sein Leben von Anfang an. "Er ist in einem Klima des Hasses aufgewachsen", sagt Nina Bunjevac. Sein betrunkener Vater verprügelte oft die Mutter, einmal warf er sie vom Heuboden, wobei sie sich so schwer verletzte, dass sie nach Peter keine weiteren Kinder gebären konnte. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Peters Vater als Partisan in ein Konzentrationslager verschleppt, er kam nie zurück. "Es schien, als ob alles, was er je begriffen, gesehen und erfahren hatte, aus Angst und Gewalt entstanden war", hat Nina Bunjevac in ihrem Buch geschrieben. Dort gibt es auch eine Szene, von der ihre Mutter ihr erzählt hat. Die hat Nina in stundenlangen Gesprächen über den Vater ausgefragt, als er schon längst tot war. Im ersten Bild sieht man den soeben zum Vollwaisen gewordenen, zehn Jahre alten Peter neben einer kleinen Katze stehen. Im zweiten hebt er sie auf. Im dritten verbrennt er sie lebend in einem Ofen. Im vierten tritt er mit gesenktem Blick und eingezogenen Schultern wieder aus dem Haus.

Als Nina Bunjevac vor vier Jahren mit der Arbeit an "Vaterland" begann, war ihr Vater ein Fremder, dessen Name zu Hause kaum je erwähnt wurde. Er starb, da war sie nicht einmal vier Jahre alt. An einer Stelle ihres Buches zeichnet sie ihn als schemenhaften Umriss, der aus lauter weißen Puzzleteilen besteht. "Sie mit Inhalt zu füllen, war harte Arbeit", sagt Bunjevac. Bis vor drei Jahren unterrichtete sie an einem Torontoer College Kunst. Ein Stipendium verschaffte ihr die nötige Pause, um sich eineinhalb Jahre lang nur dem Buch zu widmen. Nach und nach überzeugte sie ihre Mutter und andere Verwandte in Kanada sowie im ehemaligen Jugoslawien, ihr von der Jugend des Vaters zu erzählen. Was der zunehmend schwer erziehbare Junge erlebte, als er nach dem Tod der Eltern in einer Militärschule landete, wie er dort wegen seiner rebellischen Haltung als Spion verdächtigt und so zum Kommunistengegner wurde, wie er drei Jahre ins Gefängnis kam und nach seiner Freilassung über Österreich nach Kanada flüchtete.

Vieles erfuhr die Zeichnerin aus Büchern und Zeitungsarchiven, manches zufällig. So lernte sie vor einigen Jahren als Aushilfskellnerin in einer Kneipe, in der viele Exil-Serben Torontos verkehren, einen Weggefährten ihres Vaters kennen. "Ein Trinker, der früher mit meinem Vater zusammen zu Fußballspielen ging, bei denen Serben gegen Kroaten spielten", erzählt sie. "Es gab oft Schlägereien - und mein Vater war mittendrin." Peter Bunjevac, so erzählte ihr der alte Mann, habe immer einen Stift in seiner Hemdtasche gehabt: ein getarntes Messer, mit dem er bei solchen Anlässen zustach.

Nina Bunjevac.
Nina Bunjevac.

© Lars von Törne

Mit seinem Hass auf die neuen Herrscher in der alten Heimat fühlte sich Ninas Vater in der Gruppe "Freedom of the Serbian Fatherland" gut aufgehoben. Immer öfter war er in Kanada an Anschlägen gegen Exil-Kroaten und Vertreter der kommunistischen Regierung Jugoslawiens beteiligt, ihm und seiner Gruppe legte die Polizei in den 1970er Jahren mehrere Bombenattentate zur Last. Eine Zeit lang verbarrikadierte ihre Mutter abends die Fenster der Wohnung mit Möbeln, wie Nina Bunjevac in einer besonders beklemmenden Szene in ihrem Buch zeigt - aus Angst um sich und ihre Kinder, denn die Anhänger der jugoslawischen Regierung machten Jagd auf ihre Feinde im Exil. Ninas Mutter versuchte, sich von ihrem aggressiven Mann zu lösen, was nur teilweise gelang. Am 28. August 1977, während seine Frau mit Nina in Jugoslawien bei Verwandten war, traf sich Peter Bunjevac mit seinen radikalen Freunden. Tags darauf meldeten kanadische Zeitungen, dass drei Männer in einer Garage bei der Explosion einer selbst gebauten Bombe ums Leben gekommen waren, darunter Peter Bunjevac. Ihr Ziel war das jugoslawische Konsulat in Toronto, die Bombe ging offenbar zu früh los. Ihr Vater war 41, als er starb - genauso alt wie seine Tochter heute. Als Nina Bunjevac nach dem Studium an der Kunsthochschule auf andere im Exil lebende Künstler traf, die ihre Familienerfahrungen aufarbeiteten, regte sie das an, ihre Geschichte zum Thema zu machen. Sie befragte ihre Mutter und andere Verwandte, arbeitete sich durch Fotoalben und Sachbücher, während auf dem Zeichentisch langsam ihre Familiengeschichte Gestalt annahm. "Ihn trieb die Erfahrung von Ungerechtigkeit, Schmerz und Heimatlosigkeit an", sagt sie. "Eigentlich mache ich nichts anderes: Ich verarbeite mein Trauma und gehe damit an die Öffentlichkeit, nur habe ich den konstruktiven und er den destruktiven Weg gewählt."

Auch das Leben der Tochter verlief im Zickzack. In ihren Zwanzigern hat sie viel getrunken und im Rausch einige ihrer Skulpturen zerstört. Bei der Auswahl ihrer Beziehungspartner hatte sie nicht immer Glück. Eine Ahnung davon vermitteln Bunjevacs Comic-Kurzgeschichten "Heartless", die vor drei Jahren erschienen. Darin wird die weibliche Hauptfigur von schmierigen Männern ausgenutzt, misshandelt und hintergangen. In "Heartless" tauchte auch der Vater zum ersten Mal auf. Bunjevac zeichnete einen Mann, der an einer Bombe bastelte. Darüber standen die Gedanken der Ich-Erzählerin: "Papa, du hast das Blut Unschuldiger an deinen Händen." Im letzten Bild sieht man die Reste eines explodierten Gebäudes, darüber die Worte: "Ich lehne deine Überzeugungen ab, habe deinen rebellischen Geist unterdrückt und meinen Frieden gefunden. Deine Kämpfe sind nicht meine Kämpfe. Die Kette endet hier." Auf diesen Strip, der auch im Internet viele Leser fand, hätten damals viele Serben empört reagiert, sagt Bunjevac. Sie wurde als Vaterlandsverräterin beschimpft. Wenn Nina Bunjevac über ihre Familie spricht, hat man stellenweise das Gefühl, sie spricht über eine andere Familie, so analytisch klingt sie. Vielleicht, weil sie inzwischen so oft darüber gesprochen und nachgedacht hat. Auch ihrem 16-jährigen Sohn Jacob zuliebe. "Er soll ohne diese Bürde aufwachsen", sagt sie.

Fremder Vater: Das Cover der deutschen Ausgabe von "Vaterland".
Fremder Vater: Das Cover der deutschen Ausgabe von "Vaterland".

© Avant

"Eiserne Bande legten sich um mein Herz" - mit diesen Worten beschreibt die Tochter der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof, die Journalistin Bettina Röhl, ihr Empfinden nach dem Weggang ihrer Mutter in den Untergrund, der im Suizid endete. "Ich konnte nichts fühlen, ich konnte nicht weinen, ich konnte es nicht begreifen - wie ein großes schwarzes Monster hatte sich ein Mythos um sie gelegt." Aber eines Tages, so Röhl, da wollte sie die verlorene Mutter "heimholen in ihr Privatleben zu ihrer Familie". Mit "Vaterland" hat Nina Bunjevac einen Teil ihres lange verlorenen Vaters für sich heimgeholt. Ist sie durch das Buch dem fremden Vater nahe gekommen? "Nein", sagt Nina Bunjevac, ohne zu zögern. Nach dem Tod des Vaters habe ihr Großvater sie mit aufgezogen, dann fand ihre Mutter einen neuen Partner, der ihr ein guter Stiefvater gewesen sei. "Mein Vater fehlte mir nicht." Ob sie das Porträt auf dem Wandschrank, das sie nach einer Ausstellung in der Art Gallery of Ontario dort abgestellt hat, in ihrem Wohnzimmer stehen lässt? Das weiß sie noch nicht.

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