zum Hauptinhalt
Die dunkle Seite der Sonneninsel: Eine Seite aus dem besprochenen Buch.

© Avant

„Wege aus dem Viertel“ von Gabi Beltrán und Bartolomé Seguí: Wir Kinder vom Barrio Chino

Rührseliger Ton, subtile Bilder: Dass Gabi Beltráns als Comic verarbeitete Jugenderinnerungen so lesenswert sind, ist vor allem Zeichner Bartolomé Seguí zu verdanken.

Obwohl die spanische Comicszene in Größe und Wirtschaftskraft nicht vergleichbar ist mit anderen Zentren der „Neunten Kunst“, so überrascht sie doch immer wieder mit interessanten Veröffentlichungen hierzulande wenig bekannter Künstler, die meist von hohem handwerklichen Niveau und künstlerischer Eigenständigkeit zeugen. 2013 erschien mit „Geschichten aus dem Viertel“ im Avant-Verlag ein gutes Beispiel für einen solchen spanischen Independent-Comic.

Der 1966 geborene Szenarist und Schriftsteller Gabi Beltrán erzählte darin in episodischer Weise von seiner Kindheit und Jugend auf der Ferieninsel Mallorca zu Beginn der 1980er Jahre. Obwohl Beltrán selbst auch Illustrator ist (u.a. hat er für El Pais oder das Forbes Magazine gearbeitet), überließ er das Zeichnen dem ebenfalls auf Mallorca geborenen Bartolomé Seguí. Die Geschichtensammlung überzeugte durch ihren ehrlichen Ton und konnte dem Leser eine andere, düstere Seite der Insel zeigen, die der durchschnittliche Urlauber dort sicher nicht erwartet hatte.

Für die nun erschienene Fortsetzung „Wege aus dem Viertel“ setzten die beiden Künstler die mit dem Comicpreis der Stadt Palma gekrönte Zusammenarbeit fort. Wieder steht der jugendliche, nun etwas ältere Gabi im Zentrum, und seine alltäglichen Erlebnisse in Palma de Mallorca. Gabi wächst im schmuddeligen Barrio Chino auf, einem sozialen Brennpunkt und Rotlichtbezirk, der, laut Beltráns selbst, vergleichbar ist mit dem etwa zur selben Zeit in Berlin existierenden Milieu der sogenannten „Kinder vom Bahnhof Zoo“.

Gabis Vater hat die Familie vor langer Zeit verlassen, seine Mutter kommt mit den Kindern und dem harten Leben nicht zurecht, wird tablettenabhängig und verprügelt ihren Sohn regelmäßig. Nur bei der auf Krücken angewiesenen Großmutter fühlt sich Gabi geborgen, wenn er sich auch schämt, dass sie regelmäßig Almosen von einem religiösen Verein annimmt. Die Abende verbringt er mit einer Bande von Kumpels - Kindern von Prostituierten, Säufern, Junkies oder Schlägern -, was regelmäßig zu kriminellen Aktionen führt wie Fahrzeug- oder Handtaschendiebstahl, oder zu Schlägereien mit anderen Gangs, bei denen auch mal ein Messer gezückt werden kann.

In der Tradition von „Spirou“

Doch Gabi ist anders als die andern: er macht einen Bewusstseinsprozess durch, durchschaut langsam die Perspektivlosigkeit seines Umfelds und sucht nach kleinen Fluchten. Dabei hilft ihm die Freundschaft zu einer etwa zehn Jahre älteren Schwedin, die ihm großzügig ein Zimmer in ihrer Wohnung als Rückzugsort anbietet, etwa, wenn es zuhause mal wieder Zoff gibt. Durch ihre Büchersammlung entdeckt Gabi die Literatur für sich und beginnt, sich innerlich abzusetzen, auch wenn er immer wieder nach Hause zurückkehrt.

Der echte Gabi, Gabi Beltrán, hat es irgendwann tatsächlich geschafft, diesem Sumpf zu entkommen – vor allem durch sein zeichnerisch-schriftstellerisches Talent, das er zum Beruf machen konnte.

Während die autobiografischen Texteinschübe trotz ihrer bewunderungswürdigen Ehrlichkeit gelegentlich etwas rührselig geraten, sind die von Bartolomé Seguí gezeichneten Comicepisoden (die auch den größten Raum im Buch einnehmen) allgemeingültiger und durchweg mitreißend.

Autobiografisch geprägt: Das Cover des besprochenen Bandes.
Autobiografisch geprägt: Das Cover des besprochenen Bandes.

© Avant

Der 1962 geborene Seguí hat in Spanien und Frankreich bereits zahlreiche Kinderbücher und Comic-Alben gestaltet (wofür er u.a. 2009 den spanischen nationalen Comicpreis erhielt) und für die „Viertel“-Bände einen eigenen, sehr prägnanten Zeichenstil entwickelt, der in der Semi-Funny-Tradition der „Ecole Marcinelle“ um das belgische Comic-Magazin „Spirou“ steht - auch sein Held Gabi erinnert mit seiner vorstehenden schwarzen Haartolle ein wenig an die (rothaarige) Comicfigur Spirou.

Durch Seguís leichtfüßige, sich durch subtilen Humor auszeichnende Zeichnungen wird Beltráns manchmal etwas schwermütiger Tonfall aufgelockert, die Geschichten werden verdaulich gemacht. Trotz der dargestellten Armut entsteht so ein stimmungsvolles, manchmal pittoreskes Bild des Lebens im Barrio Chino Palmas. Die in gedeckten Pastelltönen gehaltene Kolorierung, die wiederum Gabi Beltrán selbst vorgenommen hat, trägt perfekt zu dieser Atmosphäre bei.

Beide Bücher zusammen ergeben ein lesenswertes, authentisches Kontrastprogramm zu den üblichen Klischees von Mallorca als Urlaubsparadies und eignen sich auch als Urlaubslektüre.

Gabi Beltrán, Bartolomé Seguí: Wege aus dem Viertel. Aus dem Spanischen übersetzt von André Höchemer. Avant, 160 Seiten, 19,95 Euro. Von denselben Autoren: Geschichten aus dem Viertel. Avant, 152 Seiten, 19,95 Euro

 

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false