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Kultur: Coole Rebellen

Furios: das Musical „Swinging Berlin“ im Theater am Kurfürstendamm

Als die Bomben fallen, hat die Stimmung gerade ihren Höhepunkt erreicht. Die Musik knistert und rauscht, sie kommt aus einem Volksempfänger und stammt von der BBC. Der Alkohol ist hochprozentig, so genannter „Lurch-Likör“, aus dem Naturkundemuseum geklaut. Swingtanz im Luftschutzbunker: ein ultimatives Vergnügen. Dann gehen die Synkopen des Bigbandjazz in das Dröhnen der herabfallenden Bomben über, das Licht flackert, Staub rieselt herab. Die Tänzer verwandeln sich in Gespenster, sie marschieren im Gleichschritt, skandieren Parolen: „Volk ohne Raum“, „Wollt ihr den totalen Krieg?“, „Tod dem Bolschewismus!“. Aus dem Partyvölkchen wird wieder der Teil einer Volksgemeinschaft, klaglos funktionierende Automatenmenschen. Die Flucht in den Hedonismus: im Winter des Jahres 1941 eine Illusion.

„Swinging Berlin – Tanzen verboten“ handelt vom Unangepasstsein in angepassten Zeiten. Die Protagonisten des Musicals, das bei seiner Premiere im Theater am Kurfürstendamm zu Recht gefeiert wurde, fallen schon durch ihr abweichendes Äußeres auf. Sie tragen übergroße Jacketts und Schiebermützen, ihre Haare fallen unsoldatisch ins Gesicht. Sie verabscheuen Marika Rökk und ihren völkischen Foxtrott, „treudeutsch“ ist für sie ein Schimpfwort. Jazz war im Dritten Reich verfemt, Schwarze hatten ihn erfunden, deshalb galt er als entartete Untermenschenmusik. Sich zu dieser Kultur, die aus Amerika und England stammte, zu bekennen, war noch kein Akt des Widerstands. Es ging eher um jugendliche Lust an der Rebellion, die Swing-Kids beharrten auf ihrem Individualismus. Das brachte sie mitunter ins KZ. Eine Revue, die in dieser Abgrund-Situation angesiedelt ist, kann deshalb kein richtiges Happyend haben, bestenfalls ein halbes.

Mit „Swinging Berlin“ kehrt der frühere Theater-des-Westens-Intendant Helmut Baumann nach Berlin zurück. Das Stück lief mit dem Titel „Swinging St. Pauli“ bereits erfolgreich in Hamburg, für Berlin wurde es passgenau umgearbeitet. Es spielt in „Leos Bar“, dem Treffpunkt einer Clique von Swing-Enthusiasten. Eine Bar mit diesem Namen hat tatsächlich existiert, sie befand sich im Mendelsohn-Bau am Lehniner Platz und wurde 1943 von den Nazis geschlossen.

„Swinging Berlin“ ist so versiert wie liebevoll gemachtes Musiktheater, die an selige TdW-Vergangenheit gemahnende Ausstattung scheint beinahe die Bühne zu sprengen. „Leos Bar“ ist ein eleganter Art-Deco-Tempel, vom Bühnenbildner Mathias Fischer-Dieskau zweigeschossig hingezaubert. An der Bar empfängt der Gastronom, den Baumann selber spielt, seine Gäste, im Obergeschoss hockt die Hausband, ein achtköpfiges Miniaturorchester. Dazwischen befindet sich eine Showtreppe, Swing-Cat Alberta (Eva-Maria Grein) singt hier „If you find a good man“ und hat dabei fast einen Auftritt wie Rita Hayworth in „Gilda“. Später wird aus der Treppe eine Brücke am Landwehrkanal, an der sich Emma (Katja Uhlig), eine versteckte Jüdin, mit ihrem Freund (Julian Schmidt) zum lebensgefährlichen Rendezvous verabredet hat.

Die Story kommt nicht ohne Melodramatik aus, die Jüdin hatte einen Bruder, der von der Gestapo ermordet wurde und Leos – der Wirt ist schwul – Lover war. Das sind ein bisschen viel Probleme auf einmal, eine Opfergeschichte des Dritten Reichs im Schnelldurchlauf. Gerettet wird der Abend von der mitreißenden Musik und den atemberaubenden Choreographien. Die Songs wurden eigens für das Stück geschrieben, man bediente sich großzügig bei den relevanten Vorlagen, beim Dschungelsound von Benny Goodmans „Sing Sing Sing“ oder den „Hi-de-ho“-Mitsingarien eines Cab Calloway. Beim Swingtanzen, das demonstriert „Swinging Berlin“ aufs Vortrefflichste, kommt es darauf an, möglichst lässig auszusehen. Die Hände schnipsen cool, während die Beine unablässig schlottern, schlurfen, steppen. Die Bewegungsfolge erinnert halb an Charleston, halb an Flugzeug-Einwinker. Gegen diesen Tanz war kein Krieg zu gewinnen.

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