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In wechselnden Roben. Corinna Harfouch in Jean Racines Tragödie.

© Arno Declair/DT

Corinna Harfouch am DT: Wundersamer Weißraum

Corinna Harfouch beeindruckt in der Inzest-Tragödie „Phädra“ am Deutschen Theater Berlin.

Phädra wird von schweren Schuld- und Schamgefühlen gebeutelt. Der Gatte ist verschollen, und sie liebt – in vorerst heimlicher Verzweiflung – ihren Stiefsohn Hippolyt. Das gesteht sie ihrer Vertrauten Oenone im Deutschen Theater Berlin in einem abstrakten weißen Raum (Katja Haß). Selbiger stellt für Triebstaugebeutelte nämlich zum einen genügend Wände zur Verfügung, an denen sie sich illustrativ entlangdrücken können, hält für besondere Erregungszustände aber auch eine Art Halfpipe bereit: Wer lieber gegen Mauern rennen möchte, findet hier seine ideale Anlaufstrecke.

Corinna Harfouch allerdings, die in dieser Racineschen „Phädra“-Inszenierung von Stephan Kimmig die Titelrolle spielt, legt ihren Gefühlshaushalt – wobei es freilich nicht bleibt – zunächst wohltuend unaufgeregt offen. Analytisch fast, was einerseits die Sprache der kanonischen Tragödienübersetzung von Friedrich Schiller hervorragend zur Geltung bringt und andererseits natürlich auch eine ebenfalls nicht unangenehme Distanz zum Sujet andeutet. Denn klar: Diese antike, von Racine im 17. Jahrhundert vor höfischem Gesellschaftshintergrund aktualisierte Inzestgeschichte verströmt keinen unmittelbaren Zeitgeist-Appeal. „Im Heute steht dieser Text wie ein Monolith“, schreibt das DT zu Recht in seinem Ankündigungstext, „fremd, tief gewaltig.“

So bleibt er in Stephan Kimmigs Inszenierung nur leider nicht stehen. Der Regisseur scheint die Tragödie einerseits irgendwie vergegenwärtigen zu wollen und lässt zum Beispiel Alexander Khuon als schwer vergrübelt mit dem eigenen Gefühlsleben ringenden Hippolyt im casual Wollpullover-Look übers Szenario stiefeln. Andererseits soll aber auch der Historizität beziehungsweise Überzeitlichkeit dieser denkwürdigen Affekte gebührend Rechnung getragen werden. Und diese Ambivalenz führt zu einer Bühnenpraxis, in der sich inniges Einfühlungsspiel und ironische Distanzierung, Tragödie und Komödie, Psycho- und stilisiertes Körpertheater sowie freiwillige und mutmaßlich unfreiwillige Komik permanent abwechseln. Und zwar nicht in jedem Fall plausibel.

Auch schauspielerisch ergibt sich kein konzeptionell nachvollziehbares Ganzes. Eher stellt sich jedes Ensemblemitglied der Herausforderung auf ureigene Weise – was mal mehr, mal weniger unterhaltsam ist. Die junge Gefangene Aricia etwa, zu der wiederum Hippolyt in verbotener Leidenschaft entbrannt ist, wird bei Linn Reusse zu einer hibbeligen Teenie-Figur mit dem emanzipierten Mädchenselbstbewusstsein des 21. Jahrhunderts. Den kleinen Hüftschwung, den der (in puncto Männlichkeitsstereotypen zumindest einbeinig im 20. Jahrhundert verbliebene) Hippolyt bei ihr reflexhaft auslöst, unterdrückt sie zwar schnell. Aber ihr kokettes Zupfen am Jünglingsmantel und ihr neckisch pseudobeiläufiges Heranrücken ans Objekt der Begierde machen die romantische Disney-Channel-Komödie trotzdem komplett. Ist Aricia hingegen allein oder nur von ihrer Vertrauten Panope (Mascha Schneider) umgeben, schlägt die Stunde der Halfpipe-Anlaufbahn und Aricia wirft sich in ihren zeitlos schwarzen Klamotten mit Aggro-Girl-Power gegen die weißen Wände.

Kathleen Morgeneyer hingegen, die als Phädra-Einflüsterin Oenone alsbald tragödienbeschleunigende Intrigen in Gang setzen wird, changiert zwischen einer leicht von der störrischen Chefin genervten Angestellten und dem vor Empathie und Eindringlichkeit buchstäblich in die Knie gehenden Freundinnentypus.

Spätestens mit dem Auftritt von Bernd Stempel als Hardcore-Macho (und später als halbseidener Sonnenbrillen-Dandy) Theseus kippt die Tragödie dann in eine schrille Ehefarce: Großes Hallo und Gelächter im Publikum, als der tot geglaubte Heimkehrer mit dem knochentrocken intonierten Begrüßungssatz: „Das Glück ist mit mir ausgesöhnt, es führt in deine Arme“ auf Harfouchs Phädra zusteuert, deren Gesichtszüge in einem geradezu Edward-Albee-haften Ehehöllen-Entsetzen erstarren.

Da sind Fallhöhe und Plausibilitätsweg zur rückengebeugten Leidenspose, wenn Theseus vom (selbst verschuldeten) Tod seines Sohnes erfährt, fast unüberwindbar. Auch, wenn sich DT-Debütant Jeremy Mockridge als Hippolyt-Vertrauter und Hiobsbotschaftsüberbringer Theramen noch so tragödisch ins Zeug wirft bei seinem Botenbericht. Phädra indes tritt an diesem Abend gewissermaßen multipel in Erscheinung und wechselt mit den Gemütszuständen auch die Kleider und Perücken: von der pechschwarzen Langhaarmähne nebst dunklem Maxihänger bis zum blonden Pony-Bob und finalem spektakulärem Reifrocktüllrot.

Kurzum: Schwer zu sagen, was man an diesem jüngsten starbesetzten DT-Abend eigentlich ganz genau gesehen und aus welchem Grund das Haus überhaupt heute zu Racines „Phädra“ gegriffen hat. Bleibt in erster Linie eine Corinna-Harfouch-Show – die ja im Zweifelsfall tatsächlich immer Anlass genug ist für einen Theaterbesuch.

Wieder am 18., 23. und 25. Mai

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