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Präzision der Prismen. Corinne Wasmuhts Gemälde „DFW-CDG“ von 2010.

© Stefanie Seufert

Corinne Wasmuht erhält Käthe-Kollwitz-Preis: Der Anti-Klecks

Die Berliner Künstlerin malt nur vier Bilder im Jahr, so aufwändig sind ihre heiß begehrten Gemälde. Jetzt erhält Corinne Wasmuht den Käthe-Kollwitz-Preis. Die Jury lobt besonders ihre Widerständigkeit gegen die Beschleunigungen des Marktes.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Dort liegt bloß ein schlaffes Stück Haut, verwirren sich dünne Haare auf dem Glasträger oder erkennt man mit Mühe das Poröse an der Oberfläche einer Zunge. Ihre Details geben die Präparate erst unter dem Mikroskop preis. Dann wirken die Zellen der Epidermis plötzlich wie dekorative Muster und vergrößert sich ein Büschel Haar zum abstrakten Röhrensystem. Man kann alternativ aber auch auf das Bild „Mikroskopische Anatomie“ von Corinne Wasmuht schauen: Es hängt in der Akademie der Künste und vermittelt ähnliche Effekte.

Die Malerin hat es selbst lange nicht mehr betrachtet. Es stand eingepackt in ihrem Berliner Atelier. Schon „Mikroskopische Anatomie“ von 1994 ist eigentlich kein kleines Format. Vergleicht man es aber mit ihrem neuesten, über sieben Meter langen Werk „Siempre Es Hoy“ (2014), dann schrumpft das verschachtelte Hautmotiv auf Kleinbildformat. Dass beide nun in der Akademie am Hanseatenweg ausgestellt sind, hat seinen Grund: Corinne Wasmuht ist Trägerin des Käthe-Kollwitz-Preises. Seit 1960 wird die mit 12 000 Euro dotierte Auszeichnung an einen herausragenden Künstler vergeben; darunter in der Vergangenheit Martin Kippenberger, Mona Hatoum oder Douglas Gordon. Dieses Jahr ehrt die Akademie die 1964 geborene Wasmuht mit dem Preis und einer begleitenden Einzelschau, die ihre künstlerische Entwicklung anhand von knapp 20 Arbeiten entfaltet.

Um einige der Bilder musste die Künstlerin kämpfen. Sie hängen inzwischen in internationalen Museen, die den Verleih an strenge Auflagen koppeln. Andere sind im Besitz privater Sammler, die nicht mehr daran interessiert sein müssen, die Werke wertsteigernd in wichtige Ausstellungen zu bringen. Die Bilder sind auch so bekannt und begehrt – allein schon, weil sich ihre Zahl in Grenzen hält. Als Professorin an der Kunstakademie in Karlsruhe, wo sie seit 2006 lehrt, bleibt Corinne Wasmuht nur begrenzt Zeit im Atelier. Zum anderen malt sie die Motive so dicht und aufwendig lasierend, dass ihre Fertigstellung Monate dauert. Mehr als vier Bilder pro Jahr verlassen das Atelier selten.

"Wo ist denn da die Malerei?"

„Mikroskopische Anatomie“, ein frühes Exemplar, ist allerdings immer noch da. Heute mag es ein Glück sein, weil die Künstlerin schnell darauf zugreifen kann. Damals wollte es niemand haben. „Das Bild war ein Skandal“, erinnert sich Wasmuht. Nicht weil sie nach ihrem Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie Teile des menschlichen Körper in unglaublicher Nahsicht abbildete. Sondern weil Sammler wie Freunde fragten: „Wo ist denn da die Malerei?“ Ihr Bild sehe aus wie aus dem Biologiebuch abgekupfert.

Corinne Wasmuht
Corinne Wasmuht

© Corinne Wasmuht

„Erst jetzt, mit dem nötigen Abstand, wird verständlich, worum es mir damals ging“, meint Wasmuht: um die Frage nämlich nach Sinn und Funktion von Malerei. Es ist ihr großes Thema geblieben, Corinne Wasmuht hat es malend reflektiert und immer wieder neu angesehen. Und vielleicht ist es das, was ihre Arbeit heute besonders macht.

Für die Jury geben die Ölgemälde „die Weite und Geschwindigkeit der vernetzten Gegenwartskultur wieder und stehen für die unstillbare Sehnsucht nach Bildern und Informationen“. Die Künstlerin formuliert es bündiger: „Weshalb etwas erfinden, wenn es alles schon gibt? Ich kann nur malen, was ich sehe. Da bleibe ich lieber gleich bei den Dingen und zolle ihnen Tribut.“

Darmwand, Knochenhaut und Bindegewebe

Die Vorlagen ihrer frühen Sujets stammen tatsächlich aus Schulbüchern oder medizinischer Fachliteratur. Sie tauchen noch eine ganze Weile auf, stülpen sich so dekorativ wie akribisch gemalt als zottige Darmwand, Knochenhaut oder Bindegewebe in die skurrilen Zimmer ihrer „Räume“-Serie. Mit dieser Genauigkeit reagiert die Künstlerin auf die neunziger Jahre, in der das Gestische als einzig akzeptabel für die Malerei galt. „Ich war Anti-Klecks“, meint Wasmuht, blieb lieber bei der Wahrheit und beschäftigte sich kritisch mit der eigenen Wahrnehmung. Hilfe leistete ein Bildarchiv mit Fotos und Illustrationen aus Zeitungen, Büchern oder Magazinen, die sie in Kartons thematisch ordnete. Noch bis 2001 schnitt die Künstlerin Bilder aus, überlagerte die Elemente und Ebenen zu Collagen und klebte sie als Bildvorlagen auf DIN-A4-Papier. Dann tauschte sie Zettelkasten gegen PC.

Wasmuht fotografiert nun selbst, scannt ihre Bilder anschließend ein und kombiniert sie miteinander – gern so dicht, dass einem in der Suppe der Fragmente zwar vieles vertraut erscheint, konkrete Details jedoch verschwimmen. Als Motive dienen technoide Flughäfen, Bahnhöfe oder Fußgängerzonen, in denen permanent Bewegung herrscht und sich ein Bild ohnehin immer nur für Sekunden fixieren lässt. Die Malerei passt sich an, wird abstrakter, staffelt die Architektur nun tiefenperspektivisch und gewinnt an Tempo. Lichtreflexe und Spiegelungen suggerieren Bewegung. Es entstehen Simultanbilder, in denen die Künstlerin zeitlich und räumlich verknüpft, was in alle Richtungen driften will.

Solche Gemälde haben Corinne Wasmuht zu einer der wichtigsten Künstlerinnen ihrer Generation gemacht. Sie hat Kunstpreise und Einzelausstellungen absolviert und dazu wichtige Eckpunkte wie die Teilnahme an der Biennale in Venedig 2011 hinter sich. Die Ausstellung in der Akademie der Künste rekapituliert den Weg dorthin über frühe Haar- und gleißend farbige Prismenbilder wie „Menschen im Kunstlicht“ von 1999, auf dem menschliche Köpfe zu einer kristallinen Struktur zusammenwachsen. Am Ende stehen die weiten, perspektivisch aufgebauten Stadträume, die schemenhaft von Passanten durchquert werden.

Corinne Wasmuht, eine alte Meisterin

„Corinne Wasmuhts Bilder laufen gegen den Strom, indem sie mit der Geschwindigkeit, der Zerstreuung und Unverbindlichkeit unserer Zeit kontrastieren“, heißt es in der Laudatio der Kollwitz-Preis-Jury. Diesen flüchtigen Impressionen der Gegenwart steht die extreme Produktionszeit der Gemälde entgegen. Nicht nur die Jury fühlt sich dabei „an künstlerische Praktiken alter Meister erinnert“. Der zeitliche Aufwand, den die Malerin im Atelier treibt, ist nahezu spürbar, wenn man das meterlange Format „Siempre Es Hoy“ passiert und vor lauter erzählerischen Einzelheiten das Motiv aus dem Blick verliert.

Man muss schon ähnlich widerständig sein wie Wasmuht, die sich nach ihrem Studium von der Kritik nicht irre machen ließ und auch jetzt fast stur die analoge Malerei im digitalen Zeitalter pflegt, damit man nicht vor dem Bildersog kapituliert. Erst dann erkennt man, dass es im Angesicht der ungeheuren Menge von Gegenständen und Figurationen nur vordergründig um das Wahrgenommene geht. Und dann ums Wahrnehmen.

Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, bis 10. 8., Di–So 11–19 Uhr

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