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Die Verfilmungen seiner Romane machten ihn populär. Cormac McCarthy. Foto: dpa

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Cormac McCarthy wird 80.: Fremder im Jedermannsland

Einen Ausweg aus der Finsternis gibt es nicht: Zum 80. Geburtstag des großen amerikanischen Schriftstellers Cormac McCarthy.

Cormac McCarthy musste fast sechzig Jahre alt werden und dreißig Jahre lang Bücher schreiben, um zumindest in seiner Heimat, den USA, von einem größeren Publikum wahrgenommen zu werden. Für seinen Roman „All die schönen Pferde“ erhielt er 1992 den National Book Award und landete damit auf Platz eins der Bestsellerliste der „New York Times“. Kurz zuvor hatte die Zeitung ihn noch als den „vielleicht besten unbekannten Schriftsteller Amerikas“ bezeichnet und bei einer Begegnung erkennen müssen, dass McCarthy auch nicht besonders viel daran lag, bekannter zu werden.

Der 1933 als Sohn eines Anwalts in Rhode Island geborene Schriftsteller wollte lieber über die Klapperschlangen in der Mojave-Wüste sprechen, über seine Begeisterung für Computer und Countrymusik und wie toll und heruntergekommen Knoxville, Tennessee, in den fünfziger Jahren gewesen sein muss. Knoxville ist die Stadt, in der Cormac McCarthy aufwuchs – und der Schauplatz seines grandiosen, verschlungenen, von vielen herrlich kaputten Figuren bevölkerten Romans „Suttree“, der 1979 erschien und 1992 unter dem Titel „Verlorene“ erstmals ins Deutsche übertragen wurde. „Wir sind in eine Welt innerhalb der Welt gelangt“, heißt es darin gleich zu Beginn, was die Atmosphäre dieses mitunter an Joyce’ „Ulysses“ erinnernden, mit viel antiker Mythologie versetzten Romans schön beschreibt. Aber auch die von anderen, in der Tradition eines William Faulkner oder eines Herman Melville stehenden Romane von Cormac Mc Carthy: „In diesem fremden Territorien, diesen feindseligen Kloaken und öden Zwischenreichen, die der Gerechte vom Waggon oder vom Auto aus sieht, träumt ein anderes Leben. Verwachsen oder schwarz oder gestört, jede Ordnung fliehend, Fremde im Jedermannsland.“

Nun, da der inzwischen in Santa Fe, New Mexico, lebende Cormac McCarthy an diesem Sonnabend seinen 80. Geburtstag feiert, kennt ihn eigentlich die ganze Welt. Er gilt nicht nur als einer der ganz Großen der US-Literatur neben Philip Roth, Thomas Pynchon und Don DeLillo, sondern ist Jahr für Jahr auch einer der Favoriten für den Literaturnobelpreis; seine Olivetti-Schreibmaschine, auf der er fünf Millionen Wörter in fünf Jahrzehnten geschrieben haben will, wurde vor einigen Jahren für über 200 000 Dollar versteigert; und in Oprah Winfreys Talkshow ließ er bei einem seiner seltenen Interviews ein Millionenpublikum beiläufig wissen, dass ihn Ruhm noch nie interessiert habe – und seine Tage auch keineswegs dadurch besser würden, wenn auf einmal Zigtausende von Menschen seine Bücher lesen.

"Die Abendröte des Westens" ist eins der Hauptwerke McCarthys

Cormac McCarthys Popularität verdankt sich nicht zuletzt der Verfilmung einiger seiner Werke. Im Jahr 2001 verfilmte Billy Bob Thornton „All die schönen Pferde“. Die Gebrüder Coen adaptierten 2007 McCarthys immens brutalen Roman „No Country for Old Men“ für das Kino und sorgten für den ultimativen Durchbruch des Schriftstellers. Vier Oscars erhielt der Coen-Film, und ein Jahr später sollte McCarthy für seinen sogleich ebenfalls verfilmten apokalyptischen Schocker „Die Straße“ auch noch den Pulitzerpreis bekommen.

Darin ziehen ein Vater und sein Sohn durch ein verwüstetes, praktisch untergegangenes Amerika, durch ein „geplündertes, kahlgefressenes, verheertes Land“. Die Straße führt die beiden in eine einzige Düsternis, hilflos fragt der Sohn seinen Vater immer wieder: „Sind wir immer noch die Guten?“ Diese Guten aber gibt es bei McCarthy kaum: nicht in der im Grenzland von Texas und Mexiko angesiedelten, vergleichsweise lichten „Borderline“-Romantrilogie mit „Land der Freien“, „All die schönen Pferde“ und „Grenzgänger“ als Abschluss; und auch nicht in „Die Abendröte im Westen“, neben „Verlorene“ Cormac McCarthys Mitte der achtziger Jahre erschienenes Hauptwerk. Diesem steht ein Motto des deutschen Mystikers Jakob Böhme voran: „So ist aber der Tod und das Sterben der Finsternis Leben“. Ein 14-jähriger Junge (der nur „der Junge“ genannt wird) schließt sich Mitte des 19. Jahrhunderts einer Gruppe marodierender, mordender Soldaten und Desperados an und bricht mit ihnen gen Westen auf, Richtung Texas und Mexiko.

Der Finsternis haucht McCarthy in jedem seiner Romane viel Leben ein. Bevölkert sind diese in einer genauso geschmeidigen wie wuchtigen Sprache gehaltenen Romane von in der Regel männlichen Außenseitern, jungen wie alten. Es regiert eine regel- und grundlose Gewalt, und manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass McCarthy sich an dieser Gewalt geradezu berauscht, er sie mitunter lustvoll ästhetisiert. Doch ist es nicht vielleicht auch so, fragt McCarthy ohne Unterlass, praktisch seit seinem 1965 veröffentlichten, bis heute nicht ins Deutsche übersetzten Debütroman „The Orchard Keeper“, dass das Böse dem Menschen seit Anbeginn zu eigen ist? Dass es das Böse womöglich schon vor dem Menschen gegeben hat?

Einen Ausweg aus der Finsternis hält Cormac McCarthy nicht bereit – und auch so etwas wie Erlösung gibt es bei ihm nur im Traum.

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