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Zu Beginn des einmonatigen Teil-Lockdowns in ganz Deutschland ist am Odeon Kino der Hinweis «30 Days Later ?» zu lesen.

© dpa/Kay Nietfeld

Corona-Hilfen für die Kulturbranche: Ran an die Töpfe

Im zweiten Lockdown werden auch der privatwirtschaftlichen Kulturbranche neue Staatshilfen versprochen. Aber wie klappt es bisher mit den Unterstützungsgeldern?

Helge Schneider hat da mal ne Frage. „Hallo Olaf (Scholz = Vizekanzler), ich hoffe, Du bekommst diese Nachricht irgendwie über Freunde oder Verwandte“, tippt er in seine Schreibmaschine. „Bei der Unterstützung für Künstler ist Dir ein Fehler unterlaufen: Ich habe im November 2019 gar kein Geld verdient, also kann man dafür ja auch keine 75 Prozent ausrechnen. Bitte mach das anders.“

Dem Schriftsteller, Musiker und Komiker Helge Schneider wurde prompt geholfen, Kanzlerin Merkel verkündete es am Montag sogar persönlich. Bei der neuen Unterstützungszusage aus den Ministerien von Olaf Scholz und Peter Altmaier auch für Soloselbstständige, deren Verdienstausfall im November wie bei den Kleinunternehmen mit 75 Prozent des Monatsverdiensts von 2019 kompensiert werden soll, ist schnell nachgebessert worden.

Grundlage für die Hilfsgelder kann bei den Soloselbstständigen jetzt wahlweise auch das durchschnittliche Monatseinkommen des gesamten Vorjahres sein. Auf den Webseiten des Finanz- und des Wirtschaftsministeriums ist das ebenfalls bereits nachzulesen.

Aber ist Helge Schneider tatsächlich im November-Lockdown geholfen, zeitnah und unbürokratisch, wie versichert wird? Selbst die Kanzlerin gesteht ein, dass die Staatshilfe gerade für die Solisten nicht immer „lebenspraxisgerecht“ funktioniert. Und wie sind die bisherigen Gelder bei den privatwirtschaftlichen Betrieben angekommen, also bei Kleinbühnen, freien Musikensembles, Galerien, den Kinos?

Die Soforthilfen des Berliner Senats genauso wie die Überbrückungshilfen aus Monika Grütters' Sommer-Milliardenprogramm „Neustart Kultur“? Eine Umfrage in den Sparten ergibt: Es herrscht eine Mischung aus Dankbarkeit, Frust und Ungewissheit – und teilweise eben doch viel Bürokratie.

 Der Musiker und Komiker Helge Schneider hat Finanzminister Scholz einen Brief geschrieben.
Der Musiker und Komiker Helge Schneider hat Finanzminister Scholz einen Brief geschrieben.

© dpa/Thissen

BILDENDE KUNST

„Die Publikumsresonanz war bis Ende Oktober großartig, beispielsweise für unsere Ausstellung ‚Harald Hauswald. Voll das Leben!'. Daher ist es bitter, wenn wir von einem Tag auf den anderen vorübergehend in eine Art öffentlichen Winterschlaf versetzt werden", sagt Stephan Erfurt, Mitgründer des privaten Fotokunst-Ausstellungshauses C/O Berlin. C/O hat Finanzhilfe im Rahmen von „Neustart Kultur“ erhalten, Erfurt bezeichnet die Unterstützung des Bundes als essentiell. So konnten umfassende Hygiene- und Schutzmaßnahmen umgesetzt werden. Die Aussicht auf Erstattung von 75 Prozent des Vorjahres-Monatsumsatzes nennt er einen Lichtblick, den „rettenden und womöglich einzigen Strohhalm“.

Nachdem Berlin die 5000-Euro-Soforthilfe für Soloselbstständige im April zügig auszahlte, herrschte in der Künstlerschaft zunächst „ein Gefühl von Zusammengehörigkeit und Zuversicht“. So formuliert es die Installationskünstlerin Susanne Kutter, die auch Vorstandsmitglied im Berufsverband Bildender Künstler*innen Berlin e.V. ist. Viele hätten endlich Anerkennung gespürt. „Aber das ist lange her und das Geld ist weg“, sagt Kutter. Hinzu kommt die Verärgerung wegen der schlecht koordinierten Stipendienprogramme.

Anfang der Woche kritisierte der bbk berlin das 18 Millionen Euro schwere Einzel-Stipendienprogramm der Berliner Kulturverwaltung. Statt die Bedürftigkeit zu prüfen, entschied das Los über 2000 Gewinner. Etwa zeitgleich hatte auch der Bund ein Sonderprogramm für Künstler aufgelegt. Die 581 von einer Jury aus 4752 Bewerbern ausgewählten Gewinner erhalten je 9000 Euro. Wobei die in beiden Programmen beglückten Stipendiaten sich nun für eines entscheiden müssen. Dass insgesamt nur ein kleiner Teil der Künstler zum Zuge kommt, schürt Unmut, so Kutter.

BÜHNEN

Eigentlich wollte das Chamäleon Theater in den Hackeschen Höfen diesen Donnerstag wieder mit dem Spielbetrieb loslegen. Im Neuen Zirkus ein Programm ohne Körperkontakt hinzukriegen, ist ein schwieriges Unterfangen. Nun bleibt die seit dem 13. März geschlossene Bühne auch im November zu. Geschäftsführer Hendrik Frobel hält den aktuellen Lockdown für eine fragwürdige Entscheidung, gleichzeitig ist klar: „Ohne die Soforthilfepakete des Berliner Senats gäbe es uns schon nicht mehr.“ 23 Angestellte sind in Kurzarbeit, Studentinnen und Minijobber wurden entlassen, April und Mai per Kredit überbrückt. Von der Senatsverwaltung fühlt sich das Haus sehr gut und unbürokratisch behandelt. Von Juni bis November wurden jeweils über 400 000 Euro bewilligt. Für die neu aufgelegte Anschlussförderung bis Februar besteht Hoffnung.

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Was die Bundesprogramme angeht, hat Frobel weniger geschmeidige Erfahrungen gemacht. „Einen KfW-Kredit bekamen wir abgelehnt, aus dem Überbrückungsgeld fielen wir raus.“ Ein projektbezogener Antrag auf 100 000 Euro aus dem Grütters-Programm ist noch in der Prüfung. Auch auf die angekündigten 75-Prozent-Hilfen setzt Frobel Hoffnungen. „Da hätte man über die reine Existenzsicherung hinaus womöglich wieder Rücklagen für eine Produktion.“

Mehr Lob fürs Land, weniger für den Bund, das hört man viel. Astrid Brenk, Geschäftsführerin des Kabaretts „Die Distel“, ist froh über die Berliner Soforthilfe und auch aus einem Bundesprogramm. Aber viele Förderanträge seien zu kompliziert, sie wünscht sich klarere Informationen zum neuen Altmaier-Vorstoß und Rückmeldungen zum Bearbeitungsstand. Denn bei langen Zeiten von komplettem Einnahmeausfall bei weiter laufenden Kosten wird es existenziell.

Thomas Pape vom Quatsch Comedy Club erzählt denn auch, sonderlich unbürokratisch sei die Hilfe im März nicht gerade angelaufen. Deshalb hatte der Geschäftsführer für die Liquiditätsabsicherung bis zum Jahresende einen KfW-Kredit beantragt, der im Mai bewilligt wurde und nach fünf Jahren fällig wird. Der Kredit wurde von der Berliner Soforthilfe, die ab Juni griff, abgezogen, also fiel die nicht-rückzahlbare Hilfe geringer aus.

Dass Berlin fragt, welche Bundesmittel beantragt wurden, ist verständlich. Das Ergebnis, so Pape, sei aber ein komplizierter, langwieriger Prozess. Ganz schön kompliziert: Manchmal werden Bundes- und Landesprogramme gegeneinander aufgerechnet, manchmal sind sie umgekehrt aneinander gekoppelt. Die von Chamäleon-Chef Frobel erwähnte neue, dritte Tranche für Berliner Kultur- und Medienunternehmen kann ab 11. November beantragt werden.Voraussetzung für diese Soforthilfe IV 3.0 ist jedoch, dass „die Überbrückungshilfe II des Bundes (Förderzeitraum September bis Dezember 2020) in Anspruch genommen wird“.

Bei den Konzert- und Tourneeveranstaltern ist die Antragstellung bei den Hilfsprogrammen besonders langwierig: Probanden eines Großversuchs der Universitätsmedizin Halle/Saale verfolgen im August in der Arena Leipzig ein Konzert des Popsängers Tim Bendzko (links).
Bei den Konzert- und Tourneeveranstaltern ist die Antragstellung bei den Hilfsprogrammen besonders langwierig: Probanden eines Großversuchs der Universitätsmedizin Halle/Saale verfolgen im August in der Arena Leipzig ein Konzert des Popsängers Tim Bendzko (links).

© picture alliance/dpa/H. Schmidt

MUSIK

Was die 75-Prozent-Ankündigung betrifft, herrscht Rätselraten in der Klassikszene. Viele wissen bisher nur aus den Medien davon. Alexander Hollensteiner, Geschäftsführer der Kammerakademie Potsdam, konnte von der brandenburgischen Kulturministerin Manja Schüle immerhin schon erfahren, dass man seitens der Politik an den „notwendigen Formalia“ einer solchen Förderung arbeite. In den nächsten Tagen, so Hollensteiner, sei mit Einzelheiten zu rechnen. Aus der Behörde der Kulturstaatsministerin heißt es auf Nachfrage ebenfalls, dass wegen der Details derzeit intensive Gespräche mit dem Wirtschafts- und dem Finanzministerium laufen.

Beim „Neustart Kultur“-Topf wurde die Verteilung den Fachverbänden anvertraut. Die mussten erst mal Förderbedingungen erarbeiten, teils in Bereichen, die zuvor noch nie staatliche Gelder erhielten. Seit Anfang September ist es Clubs, Festivalmachern und Konzertveranstaltern endlich möglich, bei der „Initiative Musik“ Anträge zu stellen. Rund 1000 sind eingegangen, wobei zunächst die Anfragen der kleinen und mittleren Musikclubs bearbeitet wurden. 70 Bewilligungen wurden erteilt, der Rest steht im Stau. Bis Ende November sollen möglichst viele weitere Zusagen übermittelt werden, so Pressesprecher Michael Wallies. 27 Millionen Euro können an die 440 Antragsteller ausgeschüttet werden. Gefördert werden bis zu 90 Prozent der Gesamtausgaben, Höchstsumme: 150 000 Euro.

Für Festivals, Livemusik- und Tourneeveranstalter stehen 80 Millionen Euro zur Verfügung. Ein besonders komplexer Bereich: Die ersten Förderzusagen sollen diese Woche versandt werden, die Antragsfrist wurde bis 30. November verlängert. Die Mittel können als Zuschüsse für Veranstaltungen und für deren Planung bis 2022 genutzt werden. Wobei sich die Höhe der Förderung an der Zahl der Konzerte, der verkauften Tickets und der Umsätze der Vorjahre orientiert.

Hoffen auf Filmstarts im Dezember. Das Yorck Kino in Berlin-Kreuzberg.
Hoffen auf Filmstarts im Dezember. Das Yorck Kino in Berlin-Kreuzberg.

© dpa

FILM

Für die Kinos ist es dramatisch, sagt Christine Berg vom Hauptverband Deutscher Filmtheater. Geschätzte Einnahmeverluste 2020: eine Milliarde Euro. Für etliche der rund 900 Betreiber geht es um die Existenz. Schon die Folgen des ersten Shutdowns waren wirtschaftlich desaströs. Alleine der Fortbestand der Betriebe ohne Ticketverkäufe kostete einer Studie zufolge 186 Millionen Euro. Nach der Wiedereröffnung hätten die Kinos mit ihre Verluste von „minus 80 auf minus 60 Prozent im Oktober verringert“, so Berg.

Die HDF-Chefin hofft , dass die Kinos Anfang Dezember tatsächlich wieder öffnen werden. „Das Weihnachtsgeschäft ist für uns besonders wichtig.“ Sie verweist auf die Familienfilme für den Advent und mögliche Publikumshits wie den Eberhofer-Krimi „Kaiserschmarrndrama“, Sönke Wortmanns „Contra“ und Karoline Herfurths Gangsterfilm „Wunderschön“.

Und die Verleiher? „Zu viel Content für zu wenig Leinwand“, beschreibt Tobias Lehmann vom Alamode-Verleih die Situation. Schon der erste Lockdown hatte zu einem Stau bei den Filmstarts geführt. Mit den oft sechsstelligen Marketingkosten waren die Firmen in Vorzahlung gegangen. Nun wird der Stau noch größer. Und ob die Verleiher überhaupt Geld vom Wirtschaftsministerium bekommen werden, ist unklar. Alamode hatte Glück im Unglück, ihr am Donnerstag gestartetes, fürs Oscarrennen vorausgewähltes Antifa-Drama „Und morgen die ganze Welt“ von Julia von Heinz war vielfach ausverkauft. Immer vorausgesetzt, der Film kann im Dezember wieder gespielt werden.

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