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Jogger mit und ohne Maske im Central Park.

© Vanessa Carvalho/ZUMA Wire/dpa

Coronatagebuch, New York (6): Früher war ein Maskierter eine Gefahr, jetzt der nicht-maskierte Jogger

Milliardäre orchestrieren die Kampagne gegen den kollektiven Covid-19-Schutz, der Präsident zeigt kein Mitgefühl - und Freund C. hat Angst.

Klaus Brinkbäumer war zuletzt Chefredakteur des „Spiegel“ und arbeitet heute als Autor unter anderem für „Die Zeit“. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer. In seiner wöchentlichen Kolumne „Spiegelstrich“ verfasst er derzeit ein Coronavirus-Tagebuch mit kurzen Beobachtungen aus dem Alltag und Überlegungen zur Krise.

Nach dem Vermummungsverbot nun die Maskenpflicht. Früher hätte ein Maskierter am Union Square eine Gefahr sein können, jetzt ist es der nicht-maskierte Jogger, der keucht und keinen Zentimeter ausweicht. Afro-Amerikaner sagen dem Magazin „New York“: „Wir haben gelernt, sobald wir eine Maske tragen, erschießen uns die Cops.“ Wenn mich die erschwerte Wahrnehmung nicht täuscht, schreitet die allgemeine Verwahrlosung voran: warum noch rasieren, wieso schminken? Und New York verstummt; wer spricht schon gern mit Maske?

– Die meisten deutschen Menschen aus Politik und Wissenschaft kommunizieren, verglichen mit dem Weißen Haus, konsistent und klar. Dass aber Masken zunächst für nutzlos erklärt wurden und nun vorgeschrieben sind, ist (war) auf beiden Seiten des Atlantiks unehrlich, da es einen neuen Wissensstand nicht gibt. Wir sollten die Dinger halt nicht den Fachkräften wegkaufen.

– Catch-22: Dass gerade der Erfolg von Maßnahmen dafür sorgen könne, dass der Sinn dieser Maßnahmen angezweifelt werde, haben Epidemiologen wie Anthony Fauci und Christian Drosten vorhergesagt. In den USA wird die Kampagne gegen den kollektiven Schutz vor Covid-19 von einem Netzwerk konservativer Milliardäre wie Robert Mercer orchestriert, die staatliches Handeln ersticken und Steuern abschaffen wollen. So endet konstruktive Demokratie: Der Präsident unterstützt via Twitter jene vermeintlichen Freiheitskämpfer, die gegen demokratische Gouverneure (und eigentlich, offiziell, gegen seine Regierung) anbrüllen; er lebt davon, als Zerstörer jenes Amtes verehrt zu werden, das er selbst besetzt. In Deutschland sind die meisten Zweifler weniger destruktiv, aber intelligente Begründungen dafür, dass der Wert von Leben so gering sein soll, gibt es auch dort nicht.

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– Im Lagerkoller, irgendwo auf YouTube, sehe ich ein „Tor des Monats“ von Mai 1972. Mein Wort des Monats von April 2020 ist „Öffnungsdiskussionsorgien“. Es hilft Merkels Gegnern bei ihren „Diktatur“-Szenarien, wenn die Nummer eins des Machtgefüges arrogant wirkt. (P.S.: Das Tor schoss Manni Kaltz aus der Ferne, das schöne Spiel war langsam, fand aber statt.) https://www.youtube.com/watch?v=gZ3hsDBPdkc&t=94s

– Dass der US-Präsident so dumm ist, dass er Covid-19 durch Licht und die Injektion von Desinfektionsmitteln heilen möchte, ist der Skandal des Donnerstags. https://www.youtube.com/watch?v=33QdTOyXz3w

Trauriger finde ich den Freitag, an dem er sagt, seine Bemerkung sei Sarkasmus gewesen. https://www.youtube.com/watch?v=1bX8kEHTbug Es gibt knapp 50 000 Corona-Tote in den USA, bald werden es mehr als im Vietnam-Krieg (58 000) sein. Der Präsident formuliert kein Mitgefühl, lässt keine Flaggen auf Halbmast setzen und hält Sarkasmus für eine der Lage angemessene Form des Dialogs.

Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.
Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.

© Tobias Everke

– Die USA führen, auch wenn sie nicht führen. Alle Länder sehen hin, wenn die USA der Weltgesundheitsorganisation die Finanzierung entziehen: Ein Schuldiger, hängt ihn höher! (Die „Washington Post“ enthüllt, dass viele amerikanische Mitarbeiter in der WHO im Januar ihre Regierung exakt informiert haben.) Internationale Organisationen können nicht stärker sein als ihre Mitgliedsstaaten.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog]

– „Kontrolle, Konzentration, Präzision, manchmal Ärger“ waren 20 Jahre lang Begriffe für seine Arbeit, schreibt C., Freund und Chirurg im Corona-Einsatz, „die Angst ist neu. Das Herzrasen. Ich hoffe im Umkleideraum, dass es nichts zu tun gibt und ich heimgeschickt werde. Das passiert nie.“ Ihm ist schwindlig, der Test ist negativ.

Klaus Brinkbäumer

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