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Andrew Cuomo, Gouverneur von New York.

© picture alliance/John Minchillo/AP/dpa

Coronavirus-Tagebuch aus New York: Wie ein 99-Jähriger in die Catskills floh und auf seinen Gouverneur hofft

Gouverneur Andrew Cuomo bildet ein besonnenes Gegengewicht zu Präsident Trump. Das tröstet nicht nur einen hochbetagten Pensionär.

Klaus Brinkbäumer war zuletzt Chefredakteur des „Spiegel“ und arbeitet heute als Autor unter anderem für „Die Zeit“. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer. In seiner wöchentlichen Kolumne „Spiegelstrich“ verfasst er derzeit ein Coronavirus-Tagebuch mit kurzen Beobachtungen aus dem Alltag und Überlegungen zur Krise.

– Glücklich, doch einsam“ sei er, schreibt Roger Angell, 99 Jahre alt. Roger ist mit Ehefrau Peggy und dem Terrier Andy vor dem Virus in die Catskills geflohen, die Berge im Norden der Weltkrisenstadt.

Trauern und weiterleben

„Wir sind hier geschützt vor dem Leid New Yorks“, schreibt er, und sie waren noch früh genug dort; inzwischen werden Flüchtlinge aus Manhattan in Upstate New York oder in Rhode Island mit Knüppeln verjagt.

Am 19. September wird Roger 100 Jahre alt; er sagt: „Falls ich so weit komme.“ Der alte Mann ist fraglos zäh. Da war so viel Trauer, so viel Verlust: Carol, die Frau seines Lebens, starb, zwei Töchter starben, doch nach dem Leid fand er stets einen neuen Sinn, sogar Freude.

Unser Gehirn, sagt er, kriege das hin: den Schmerz über Verluste, die eigentlich niemand aushalten könne, zu verwandeln in etwas Leuchtendes, Geschichten, liebevolle Erinnerung. Hundertjährige zeigen uns Jüngeren, wie das geht: trauern und weiterleben.

Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.
Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.

© Tobias Everke

(Im vergangenen Jahr haben Samiha Shafy und ich ein Buch über die Weisheit der Hundertjährigen veröffentlicht, Roger Angell ist eine der Hauptfiguren)

„Diese Krise ist wie nichts, das ich erlebt habe, unvergleichlich. Unmöglich auch, vorherzusagen, wie sie enden und was daraus erstehen wird. Meine Augen und mein Gehör lassen nach“, schreibt Roger mir, und doch, natürlich kämpft er auch jetzt weiter: „Ich höre die Audioversionen von Artikeln und Büchern, inklusive Passagen aus ,Ulysses‘.

Jeden Abend sehen wir uns einen alten Film an: ,Argo‘, ,The Big Lebowski‘. Bei alldem ist Peggy meine liebende, durchhaltende und hart arbeitende Gefährtin und mein Glück.“ Roger Angell möchte gern noch einen letzten würdevollen Präsidenten erleben, ehe er stirbt, folglich einen anderen als Trump (und gewählt wird nach Rogers 100. Geburtstag, am 3. November).

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Manchmal denkt er heute an das stille New York seiner Kindheit zurück, ein New York ohne Christbaum vor dem Rockefeller Center (weil es noch kein Rockefeller Center gab).

Das New York von einst hätte er auch vor Corona schon gern zurückgehabt: jene Stadt, in der es noch Nachbarschaften gab, also auch Schuster, Klempner, Marktstände und Lädchen und nicht nur Reiche auf der Upper East Side, wo er normalerweise lebt. Heute ist New York City wieder still, aber Krisengebiet.

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Roger Angell ist Journalist: Als Literatur-Redakteur betreute er einst Alice Munro und John Updike, als Baseball-Autor wurde er berühmt. Seit sieben Jahrzehnten schreibt er für den „New Yorker“.

Es ist April, jetzt müsste die Baseball-Saison beginnen, die Yankees sollten in diesem Jahr herausragend sein, reif für den Titel. Werden sie? Dürfen sie? Wird er sie je wieder spielen sehen? Hören?

Nicht so wichtig, sagt Roger, Lebenszeit verrinne halt, selbst dann, wenn man volle 100 Jahre alt wird. „Nutzt eure Jahre und lebt“, sagt er.

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Peggy und er haben kein Internet dort oben in den Catskills, darum überträgt die Freundin Phyllis täglich die Pressekonferenzen des Gouverneurs Andrew Cuomo aus Manhattan via Telefon zu den Angells.

„Cuomos Offenheit und Menschlichkeit trösten uns“, so Roger, „wir haben ja keine Figur wie Angela Merkel, doch der Gouverneur steht zwischen uns und der täglichen Flut von Ignoranz und Lügen und Narzissmus aus dem Weißen Haus.“

– Es ist wichtig, die Welt Trumps und der Republikaner differenziert zu verstehen, ihre Angst vor Fremden und Veränderung, die Ablehnung von Wissenschaft, Wahrheit und, obwohl sie Politiker sind, Politik; wichtig, da es um die Kraft westlicher Demokratie geht. Allerdings, manchmal reichen zwei Sätze aus: Trump übernimmt „keinerlei Verantwortung“. Doch er verlangt „die totale Autorität“.

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– „Ein weiterer Freund tot“, schreibt C., der Freund und Chirurg, der sich freiwillig für die Intensivstation gemeldet hat. Was ist geschehen? „Kenne noch keine Details, nur Covid. Er hatte mein Alter. War klug, lustig, empathisch. Hat letztes Jahr geheiratet.“

Klaus Brinkbäumer

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