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Der Münchner Journalist Dirk von Gehlen.

© Gerald von Foris/www.dirkvongehlen.de

Crowdfunding in der Literatur: Viele Köche und ein Brei

Dirk von Gehlen hat ein Medienbuch geschrieben, unter dem Titel "Eine neue Version ist verfügbar". Seine Helfer konnten ihm im Netz dabei zuschauen.

Seine Besonderheit sieht man diesem Buch nicht an. Es ist in einem herkömmlichen Verlag erschienen, hat 150 Seiten und ein hübsches Softcover mit lilablauen geometrischen Figuren vorn und hinten. Autorenname, Titel und Verlagsname sind deutlich zu erkennen. Das Besondere ist, dass dieses Buch auf Crowdfunding-Basis entstanden ist und dass der Autor Dirk von Gehlen seine Geld spendenden Unterstützer am Entstehungsprozess hat teilnehmen lassen. Er richtete einen virtuellen Salon ein und dokumentierte darin seine Schreibfortschritte oder die jeweils neuen Kapitel. Jeder Salon-Leser konnte sich so immer auf den neuesten Stand bringen. „Unfrisiert und ungeschminkt“ habe er sich bei dieser Art von Schreiben gefühlt, sagt von Gehlen. Er sei sich aber sicher, dass durch diese Teilhabe „der Wert des Endprodukts“ erhöht werde.

Diesen Wertzuwachs erklärt Dirk von Gehlen aber nicht weiter, und er erschließt sich bei der Lektüre auch nicht. Zumal aufgrund technischer Hürden die Buchprojekt-Unterstützer weder untereinander im Salon kommunizieren konnten noch von Gehlen auf das kreative Feedback seiner Erstleser eingeht. Oder gab es gar keins?

"Eine neue Version ist verfügbar"

Das ist unbefriedigend und etwas seltsam. Denn eine der Hauptthesen dieses Buches mit dem einladenden Titel „Eine neue Version ist verfügbar“ besagt, dass in digitalen Zeiten und veränderten Produktionsbedingungen Kultur vor allem als Software angesehen werden muss. Und dass die Entstehung eines Werkes, seine jeweiligen Versionen, genauso wichtig und künstlerisch wertvoll sind wie das fertige Kunstwerk. Kurz: dass „das Produkt als Prozess“ gedacht wird: „Warum öffnet ein Journalist nicht seinen Schreibtisch und lässt die Leser vom leeren Dokument bis zum Leitartikel mitlesen, wie sein Text sich formt? Warum zeigt ein Filmemacher nicht, welche Probleme sich ergeben, bis er für seine gute Idee ein Drehbuch geschrieben oder Geldgeber oder einen Sender gefunden hat?

Von einer „Verflüssigung“ der Kultur und ihrer Inhalte spricht Dirk von Gehlen immer wieder, nicht zuletzt mit Argumenten von Gewährsleuten und digitalen Vordenkern wie Jeremy Rifkin oder David Weinberger. Zeugen aus der analogen Kunstwelt wie dem digitalen Kosmos hat er reichlich parat: von den Malern, die erst einmal Skizzen anfertigen für ihre späteren Bilder (von Dürer etwa gibt es über 900 Zeichnungen, die schon früh als eigenständige Kunstwerke angesehen wurden) über die Veröffentlichungen der „Pet-Sounds“-und-„Smile“-Sessions der Beach Boys bis hin zur Online-Bibliothek Wikipedia.

Wie steht es um den Urheber?

Letzteres ist natürlich ein Paradebeispiel für eine neue Kultur des Wissens und der Wissensvermittlung (anonyme Verfasser, kein Expertensonderstatus etc). Aber lässt sich das so ohne Weiteres auf Kunstwerke und Literatur übertragen? Wie steht es um den Stil, um andere Eigenwilligkeiten eines Autors, wenn plötzlich ganz viele Leser und Spender an einem Roman mitarbeiten? Was ist mit dem Urheber als solchem, was mit den ihm zustehenden Rechten?

Dirk von Gehlen nennt am Ende seines Buches zwar die Namen all derer, die ihn finanziell unterstützt haben. Was aber wäre gewesen, wenn einige von ihnen ihre Ideen konkret und in Schriftform mit eingebracht hätten? Deren Namen hätten auch auf das Cover gehört. Und was ist das für ein Hauen und Stechen gerade bei der Veröffentlichung von akademischen Arbeiten, an denen oft ja viele Wissenschaftler beteiligt sind, an erster Stelle genannt zu werden! Wie sieht es aus mit Plagiaten?

Das Cover. Sieht aus wie ein normales Buch, in einem normalen Verlag erschienen.
Das Cover. Sieht aus wie ein normales Buch, in einem normalen Verlag erschienen.

© Metrolit

Einwände und Fragen lassen sich bei dieser Feier der Versionierungskultur reichlich formulieren, und von Gehlen zielt ausweichend gern auf die „Ereignishaftigkeit“, auf „die Besonderheit des unkopierbaren Moments“ ab. So wie es bei Fußballspielen der Fall ist. Dabei sein ist alles, und dieses Dabeisein gehört ja in Netzwerken zu den wichtigsten Motivationen. Das Verdienst Dirk von Gehlens ist es, mit seinem Buch anschaulich erklärt zu haben, dass im digitalen Zeitalter gerade auch die kulturellen Dinge im Fluss sind und sie nicht immer irgendwo hingelangen müssen.

Dirk von Gehlen: Eine neue Version ist verfügbar. Metrolit Verlag, Berlin 2013, 144 Seiten, 12,99 €.

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