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Kultur: CSU fordert Boykott von „Jackass“ Hauptsache, es tut weh

Draufhalten, bis der Arzt kommt: „Jackass - The Movie“ – eine Sketch-Parade zwischen Machismo und Masochismus

Das ist jene Art von Begleitmusik, wie Verleiher sie mögen: Die CSU fordert zum Kinoboykott des Films „Jackass“ auf. Der Film (siehe nebenstehende Rezension) zeige „abstoßende und absolut menschenunwürdige Szenen“, teilte der Vorsitzende der CSU-Medienkommission, Markus Söder, am Mittwoch mit. Laut dpa appelliert er an die Kinobetreiber, den Film aus dem Programm zu nehmen. „Man muss sich die Frage stellen, ob man mit so etwas Geld verdienen möchte“, sagte Söder. Viele der dargestellten Stunts und Mutproben seien „lebensgefährlich“, erschienen aber durch die Art der Präsentation als harmlos. Der CSU-Politiker warnte, manche Jugendliche könnten sich zur Nachahmung verleiten lassen. Tsp

„Danger Seeker“ war harmlos. „Danger Seeker“, zu Deutsch: der „Gefahrensucher“ trug einen unförmigen Schutzanzug und tat Dinge, die zu Lebensmüden zu gehören schienen. Er ging in eine finstere Getto-Gegend, wo gerade ein paar schlechtgelaunte schwarze Brüder rumhingen, brüllte: „Scheiß-Nigger!“- und lief dann schnell weg. „Danger Seeker“ war ein fortlaufender Gag in „Kentucky Fried Movie“. Dieser Film, geschrieben von der späteren Comedy-Fabrik Abrahams/Zucker, gilt als Prototyp dessen, was heute als amerikanischer College-Humor bekannt ist.

„Kentucky Fried Movie“ ist nun schon über 25 Jahre alt. Heute wird in sogenannten College-Komödien wie „American Pie“ oder „Scary Movie“ in Lebensmittel ejakuliert oder durch Lungeneinschüsse gekifft. Der „Danger Seeker“ von damals wäre heute harmloser als weite Teile seines Publikums. Trotzdem lebt die Idee weiter. Müsste man einem Wesen aus einer anderen Welt, erklären, wie „Jackass“ funktioniert, dann bekäme das Wesen wohl den Eindruck, es handele sich bei dieser Fernseh-Show um einen der letzten Sargnägel für die irdische Zivilisation. Das Wesen hätte vielleicht sogar Recht. „Jackass“ – das ist eine Gruppe junger Männer, die in kurzen Sketchen die Grenzen der Physik und ihrer eigenen Physis testen. Johnny Knoxville und seine Kollegen sind ihre eigenen Crash Test Dummies. Sie fahren mit einem Skateboard auf einer Bowling-Bahn in die Kegel – liegend und mit dem Kopf zuerst. Sie hängen sich über Alligatorenbecken, sie lassen sich von Profi-Boxern vermöbeln, verpassen sich Elektroschocks im Genitalbereich, sie führen Dinge in ihren Darm ein – und noch lieber wieder aus. Sie lassen nichts unversucht, was auch nur entfernt Tabubruch oder Körperverletzung verspricht.

Nachdem „Jackass“ erfolgreich auf MTV lief, ist nun ein Kinoereignis daraus geworden. Gerade mal fünf Millionen Dollar hat die Produktion gekostet, rund 65 Millionen hat sie bislang allein in den USA eingespielt. Der Großteil des schmalen Budgets dürfte für Pyrotechnik und Arztrechnungen draufgegangen sein. Denn diese Parade von Sketchen und Slapstick kommt nicht nur ohne Struktur und Plot aus, sondern wurde auch mit Wackelkamera auf dokumentarisch getrimmt. „Alles echt!“ – sagen die Bilder, und viele der inszenierten Selbstverstümmelungen werden bleibende Spuren hinterlassen. Es muss weh tun, damit diese jungen Männer und mit ihnen ihr Publikum sich spüren. Knoxville und seine Leute tun auf ihrer Suche nach Grenzerfahrungen viele verbotene Dinge, einige davon würden Menschenrechtsorganisationen als Folter bezeichnen.

Natürlich wurden bereits die ersten Nachahmer gemeldet: Ein 13-jähriger Amerikaner, der sich auf einen Grill setzte, ein junger Schwabe, der sich anzündete – das werden Johnny und seine Jungs wohl als Kollateralschaden betrachten. Was ist das schon im Vergleich zu den Dingen, die sie sich selbst antun? Und haben sie nicht immer wieder darauf hingewiesen, dass ihre Nummern von Profis gespielt werden? Dass man das nicht zu Hause ausprobieren soll?

Diese Peinigungen sind eine Form der Selbstvergewisserung. All die Male, Narben, Brandzeichen auf der Haut sagen: Ich lebe. Ich rebelliere gegen das Sicherheitsdenken meiner Eltern (aber ich bin jung und brauche weiterhin Taschengeld). Aber vielleicht braucht es auch einfach nur Schmerzen, damit MTV- und Gameboy-Autisten in ihrer grobstofflichen Wahrnehmung überhaupt noch etwas merken. „Danger Seeker“ hatte es gut: Da gab es noch ein Szenenbild und richtige Dialoge. Seine Sketche wirken im Vergleich zu „Jackass“ wie eine Aufführung der Royal Shakespeare Company. Das „Jackass“-Team ist schon zufrieden, wenn der Kameramann sich mal wieder übergibt.

Spike Jonze, der gefeierte Regisseur von „Being John Malkovich“ und „Adaption“, hat „Jackass“ mitgeschrieben und produziert. Er versichert, Knoxville und seine Mitarbeiter schon seit der Schule zu kennen und früher selbst solcher Art von Freizeitgestaltung nachgegangen zu sein. Eine beachtliche männliche Konsumentengruppe zwischen 17 und 24 Jahren fasziniert das: weiße männliche Mittelklasse-Kids, vermutlich desorientiert, vermutlich gelangweilt, vermutlich labil. Sie scheinen fasziniert von dieser analfixierten Mischung aus Machismo und Masochismus. Ein weites Feld für Analytiker – und Therapeuten.

In 17 Berliner Kinozentren; Originalfassung im Cinemaxx Potsdamer Platz

Ralph Geisenhanslüke

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