zum Hauptinhalt
Stein für Stein. Roger Waters als Pink in der O2-World. Foto: dpa

© dpa

Kultur: Dämonen auf dem Rummelplatz Roger Waters zeigt

„The Wall“ in Berlin

„Wahnsinn!“ „Hammer!“ „Galaktisch!“ „Gigantisch!“ „Super geniales Event!“ Vielleicht sind die aufgeschnappten Stimmen nach dem Auftritt von Roger Waters in der O2-World aussagekräftiger als jede Konzertkritik. Genau genommen ist die Aufführung von „The Wall“, die Waters 1990 schon einmal vor 320 000 Fans am Potsdamer Platz gezeigt hat – ja auch kein Konzert, sondern ein pompöses Spektakel, eine hochtechnisierte Multimediashow. Ein „Event“ eben, mit allem Drum und Dran. Eine Mischung aus brillantem Klang in infernalischer Lautstärke, Hightech-Video-Präsentation, Computeranimation, Rummelplatz, Puppentheater, Pyro-Knalleffekten und einem Schuss Leni Riefenstahl.

Schon der Beginn weckt Assoziationen an die raffinierten Inszenierungen von NS-Reichsparteitagen. Eine Zapfenstreichtrompete erklingt, auf einer Mauer steht eine stramme Reihe schwarz Uniformierter mit stierem Blick und hält mächtige Banner, die an Hakenkreuzfahnen erinnern. Wenn dann davor Roger Waters im langen schwarzen Mantel mit roter Armbinde einen finster charismatischen Diktator gibt und die Zuschauer in der ausverkauften Arena dazu enthusiasmiert aus den Sitzen springen, um ihm zuzujubeln, kann einem schon etwas mulmig zumute werden.

Aber ist ja nur Theater. Und der 67-jährige Roger Waters spielt nur eine Rolle. Es ist die Figur des Pink, die der ehemalige Pink-Floyd-Bassist und Songschreiber für das erfolgreiche Pink-Floyd-Doppelalbum „The Wall“ von 1979 kreierte. Ein monumentaler Songzyklus über Isolation, Ängste und Wirrnisse, die Waters selbst durchlebt hatte und die er sich von der Seele schrieb.

Trotz ohrenbetäubender Lautstärke wird die Musik in der Liveshow von den theatralischen Elementen und optischen Reizen deutlich an die Wand gedrängt. Wie auch die Band, die vorwiegend im schummerigen Halbdunkel des Bühnenhintergrunds agiert, während zwischen Musikern und Publikum nach jedem Song weitere Steine in eine monströse Mauer eingebaut werden, die die schrittweise Abschottung des Protagonisten von seiner Umwelt symbolisiert. „Another Brick In The Wall“ – mit jedem Trauma wird die Wand dichter, mit jeder Geschichte aus Waters’ Vergangenheit. Der Vater, der nicht aus dem Krieg zurückgekehrt ist, eine übermächtige Mutter, despotische Lehrer, schwierige Beziehungen, gescheiterte Ehe, die traurige Leere des Rockstarlebens und schließlich Pinks Wahnvorstellung, ein Diktator zu sein, der unbarmherzig über die eigenen Fans herrscht.

Ein Jugendballett wuselt herum während ein Kinderchor aus der Dose kommt: „We don’t need no education!“ Die Gitarristen spielen Soli auf der Mauer, der Rest der Band ist dahinter verschwunden. Routinierte Leihmusiker, von Pink Floyd hat sich Waters schon 1985 im Streit getrennt. „Goodbye Blue Sky“. Vor der Mauer läuft ein einsamer Roger Waters herum, wedelt mit den Armen, singt oder lässt auch mal singen, während er dazu die Lippen bewegt. Die elf Meter hohe und 73 Meter breite Mauer wird zur Projektionsfläche für die Animationen des Karikaturisten und Bühnenbildners Gerald Scarfe.

Irgendwie wird Pink dann auch geläutert und befreit von seinen Dämonen: die Mauer stürzt ein mit gewaltigem Getöse. Und endlich darf auch die ganze Band mal nach vorne, mit akustischen Instrumenten – Gitarren, Banjo, Mandoline, Akkordeon. Und Roger trötet noch mal in die Trompete. „Totalerlebnis!“, sagt jemand beim Rausgehen.H. P. Daniels

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false