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Im Aktenkeller. Carl Mørck (Nikolaj Lie Kaas).

© NFP Verleih

Dänischer Kino-Krimi "Erbarmen": Es muss nicht immer Dogma sein

Die Schweden haben es vorgemacht, mit der Verfilmung der "Millennium"-Trilogie von Stieg Larsson. Jetzt ziehen die Dänen nach: "Erbarmen" - nach dem Bestseller von Jussi Adler-Olsen - ist ein lupenreiner Thriller. Natürlich auf die skandinavische Art.

Nach den Erfolgen der Schwedenkrimis auf dem internationalen Buchmarkt haben die Verfilmungen von Stieg Larssons „Millennium“-Trilogie auch im Kino den Weg für eine Welle von skandinavischen Noir-Krimis geebnet. Gemeinsam sind ihnen eine tiefe Skepsis gegenüber der ach so vorbildlichen nordeuropäischen Wohlstandgesellschaft und der Wille, unter der Oberfläche des sozialen Friedens verbrecherische Abgründe zu erkunden.

Mit Mikkel Nørgaards „Erbarmen“ ist nun auch das dänische Kino dabei und beweist, dass es nicht nur Dogma, sondern auch Genre kann. Als Vorlage diente Jussi Adler-Olsens gleichnamiger Roman, auch hierzulande ein Bestseller. Vier Fortsetzungen sind bereits auf dem Markt, die vom deutschen Verlag mit markentypischen Einworttiteln versehen wurden: „Schändung“, „Erlösung“, „Verachtung“ sowie „Erwartung“. Fünf weitere Folgen wurden bereits angekündigt – ordentlich Stoff also für ein skandinavisches Franchise-Unternehmen mit weltweiten Export-Optionen.

Im Zentrum der Romanreihe steht der unausstehliche Kommissar Carl Mørck – ein typischer Noir-Cop nordischer Herkunft: geschieden, wortkarg, impulsiv und subordinationsresistent. Nach einem verpatzten Einsatz, bei dem ein Kollege getötet und ein weiterer schwer verletzt wurde, wird der erfahrene Ermittler zum Aktenverschieben in den Keller versetzt. Gemeinsam mit dem aus Syrien stammenden Kollegen Assad (Fares Fares) soll er ungelöste Fälle durchsehen.

Mørck aber nimmt seine Arbeit im „Sonderdezernat Q“ ernster, als es seinen Vorgesetzten lieb ist. Er verbeißt sich in den Fall der jungen Politikerin Merete Lynggaard (Sonja Richter), die auf einer Fähre spurlos verschwand. Selbstmord – so hieß es damals im Abschlussbericht, doch Carl, stuzig gemacht durch einige Ungereimtheiten in den Akten, beginnt auf eigene Faust zu ermitteln. Mit den Nachforschungen setzt eine Paralleldramaturgie ein, aus der schon bald hervorgeht, dass Merete entführt wurde und noch am Leben ist.

Bemerkenswert ist diese Erzählstruktur schon deshalb, weil der Zuschauer stets einen kleinen Wissensvorsprung vor den Kriminalisten hat – paradoxerweise steigert das noch die Spannung der Geschichte, die gewisse Ähnlichkeiten mit dem Fall „Kampusch“ aufweist. Hinzu kommt Nørgaards sicheres Gespür fürs Atmosphärische und seine entschiedene Lust, Genreregeln ästhetisch zu variieren.

Regierten in den schwedischen Kriminalfilmen wie „Verblendung“ oder „Der Hypnotiseur“ noch stahlblaue Farbtöne, arbeitet „Erbarmen“ mit starken Kontrasten zwischen unwirtlicher Außenwelt und den in warme Brauntöne getauchten Szenen im polizeilichen Kellerarchiv.

Der wichtigste Joker des Filmes allerdings ist Nikolaj Lie Kaas. Der Schauspieler prägte sich durch Rollen etwa in Lars von Triers „Idioten“, Anders Thomas Jensens „Flickering Lights“ oder Susanne Biers „Open Hearts“ ein – aus „Open Hearts“ ist diesmal auch Sonja Richter mit von der Partie. Oft wurde er als Choleriker besetzt; in „Erbarmen“ leitet er die aggressive Energie konsequent nach innen. Wie ein vor sich hin brodelnder Vulkan wirkt sein griesgrämiger Polizist, zu dem Fares Fares, bekannt aus der schwedischen Komödie „Jalla! Jalla!“, einen hübsch tiefenentspannten Gegenpol bildet. Sicherlich fehlt „Erbarmen“ die emotionale wie intellektuelle Vielschichtigkeit der Stieg-Larsson-Verfilmungen. Aber als geradliniges, um einen eigenen Stil bemühtes Genrekino überzeugt dieser dänische Auftakt durchaus.

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